Gesellschaftliche Phänomene wie Social Networking und immer größere Mobilität sowie die rasante Technologieentwicklung und die ständige Erweiterung oder Erneuerung von Geschäftsmodellen beeinflussen das Aufgabenfeld und das Selbstverständnis des Chief Information Officer (CIO). Die Lodestone Management Consultants GmbH aus Garching bei München hat vier "radikale Veränderungen" ausgemacht, die das "Profil des CIO neu zeichnen" werden.
"Die Client-Server-Ära ist im Begriff, durch das Netzwek-Zeitalter abgelöst zu werden", sagt Norbert Kettner, Vorsitzender der Lodestone-Geschäftsführung: Mobile Endgeräte, Apps, Cloud Computing, Open Source, Blogs, Foren und soziale Netzwerkeließen eine Kontrolle von Unternehmens-, Mitarbeiter- und Produktdaten, wie wir sie kennen, nicht mehr zu.
Künftig wird der IT-Verantwortliche mehr integrative Aufgaben und unternehmerische Verantwortung übernehmen müssen. Um diese Aussage zu untermauern, führt Kettner eine aktuelle Befragung der Fachhochschule Ingolstadt an, für die 78 CIOs aus deutschen, österreichischen und Schweizer Großunternehmen Rede und Antwort standen. Sie weist laut Kettner vier grundlegende Veränderungen nach, die sich maßgeblich auf die Arbeitsumstände der CIOs auswirken werden.
Vom Enterprise-Resource- zum Global-Resource-Planning
Die Anzahl der ERP-Systeme innerhalb der Unternehmen wird sich weiter verringern, so die Lodestone-Prognose. Der Studie zufolge hat jedes zweite Großunternehmen im deutschsprachigen Raum sechs oder mehr ERP-Systeme im Einsatz, ein knappes Fünftel sogar mehr als 20. Der Hauptgrund dafür reicht laut Kettner etwa zehn Jahre zurück: "Noch zur Jahrtausendwende waren die Unternehmen eher regional aufgestellt und hatten in der Regel mehrere Divisionen beziehungsweise Tochterunternehmen. Diese Struktur spiegelt sich in Art und Anzahl der damals eingeführten ERP-Systeme wider."
Die heute üblichen globalen Prozesse hingegen erfordern globale Systeme, so der Lodestone-Geschäftsführer. Von daher müssten sich die CIOs zunehmend mit der Integration der Prozesse auseinandersetzen. Die Harmonisierung der ERP-Systemlandschaft stehe schon heute im Mittelpunkt vieler IT-Projekte. Die meisten Unternehmen würden in naher Zukunft maximal fünf ERP-Systeme nutzen.
Mit dieser Entwicklung gehe der Trend zum Zusammenfassen globaler Geschäftsfunktionen einher, so Kettner weiter. Inhouse-Shared-Service-Center seien auf dem Vormarsch. Viele Funktionen und Prozesse aus einzelnen Regionen oder Unternehmensbereichen ließen sich ohne weiteres konzernweit nutzen. Die dadurch erzielbare Standardisierung helfe, die Kosten zu drücken und die Effizienz zu steigern. Voraussetzung dafür seien allerdings global funktionierende Systeme.
Von der Enterprise Value Chain zur Network Value Chain
Der vielzitierte Wertbeitrag der IT lässt sich künftig nicht mehr innerhalb der Unternehmensgrenzen ermitteln. Vielmehr muss er weltweite Verbünde aus Kunden, Lieferanten und Geschäftspartnern berücksichtigen. In dem Maße, wie ganze Funktionsbereiche ausgelagert und Lieferanten, Dienstleister sowie Kunden in die Kerngeschäftsprozesse der Unternehmen eingebunden werden, entwickelt sich die Wertschöpfung nicht mehr in einer Kette, sondern in einem Netzwerk.
Das stellt auch die CIOs vor neue Herausforderungen. Sie müssen sich noch häufiger mit der Integration externer Anwendungen und Infrastrukturen auseinandersetzen - eine Aufgabe, die bis dato noch unter ferner liefen rangiert.
Die traditionelle IT "zerfällt", wie Kettner es formuliert; ERP-Systeme, die um die eigenen Value Chains aufgebaut worden seien, würden jetzt "aufgerissen", um die Partner in die Wertschöpfung einzuschließen. Datenstrukturen, Schlüsselfelder und Klassifizierungen seien aufeinander abzustimmen. Das klingt nach Fleißarbeit, eröffnet den CIOs aber ein großes Potenzial, um ihren Beitrag zum Unternehmenswert zu verbessern.
Vom Projekt- zum Portfolio-Management
Das Bewerten und Handhaben globaler IT-Portfolios löse die Betrachtung einzelner Projekte ab, prognostiziert Kettner. Smartphones, Tablets und andere mobile Endgeräte sowie das Internet brächten nicht nur schnelle und direkte Möglichkeiten des Informationsaustauschs hervor, sondern auch neue Business-Optionen, wie das Beispiel Cloud Computing belege. Mehr als 50 aktuelle Technologien und Trends gelte es hinsichtlich Kosten-Nutzen-Verhältnis und Praxistauglichkeit zu bewerten.
Ein ERP-System oder eine Office-Anwendung auszuwählen ist deshalb nicht mehr genug. Vielmehr werden nichttechnische Fragen immer wichtiger: Wer braucht welchen Prozess auf welchem Gerät? Welchen Wertbeitrag erzielt das Unternehmen damit? Wer beobachtet soziale Netzwerke? Welche Anwendungen darf die Fachabteilung einkaufen, ohne die IT zu fragen?
Ohnehin sieht Kettner Nachholbedarf in Sachen Stammdaten- und Risiko-Management. Cloud Computing, Mobile Devices und Social Media erhöhten die Komplexität weiter. Ohne Portfolio-Management ließen sich IT-Architekturen, Geräte und Infrastrukturen sowie Prozesse nicht mehr managen.
Von der Sekundär zur Primärfunktion
Die vierte Veränderung wird die IT an sich aufwerten, ist Kettner überzeugt. Aufgrund ihrer zunehmenden Bedeutung für das Business lasse sich die Informationstechnik nicht länger als indirekte Funktion in der Wertschöpfungskette - also als kostenträchtige Infrastruktur - abqualifizieren. Künftig hingen die Wertschöpfungsprozesse zu einem großen Prozentsatz von der IT ab, wodurch diese selbst zu einem Teil der Kerngeschäftsprozesse werde und sie quasi von innen optimiere.
Diese Veränderung müsse allerdings erst einmal in den Köpfen der CIOs ankommen. Wie die Studie der Fachhochule Ingolstadt ausweist, sehen sich knapp 70 Prozent von ihnen immer noch in einer unterstützenden Funktion. Nur 27 Prozent bezeichnen sich als Treiber der Prozessoptimierung.
Zudem hat die Medaille der gestiegenen Bedeutung eine Kehrseite: Die IT müsse sich künftig auch an den Prozesskosten messen lassen, prophezeit Kettner. Derzeit trage sie in kaum einem Unternehmen die Kostenverantwortung. Das werde sich ändern - wohl auch dadurch, dass der CIO künftig direkt an den CEO berichte.
Kommentar: Gerade gelobt, schon wieder weg
Die so genannte Halbwertszeit eines CIO beträgt - zumindest in den USA - nicht einmal zwei Jahre. Das heißt, nach spätestens vier Jahren fällt für den IT-Chef der Vorhang im jeweiligen Unternehmen, und häufig bleiben, um mal mit einem Brecht-Zitat zu protzen, "alle Fragen offen", weil große IT-Projekte auch länger als 48 Monate dauern können.
Auch unser "CIOs des Jahres" ist seinem jeweiligen Arbeitgebern keineswegs immer treu. Gerade zum Star der Zunft gekürt, machte Commerzbank-CIO Peter Leukert seinen Wechsel zur Nyse Euronext publik. Der zum zehnten Geburtstag sogar in den Stand eines "CIO der Dekade" erhobene Audi-CIO Klaus Straub hatte der Community kurz zuvor bereits mitteilt, dass er zum Mitbewerber BMW gehen werde. Die Reihe ließe sich problemlos um einige ältere Beispiele erweitern. Es sieht so aus, als wäre die von computerwoche und "CIO" verliehene Auszeichnung geradezu ein Indiz für einen baldigen Jobwechsel.
Das ist natürlich Unsinn. Fakt ist viel- mehr, dass gute CIOs, die ihr Handwerk verstehen und anerkannt sind, eher knapp gesät sind. Leukert und Straub gehören zu diesem kleinen, umworbenen Kreis. Bei der Preisverleihung zum CIO des Jahres erhielten beide viel Lob von ihren Kollegen - auch und gerade dann, wenn die Mikrofone abgeschaltet waren.
Ein mit dem "CIO des Jahres" dekorierter IT-Manager weckt Begehrlichkeiten bei anderen Unternehmen. Das gilt gerade dann, wenn diese Persönlichkeiten aus verwandten Branchen kommen oder Aufgaben übernehmen sollen, bei denen sie sich schon einmal bewährt haben. Globale SAP-Projekte, IT-Zusammenführungen bei Fusionen, Aufbau einer Private-Cloud-Infrastruktur - Manager, die sich hier bewährt haben, sind gefragter denn je. Übrigens: Bewerbungen für den CIO des Jahres werden ab sofort wieder entgegengenommen. (Computerwoche)