Mohamed El Ashmawy und sein Team haben viel um die Ohren. Der CIO von Siegwerk mit Sitz in Siegburg ist sein Amt 2016 mit dem Auftrag angetreten, die Konzern-IT zukunftsfähig aufzustellen. Die Herausforderungen waren vielfältig: Siegwerk ist ein typischer Hidden Champion mit einer starken internationalen Ausrichtung, der mit seinen Druckfarben für Verpackungen, Etiketten und Kataloge im vergangenen Jahr über eine Milliarde Euro umsetzte. Die mehr als 5.000 Mitarbeiter verteilen sich rund um den Globus mit Schwerpunkten in Europa, Asien und Nordamerika.
El Ashmawy kam vom Bayer-Konzern, wo er zuvor 17 Jahre im Healthcare-Bereich verschiedene IT-Management-Positionen innehatte. Die IT eines ständig expandierenden, global aufgestellten Mittelständlers zu transformieren und nah am Business neu aufzustellen, war eine Aufgabe, die ihn reizte. Die Voraussetzungen waren günstig: Das Siegwerk-Management hatte erkannt, dass sich der gesamte Konzern wandeln und die IT als einen der wichtigsten Wertschöpfungshebel verstärkt in den Mittelpunkt stellen muss.
Der Markt für Druckfarben ist gar nicht langweilig
Die Rahmenbedingungen waren nicht einfach: Siegwerk wächst in einem sich rasant ändernden Geschäftsumfeld organisch, aber auch durch internationale Zukäufe. Der Markt für Druckfarben ist spannender, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Ständig werden neue Technologien entwickelt, um in so unterschiedlichen Geschäftsfeldern wie Flexible Verpackungen, Bogenoffset, Liquid Food Packaging oder Papier & Karton erfolgreich zu sein. Durch die Akquisition von AGFAs UV-Inkjet-Bereich für Verpackungs- und Etikettendruckfarben ist zudem der Bereich Digitaldruck dazugekommen.
Kaum ein Unternehmen würde sich in diesen Tagen nicht als kundenzentriert bezeichnen, aber bei Siegwerk ist laut El Ashmawy ein enger Draht zum Kunden absolut erfolgskritisch. "Für uns lauten die zentralen Fragen: Wie können wir anhand der sich ständig ändernden Kundenanforderung lernen, und wie können wir das Gelernte als Grundlage für adäquate und innovative Lösungen heranziehen?"
Als er den CIO-Job bei Siegwerk antrat, bestand eine seiner ersten Amtshandlungen darin, eine neue IT-Strategie zu entwickeln. Ihr Fokus sollte einerseits auf einem holistischen Business-IT-Alignment entlang der Anforderungen aus dem Business liegen, zum anderen sollten die neuen digitalen Möglichkeiten, die der Markt zu bieten hat, konsequenter als bislang genutzt werden.
Aufzuräumen braucht seine Zeit
Schnell wurde es klar, dass es erforderlich ist, den "Hinterhof aufzuräumen" und so die technischen Grundlagen für die neue IT-Strategie zu schaffen, die immerhin 80 Niederlassungen in 38 Ländern betrifft. Die gesamte IT Infrastruktur muss modernisiert werden, angefangen beim Wide Area Network (WAN), Cyber Security, Hosting sowie Standardisierung im Back- und Front-End. Dieser Prozess dauert noch an.
"Wir haben uns für die Einführung robuster, global verfügbarer Netzwerke und einen Cloud-First-Ansatz entschieden. Von unseren eigenen Rechenzentren wollen wir uns nach und nach trennen", berichtet der IT-Manager. "Und wir haben beschlossen, den in der Vergangenheit bereits begonnenen Rollout von SAP fortzuführen und dadurch weltweit einheitliche, standardisierte Prozesse einzuführen."
Cloud First betrifft auch den digitalen Arbeitsplatz, eine von fünf zentralen Säulen in der IT-Strategie von Siegwerk. Man entschied sich dabei für eine breite Einführung von Microsoft Office 365: E-Mail-System, Office, Sharepoint, Yammer, Skype for Business, OneDrive - all das kommt in Zukunft aus der Azure-Cloud. Auch ein selbstentwickeltes technisches CRM-System wurde in die Microsoft-Wolke gehievt. Mittelfristig soll auch eine strategische einheitliche CRM-Plattform etabliert werden.
Konzerntöchter in einem SAP-Mandanten
Siegwerk hat sich entschieden, alle Konzerntöchter in einem SAP-Mandanten zu integrieren. Bis Ende dieses Jahres soll der Wechsel auf die HANA-Datenbank geschafft sein. Gehostet wird die ERP-Lösung in einer Private Cloud. Da der Farbenproduzent immer wieder auch kleine Unternehmen weltweit zukauft, arbeitet er auch an einem "SAP for small countries", wie El Ashmawy sagt, um diese Unternehmen möglichst schnell integrieren zu können.
Ab Mitte 2020 wird dann der konzernweite Wechsel auf S/4HANA angestrebt. Parallel beschäftigt sich der Farbenhersteller mit einem Business-Warehouse-for-HANA-Projekt und nutzt zudem die SAP-Cloud-Lösungen hybris für E-Commerce, SuccessFactors für das Personalwesen und Concur für das Reisemanagement.
"Wir haben heute rund 300 verschiedene Systeme im Einsatz", sagt El Ashmawy, "unser Ziel ist es, diese zu konsolidieren und nach und nach in die Cloud zu schieben. Bis Ende 2020 wollen wir damit fertig sein und kein eigenes Rechenzentrum mehr haben." Wo eine Public-Cloud-Lösung nicht möglich oder sinnvoll sei, werde man auf eine gemanagte Private Cloud setzen. "Wir werden in Kürze mit der Providerauswahl beginnen", so der CIO.
Neben dem digitalen Arbeitsplatz nennt El Ashmawy vier weitere "Pfeiler" der IT-Strategie für Siegwerk:
Customer Journey,
Digitalisierung in der Produktion,
globale IT Organisation.
Dabei ist es ihm wichtig festzuhalten, dass Headcount und Budgets für die gesamte IT-Strategie langfristig geplant wurden und die Phase starker Investitionen bis etwa 2022 andauern soll. "Danach wollen wir einen Return on Investment haben!"
Customer Journey
Wie so viele Unternehmen unterhält auch Siegwerk eine "Digital Unit" in Berlin, die sich mit Innovationsthemen beschäftigt und in diesem Fall explizit den Auftrag hat, nahe an der Kundenschnittstelle zu arbeiten. CEO Herbert Forker hatte Wert darauf gelegt, ein Team mit Zugang zur Berliner Startup-Szene aufzustellen, damit es helfen kann, moderne und innovative Lösungen rund um kundenspezifischen Anforderungen zu entwickeln.
Im Zentrum der Bemühungen stand zunächst die Entwicklung eines Kundenportals, in dem die Siegwerk-Kunden ihre Bestellungen online aufgeben und deren Bearbeitung nachverfolgen kann. In vielen Branchen sei es gang und gäbe, dass man den Abnehmer genau informieren könne, wann welche Waren bei ihm eintreffen. "Für unsere Branche ist das noch neu", so der CIO, "wir möchten es global einführen und mit den lokal gängigen Tools - in China ist das beispielsweise WeChat - integrieren. Mit dieser Plattform möchten wir uns darüber hinaus in die Prozesse des Kunden integrieren, um ein besseres Vendor Managed Inventory anbieten zu können", sagt El Ashmawy.
Durch das digitale Ökosystem in Berlin werden aktuell weitere digitale Initiativen entlang der Wertschöpfungskette inspiriert. Man wolle die Kontaktpunkte zu den Kunden optimieren und ihre Bedürfnisse besser verstehen, sagt der IT-Manager. "Uns war wichtig, dass wir das Team in Berlin nicht an Apps und User Interfaces arbeiten lassen, ohne dass sie eine Ankoppelung an das Geschäft haben", begründet El Ashmawy. "Deshalb suchen wir vorzugsweise Siegwerk-interne Mitarbeiter aus, lassen sie ein bis zwei Jahre in Berlin arbeiten und binden sie dann wieder in unser Geschäft ein. Als Multiplikatoren können sie die neuen Ideen und Arbeitsweisen weitergeben."
Sorgen, dass sich eine Zweiklassen-Gesellschaft in der IT herauskristallisieren könnte, hat der IT-Verantwortliche ohnehin nicht. "Wir haben viele richtig interessante Aufgaben in allen Bereichen des Unternehmens rund um den Globus, und agile Arbeitsprinzipien verfolgen wir hier wie dort."
Digitalisierung in der Produktion
Die Digitalisierung in der Produktion und der Einsatz von Robotertechnik in den Laboren sind für Siegwerk ein zweiter großer Hebel, um Wettbewerbsvorteile durch Digitalisierung zu erzielen. "Wir haben immer noch Fabriken, die nicht optimal automatisiert sind", räumt der CIO ein. Hier arbeitet die IT eng mit der konzerneigenen Supply-Chain-Management-Unit (SCM) zusammen, um verschiedene Industrie-4.0- Szenarien zu entwickeln. "Wir haben dafür Projekte auf allen Kontinenten vorgesehen", so der CIO.
Siegwerk wolle seine Produktionsprozesse komplett aus dem SAP-System heraus überwachen. Gleichzeitig will man Daten gewinnen, um die Produktionsprozesse zu verbessern und schließlich auch Predictive-Maintenance-Szenarien umzusetzen.
Künstliche Intelligenz
Über Projekte im Bereich der Künstlichen Intelligenz zu sprechen, fällt dem CIO nicht leicht, handelt es sich doch um geschäftskritische Vorhaben, die hier in Vorbereitung sind. Ziel sei eine einfache und zeitnahe Gewinnung von Informationen, um besser Prognosen treffen und Entscheidungsprozesse unterstützen zu können, sagt El Ashmawy.
Globale IT-Organisation
Um all die Pläne in time und budget umsetzen zu können, stellt El Ashmawy seine IT als globale Organisation mit bestimmten Schwerpunkten auf. Dabei arbeitet die IT-Zentrale in Siegburg mit Hubs in Indien und Mittelamerika zusammen. In Indien beherrscht das IT-Team die SAP-Welt besonders gut, in Mexiko sitzen Experten für IT-Infrastruktur und den Betrieb. Die globale Ausrichtung des Unternehmens, aber auch die Vielzahl der neuen innovativen Themen, ziehen dem Unternehmen zufolge global neue Talente zur Konzern-IT.
Erfolgskritisch sind für El Ashmawy die volle Unterstützung des Managements und die globale Steuerung. "Es war sehr wichtig für uns, dass wir gemeinsam mit dem Vorstand eine IT- und Digitalisierungsagenda definiert haben. Die ist im Unternehmen kommuniziert - mit Kosten, klaren Zielen und einem überzeugenden Governance Model. Letzteres mag nicht sonderlich interessant klingen, aber es ist absolut entscheidend. Ohne das funktioniert es nicht!"