Die ESG-Berichterstattung entwickelt sich für Unternehmen auf der ganzen Welt zu einem wichtigen Faktor. Vorschriften in der EU, den USA und darüber hinaus verschärfen den Druck, das Verhalten der Organisationen zu ändern. Einstmals theoretische Ziele bezüglich der Umwelt, des Sozialen und der Unternehmensführung haben sich in Verpflichtungen verwandelt.
Damit rücken CIOs - als langjährige Hüter der Daten - in den Mittelpunkt dieser Initiativen. Sie müssten vor allem sicherstellen, dass ESG-Daten verfügbar, transparent und verwendbar sind, sagt Ivneet Kaur, Managerin beim Identitätsdienstleister Sterling. "CIOs sind in einer einzigartigen Position, da sie verstehen, was genau benötigt wird und wie es umgesetzt werden kann."
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Auch Amy Cravens, Research-Managerin für GRC- und ESG-Management bei IDC, attestiert dem IT-Chefinnen und -Chefs eine wichtige Rolle, speziell in der Anfangsphase der Datenbeschaffung und -aggregation. "Mit zunehmender Regulierung steigt der Bedarf an überprüfbaren, datengestützten ESG-Berichten, was die Relevanz der Daten und auch die Rolle des CIOs stärkt."
ESG-Berichte für die Allianz
Für Allianz Technology ist die ESG-Berichterstattung eine umfassende Aufgabe. Als interner Technologiedienstleister für die Muttergesellschaft Allianz SE beschäftigt das 15.000 Mitarbeiter zählende Unternehmen mehr als 100 ESG-Experten. Diese verbringen jedes Jahr Wochen damit, ESG-Daten manuell zu erfassen und zu melden.
Birgit Fridrich, seit Ende 2022 bei der Allianz als Nachhaltigkeitsmanagerin für die ESG-Berichterstattung zuständig, verbringt viele Stunden damit, Daten im Tool "Microsoft Sustainability Manager" zu validieren. "Datenqualität ist das A und O, aber wenn wir das manuell machen, kann es zu Fehlern kommen. Das ist unsere größte Herausforderung", sagt Fridrich. Sie wünsche sich stärkere Digitalisierung und Automatisierung, damit sie ihre Zeit investieren kann, um ESG-Initiativen voranzutreiben.
Hilfe ist auf dem Weg, aber sie kommt nicht über Nacht. Rainer Karcher, Chief Sustainability Officer bei Allianz Technology, war 26 Jahre lang in der IT-Branche tätig und kennt den Bedarf an zuverlässigen, leicht verfügbaren ESG-Daten. Als früherer Leiter der IT-Nachhaltigkeitsabteilung bei Siemens weiß er auch um die Herausforderung, diese zu liefern.
Siemens hat 365.000 Produkte in seinem Portfolio, von Schaltern bis hin zu Zügen (die ihrerseits aus Millionen von Teilen bestehen), und mehr als 65.000 Tier-1-Lieferanten. "Um etwa den ökologischen Fußabdruck eines Zuges genau angeben zu können, muss sichergestellt werden, dass jeder einzelne Lieferant genaue Daten auf zuverlässige Weise liefert", berichtet Karcher aus der Praxis. Die Komplexität sei auf einem höheren Level, selbst für einfachere ESG-Informationen wie den Energieverbrauch in Kilowattstunden sind auch die Metadaten der Informationen erforderlich - "einschließlich des Datums, an dem die Daten erfasst wurden, und der Datenqualität", so Fridrich.
Die Aufgabe ist so umfangreich, dass Karcher im Oktober 2022 mit der Entwicklung der ESG-Reporting-Strategie beauftragt wurde. Seitdem hat der Manager ein 18-köpfiges Team aufgebaut und die bestehenden ESG-Datenstrukturen sowie die rechtlichen Anforderungen evaluiert. "Was auch immer wir tun, wir brauchen Transparenz bei allen Datenstrukturen, Prozessen und der Verwaltung, um eine 'Single Source of Truth' zu haben", betont Karcher. Er benötige zudem eine verlässliche und revisionssichere Grundlage für die Einhaltung von Vorschriften.
Automatisieren manueller Prozesse
Die ESG-Experten des Unternehmens von der manuellen Berichterstattung zu befreien, hat für Karcher oberste Priorität. Die IT ist unerlässlich, um den Prozess zu digitalisieren und zu automatisieren.
Eine Situation, die vielen Unternehmen bekannt sein dürfte: "Nur wenige Firmen haben vollautomatische ESG-Datenerfassungs- und Überwachungsinstrumente eingeführt; die meisten sind immer noch auf unzuverlässige manuelle Verfahren angewiesen", berichtet Meenakshi Narayanan, Analystin der Everest Group. "Ein Thema ist der Ressourcenmangel, da sich die ESG-Berichterstattung in Verbindung mit der Finanzberichterstattung zu einer umfangreichen Aufgabe entwickelt."
Die ganze Organisation einbinden
Um erfolgreich zu sein, müssen CIOs zunächst verstehen, wie die ESG-Berichterstattung in die Geschäftsstrategie des Unternehmens passt, ergänzt Kaur von Sterling. Dann sollten sie sich mit den richtigen Personen im Unternehmen zusammenschließen. CFOs und CSOs stünden ganz oben auf der Liste, aber CIOs sollten noch weiter gehen, denn "der Großteil der Nachhaltigkeits- und ESG-Story spielt sich in vorgelagerten Prozessen ab", sagt Marsha Reppy, GRC Technology Leader bei EY Global und EY Americas. "Sie werden kaum erfolgreich sein, wenn Beschaffung, F&E, Produktion, Vertrieb, Personalwesen, Recht und Steuern nicht mit am Tisch sitzen."
Trotz der holistischen Sicht sollte indes das Dreigestirn aus CIO, CFO und CHRO das ESG-Reporting vorantreiben, fordert Kaur. "Eine solche Partnerschaft hat den Vorteil, dass sie eine einheitliche Sichtweise mit den richtigen Zielen hervorbringt."
In der IT-Organisation anfangen
Laut Allianz-Manager Karcher ist es ein guter Ansatz, mit der Berichterstattung über die ESG-Auswirkungen der IT zu beginnen. Er rät CIOs, diejenigen in der IT-Abteilung zu finden, die sich für das Thema begeistern, um den Prozess zu starten.
Dazu gehöre auch, sich mit der ESG-Terminologie vertraut zu machen. "Scope 1, 2 und 3 sind für viele in der IT ein großes Fragezeichen." SustainableIT.org, in deren Vorstand sowohl Kaur als auch Karcher sitzen, bietet CIOs kostenlose Frameworks, Daten und Reporting-Standards sowie Fallstudien und praktische Ratschläge von IT-Experten.
Den Prozess für die IT zu durchlaufen, verschaffe CIOs ein besseres Verständnis dafür, was für das gesamte Unternehmen getan werden muss, sagt Karcher: "Man lernt die Begriffe und wie man die richtigen Datenquellen identifiziert. Dann ist man in einer besseren Position, um mit dem CSO oder dem CFO an der ESG-Berichterstattung zu arbeiten."
Stolperfallen in ESG-Datenstrukturen
Es ist ein weites Feld, das von der Dokumentation der Prozesse und Abteilungen über Fragen des Datenmanagements und der -analyse bis zu einer ESG-Roadmap führt, die mit der IT-Strategie synchronisiert und trotzdem noch flexibel ist. Bei der Bewertung der bestehenden Prozesse sollten CIOs auf Herausforderungen wie manuelle Berichterstattung, schlechte Datenqualität und isolierte Systeme achten, rät Allianz-Technologie-Manager Karcher. Er setzte sein neues Team umgehend ein, um alle Datenquellen zu identifizieren, die für die manuelle ESG-Berichterstattung verwendet werden.
Danach wurde ein Katalog von ESG-Standards und -Regeln erstellt, die im Detail definieren, was Nachhaltigkeit für verschiedene Aspekte von Technologie und Betrieb bedeutet. In diesem Jahr wird das Team alle ESG-Datenquellen mit dem Allianz Data Lake verbinden, der auch die Geschäfts-, Finanz- und Personaldaten des Mutterkonzerns enthält.
Auf diese Weise kann Karchers Gruppe ein ESG-Datenangebot für die anderen 64 Unternehmen der Allianz SE erstellen. "Digitalisierung und Automatisierung sind der Schlüssel zur Datenqualität, die wir für CSRD brauchen", ergänzt ESG-Managerin Fridrich. "Wir müssen uns auf die Daten verlassen können, sonst ist es nur eine Vermutung."
Eine Reise ist mehr als ein Ziel
Obwohl es sich um eine große Aufgabe handelt, sollte Fortschritt stückweise stattfinden. "Verbringen Sie nicht so viel Zeit mit der Entwicklung eines Plans, der zwischendurch veraltet und nicht mehr umsetzbar ist", empfiehlt Daragh Mahon, CIO von Werner Enterprises. Er hat vor kurzem eine ESG-Berichtsplattform für den Anbieter von Transport- und Logistikdienstleistungen eingeführt.
Mahon betrachtet die ESG-Berichterstattung wie ein Produkt, das kontinuierlich gewartet und weiterentwickelt werden muss, um seinen Zweck zu erfüllen. "Gehen Sie bei der Strategieentwicklung iterativ vor und achten Sie mehr auf die nächsten Etappen, um dort ins Detail zu gehen."
Die Rolle der IT
In der Allianz hat es sich als hilfreich erwiesen, kontinuierlich zu kommunizieren, um die Rolle der Karcher-Nachhaltigkeitsgruppe (und der IT-Organisation) bei der laufenden ESG-Berichterstattung und Strategiearbeit zu klären. Viele Unternehmen sehen diejenigen, die die Grundlage für die ESG-Berichterstattung schaffen, auch als dafür verantwortlich an.
Deshalb hat Karcher eine Community von 350 Personen innerhalb des Versicherungskonzerns aufgebaut, die sich im Rahmen ihrer täglichen Arbeit für Nachhaltigkeit in bestimmten Bereichen einsetzt und ESG-Bemühungen im Unternehmen verankert. "Das war eine grundlegende Veränderung, um sicherzustellen, dass wir als Ratgeber und Unterstützung für ESG gesehen werden und nicht als das Team, das ESG betreibt", so Karcher.
"Letztendlich ist das ESG-Reporting eine Reise, die mit der Zeit immer ausgereifter wird", bilanziert Cravens von IDC. Das liege auch daran, dass es nicht nur um die Daten gehe, sondern um eine datengesteuerte Transformation. Ein weiterer Grund für CIOs, sich in den Mittelpunkt der Bemühungen zu stellen: "Daten sind der Kern des Problems, aber Datenanforderungen, die nicht in die Geschäftsprozesse integriert sind und für die es kein organisatorisches Änderungsmanagement gibt, werden Sie nicht weit bringen", warnt Reppy von EY. "CIOs bietet sich die Chance, auch ihre große Erfahrung mit technologiegestützten Transformationen in einem Bereich einbringen, der diese dringend benötigt." (ajf/jd)