Für Bewerbende und neue Mitarbeitende stehen auch die Führungskräfte auf dem Prüfstand. Leider kommt es gar nicht so selten vor, dass sich die interessantesten Bewerber aus dem Einstellungsverfahren früh verabschieden; sie haben die besten Alternativen. Passiert das öfter, so hat das mit Ihrer Führung zu tun, denn HR allein kann es nicht richten. Vorstände und ihre Führungskräfte sind Schlüsselfiguren, wenn es um einen Neustart geht.
Der Erstkontakt zum Bewerber: kollegial, kompakt und konsequent
Schon beim Start kann einiges schiefgehen; denn nach einer aktuellen Forsa-Studie sagen 90 Prozent der Personalleitenden, dass Kandidaten im laufenden Verfahren abgesagt haben, bei 24 Prozent der Befragten sogar häufig bis sehr häufig. Gefragt ist Cleverness, die überzeugt.
Das bedeutet für Sie: Transparenz von Anfang an. Gehen Sie mit Bewerbern wenige, gut überlegte Schritte, und legen Sie für jeden Schritt ein Ziel fest; so geben Sie auch Bewerbern Orientierung. Ihr Einstellungsverfahren können Sie veröffentlichen, zum Beispiel auf der Karriere-Homepage. Für Bewerber wird der Start damit berechenbar. Ein Beispiel für einen gut gepflegten Praxisprozess zeigt die Tabelle.
Einstiegspunkte für das Erstgespräch
Voraussetzung klären. Klären Sie mit wenigen Fragen im Bewerbungsformular zentrale Voraussetzungen für die Stelle. Das können Sprachkenntnisse, Projekterfahrungen oder Gehaltsvorstellungen sein. Diese Basics gehören an den Anfang und bieten einen guten Einstiegspunkt für das Erstgespräch.
Klare Anforderung, aber nicht in Stein gemeißelt. Gestalten Sie Ihr Anforderungsprofil klar, aber nicht als Sammlung von Maximalvorstellungen. Sichten Sie Bewerbungen flexibel; bringt ein Bewerber andere, aber für das Unternehmen wichtige Erfahrungen mit, passen Sie Ihr Aufgabenportfolio an. So kommt das Beste aus beiden Welten zusammen.
Quick Apply nutzen. Ersparen Sie Bewerbern Umständlichkeit - bieten Sie Quick Apply an, also die Kurzbewerbung ohne umständliche Registrierung oder Kontoerstellung auf einem Bewerbertool. Dazu gibt es praxiserprobte digitale Lösungen.
Duzen baut Vertrauen auf? Prüfen Sie diese Hypothese. Professor Uwe Kanning hat dazu in seiner Studie festgestellt: Weder in der Stellenanzeige noch im Einstellungsinterview präferieren die Befragten ein Duzen. Vertrauen entsteht wohl eher durch Respekt und Aufmerksamkeit.
Machen Sie mehr aus dem Interview! Noch immer ist es üblich, dass der Bewerber seinen Lebenslauf rezitiert, den sie schon vor sich haben. Deutlich sinnvoller ist ein strukturiertes Interview. Führungskräfte fragen dabei nach konkreten Arbeitsstationen und lassen sich erläutern, wie Bewerber herausfordernde Situationen tatsächlich bewältigt haben. Das strukturierte Interview nutzt allen Beteiligten: Bewerber zeigen, was sie können, und Sie schätzen Bewerberkompetenzen realistisch ein.
Verhandeln als Mittel der Begegnung. Manche Bewerber mögen Vorstellungen oder Wünsche haben, die Ihnen unpassend erscheinen. Hier hilft das Harvard-Konzept für Verhandlungen; im Mittelpunkt stehen nicht Wünsche oder Forderungen, sondern Interessen. Warum ist es einem Bewerber beispielsweise wichtig, vier Tage zu arbeiten? Gibt es andere Möglichkeiten, seinen Bedürfnissen entgegen zu kommen? Und warum wäre es für Sie als Arbeitgeber eine große Herausforderung, diesem Wunsch zu entsprechen? Beidseitige Einsichten erleichtern es, die andere Seite zu verstehen, anstatt entnervt abzulehnen. Oft führt das zu Lösungen, die die Interessen beider Seiten berücksichtigen.
Last but not least: Sie selbst. Wissen Sie, wie Sie in Interviews wirken - und wenn ja, woher? Gerade obere Führungskräfte und Unternehmer erhalten eher selten Feedback zu ihrem Gesprächsverhalten. Leisten Sie sich ein Interviewtraining oder ein Coaching beim Auswahlprofi, das Ihnen weitere Sicherheit gibt!
Vertrag unterschrieben? - Jetzt kann noch viel passieren
Die Zeit nach der Vertragsunterzeichnung ist eine sensible Phase für die Mitarbeiterbindung. Oft pflegen Führungskräfte in dieser Zwischenzeit wenig Kontakt zu neuen Mitarbeitern - dieses Funkloch kann sich rächen. Nach einer Erhebung in den USA durch das Job-Portal Indeed haben 83 Prozent der Arbeitgeber schon "Ghosting" durch Bewerber erlebt. Das bedeutet, dass der Bewerber die Stelle gar nicht antritt und zu Arbeitsbeginn nicht mehr zu erreichen ist. Auch in Deutschland, so Experten, sei das Phänomen immer häufiger anzutreffen.
Dabei ist es keineswegs ungewöhnlich, dass ein Bewerber seine Job-Entscheidung nach Vertragsunterzeichnung in Frage stellt. Wenn ein Mitarbeiter die alte Stelle kündigt, passiert in seinem Umfeld oft eine Menge. Häufig bietet das bisherige Unternehmen sehr schnell eine alternative, attraktive Stelle oder eine Gehaltserhöhung an. Headhunter, mit denen der Bewerber schon einmal gesprochen hat, machen weitere, interessante Angebote. Nicht zu unterschätzen ist auch das private Umfeld des Bewerbers, das sich ebenfalls zur beruflichen Veränderung äußert, etwa nach dem Motto: Lebt es sich nicht besser mit der bisherigen Stelle?
Sie können eine Menge tun, damit der Bewerber nicht abspringt. Der Praxistipp: Kommunizieren sie unaufdringlich, aber aktiv mit dem neuen Mitarbeiter. Schreiben Sie hin und wieder eine persönliche Mail von Ihrem Account, etwa mit Informationen dazu, was sich gerade in der Abteilung tut; so bleiben Sie im Orbit des Bewerbers. Ihre Verbindlichkeit lädt auch den Neuen zur Verbindlichkeit ein.
Onboarding: gut gemeint, aber nicht gut gemacht?
Auch die erste Zeit im Job läuft nicht immer rund: 17,8 Prozent der Befragten haben nach einer Studie eine Stelle innerhalb von 100 Tagen aufgegeben, weil das Onboarding schlecht war. Dass einiges schieflaufen kann, ist nachvollziehbar. In der Einarbeitung der Neuen sind verschiedene Stellen involviert: die HR-Administration und die Gehaltsabrechnung, Führungskräfte, Kollegen und oft auch schon externe Partner. Entscheidend ist auch, wie die neuen Kollegen die Einarbeitung erleben. Für häufigen Frust sorgen gefühlte Isolation oder Überforderung, Unklarheit über Aufgaben und Verantwortung sowie erlebte Unfreundlichkeit oder gar Abweisung.
Das heißt in der Praxis: Bieten Sie die richtigen Infos in angemessenem Umfang und in überlegten Schritten. So kommen Mitarbeiter am besten in produktives Arbeiten. Es ist Ihre Aufgabe, die Einarbeitung aufzusetzen und Struktur zu schaffen. Wichtig ist ein Gesamtworkflow für das Onboarding. Nehmen Sie die Perspektive des Mitarbeiters ein: Ist die Einarbeitung eher ein Puzzle oder ein Prozess und funktioniert der Ablauf logisch und reibungslos?
Sicherheit durch relevante Ansprechpartner
Der Mitarbeiter sollte wissen, wer ihn zu administrativen Fragen betreut und wer bei IT-Fragen hilft; es ist nicht lustig, wenn zentrale Passwörter fehlen. Informieren Sie vorab das Umfeld zur Rolle des neuen Mitarbeiters und schaffen Sie Zeit und Gelegenheit, Kollegen kennen zu lernen. Für eine neue Projektleiterin ist es beispielsweise wichtig, die Stakeholder des Projektes kennen zu lernen; in die Projektsoftware kann sie sich immer noch einarbeiten.
Eine händisch organisierte Einarbeitung ist aufwändig und fehleranfällig. Nutzen Sie daher digitale Lösungen, um das Onboarding zu gestalten; diese gibt es auch für kleine und mittlere Unternehmen.
Unterstützen Sie den Lernprozess in der Einarbeitung. Nützlich sind kleinere Lerneinheiten zu Themen, die der Mitarbeiter für den Einstieg braucht. Weniger hilfreich sind umfangreiche oder schwer verständliche Lernprogramme, die der Mitarbeiter ohne Nachfragemöglichkeit durcharbeiten muss. Gute Learning Management-Systeme binden bewusst die interne Lerncommunity mit ein. So lassen sich Netzwerken und Lernen verbinden - ein optimaler Start.
Last but not least: seien Sie ehrlich, wenn etwas im Onboarding von Ihrer Seite nicht rund gelaufen ist - von erster Gehaltszahlung bis zu gegenseitigen Erwartungen. Realistische Ansagen stärken das Vertrauen von Anfang an; sie ermutigen auch den neuen Mitarbeiter, Unsicherheiten, Freude oder Frust anzusprechen.
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