Diess holt Qualcomm an Bord

So wandelt sich Volkswagen zum Digitalkonzern

05.05.2022
Wenn in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts "Robo-Autos" wirklich alltagstauglich werden sollen, ist dafür spezielle Hard- und Software nötig. Volkswagen konkretisiert seine Pläne dazu. Der Konzern verändert sich wie nie.
Herbert Diess, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG: "Wir haben bisher Software kaum selbst gemacht - das hat der Bosch, der Conti für uns gemacht. Wir haben das dann gekauft mit den Rechnern."
Foto: Volkswagen AG

Für die Entwicklung des autonomen und hochautomatisierten Fahrens holt sich der Volkswagen-Konzern mit dem US-Chiphersteller Qualcomm nach Bosch das nächste Schwergewicht an Bord. Die Amerikaner übernehmen ab Mitte des Jahrzehnts die Ausstattung verschiedener neuer Modelle aus Europas größter Autogruppe, wie die VW-Software-Sparte Cariad bekanntgab.

Dabei geht es um ein "System on Chip", das für Technologien rund um komplexe Assistenzfunktionen bis zum selbstfahrenden Wagen konzipiert wurde. VW-Chef Herbert Diess kündigte an, alle Konzernfahrzeuge, die später einmal einheitliche Software von Cariad bekommen, würden mit der Qualcomm-Technik ausgerüstet. Der 2026 startende Trinity etwa soll auf einer komplett neuen Plattform entstehen. Gleichzeitig arbeite man mit den Partnern Intel und Mobileye intensiver als bisher zusammen.

Die Wolfsburger hatten im Januar angekündigt, sich bei der Software für autonome Fahranwendungen Unterstützung von Bosch zu holen. Bosch wiederum will sich in dem Bereich mit Zukäufen verstärken.

Aufbau eines eigenen Chipdesigns

Bei der Hardware verfolgt VW parallel Pläne zum Aufbau eines eigenen Chipdesigns. Als Vorbild gilt der Elektroautokonzern Tesla. Die Kooperation mit Qualcomm sei auch ein wichtiger Schritt, Cariads eigene Fähigkeiten bei Hochleistungshalbleitern zu stärken, hieß es.

Grundsätzlich will der Konzern in den kommenden Jahren mehr interne Kapazitäten schaffen, um passgenaue Systeme zur Verfügung zu haben. Die Qualcomm-Teile seien geeignet, präzise an die geplante Software-Plattform angepasst zu werden, erklärte Cariad.

Bisher soll es in der Abstimmung noch Reibereien geben. Töchter wie Audi oder Porsche haben separate IT-Konzepte. Bei einer Veranstaltung der "Wolfsburger Allgemeinen Zeitung" und der "Wolfsburger Nachrichten" sagte Diess: "Dieser Aufbau der Software-Kompetenz ist der größte Umbruch, den die Automobilindustrie meistern muss. Dass wir gut unterwegs sind, finde ich schon." Nach den schwierigen Anläufen beim Golf 8 und ID.3 seien neuere Software-Versionen besser gelungen.

Dramatischer Strukturbruch

Der Wandel vom reinen Autobauer zum Digitalkonzern mit eigener IT-Entwicklung sei "ein Thema, das wir auch in fünf Jahren noch nicht endgültig gelöst haben werden". Tesla habe ebenfalls lange gebraucht. Der Strukturbruch sei "dramatisch und auch ein bisschen traumatisch für unsere Industrie", sagte Diess.

Qualcomm rüstet bereits einige andere Autobauer aus. Mittelfristig zumindest einen Teil der Elektronikanwendungen im Fahrzeug auf einer Grundarchitektur selbst zu entwerfen, gilt jedoch als sinnvoll - auch in Anbetracht der Halbleiterkrise. So können Hersteller Steuergeräte-Elemente direkt mit den Chipproduzenten vereinbaren, statt auf Vorprodukte dazwischen geschalteter Zulieferer angewiesen zu sein. Zudem soll die eigene Software laufend updatefähig bleiben.

Ziel ist es, eigenhändig entworfene Systeme "ins Auto zu schicken", wie Diess sagte. "Das ist für unsere Industrie eine ganz große Herausforderung, weil wir bisher Software kaum selbst gemacht haben - das hat der Bosch, der Conti für uns gemacht. Wir haben das dann gekauft mit den Rechnern."

Im VW-Aufsichtsrat gehört der bisher etwas ruckelige Start von Cariad zu den Themen, die von strategischer Bedeutung sind. "Wir müssen als Unternehmen auch unsere Kompetenzbasis beim Thema Chipdesign deutlich anreichern und das gesamte Geschäft durchdringen, damit wir in der Lage sind, hier eigene Beiträge zu leisten", sagte Chefkontrolleur Hans Dieter Pötsch im vergangenen Jahr. Die neue Betriebsratschefin und Aufsichtsrätin Daniela Cavallo sieht ebenso ein zentrales Thema. "Das ist hier erkannt - doch bis das letztlich alles aufgebaut ist, vergeht eine gewisse Zeit", meinte sie jüngst. VW hat auch rund zwei Milliarden Euro in das mit Ford betriebene Start-up Argo AI gesteckt.

Qualcomm ist noch in weiteren Bereichen aktiv. Die Kalifornier stellen etwa Hauptprozessoren für Smartphones her, und ihre Technik steckt auch in Apple-Produkten. (dpa/rs)