"Ich werde dieses Buch nicht lesen, vielleicht in einem Jahr, wenn ich da noch da bin" hat Steve Jobs seinem Biographen Walter Isaacson auf den Weg gegeben und ihm freie Hand gelassen, Leben und Werk des Apple-Gründers auch aus einem kritischen Blickwinkel zu betrachten. Wie sehr die Zeit drängte, das Buch zu verfassen, sei Isaacson laut Vorwort erst Silvester 2009 bewusst geworden, als er sich mit einem bereits ernsthaft geschwächten Jobs, seiner Frau und seiner leiblichen Schwester Mona Simpson in Jobs’ Haus traf. Vorherige Ansinnen von Steve Jobs und seiner Frau hatte Isaacson freundlich zurückgewiesen, er wollte die Biographie von Steve Jobs nicht schon während seiner bewegten Karriere verfassen.
Isaacson kam gerade noch rechtzeitig, im letzten Kapitel erlebt der Leser einen sterbenden Steve Jobs und erschaudert ob der geschilderten Szenen: Seinen Rücktritt als CEO hatte Jobs dem Aufsichtsrat noch persönlich mitgeteilt, musste dafür aber heimlich auf das Gelände in Cupertino gebracht und im Rollstuhl in den Konferenzraum geschoben werden.
Seit Juli war es mit Jobs rapide bergab gegangen, da der Krebs in die Knochen gestreut hatte. Zum letzten Interview mit Isaacson Ende August konnte er das Krankenlager bereits nicht mehr verlassen. Wie lange aber Isaacson - und damit Jobs - noch davon ausgingen, der Apple-Gründer könnte den Erscheinungstermin des Buches erleben, wird an vielen Stellen des Textes klar. Erst im Sommer waren sich Biograph, Portraitierter und Verlag wohl des Unausweichlichen bewusst, der Erscheinungstermin wurde von März 2012 zunächst auf November 2011 und schließlich auf Oktober vorgezogen.
Isaacson traf Steve Jobs selbst rund 40 mal zu Interviews, die teils auf langen Spaziergängen entstanden, die der Apple-Gründer für den Gedankenaustausch so sehr schätzte. Parallel befragte der Biograph auch Weggefährten, Kollegen, Konkurrenten und Ex-Freundinnen (ja, auch Joan Baez!), um das Bild des Lebens von Steve Jobs zeichnen zu können. Dabei sei er sich nicht selten des berühmten "Reality Distortion Field" gewahr geworden, Jobs’ habe oft seine eigene Form der Wahrheit gehabt, sei es aus getrübter Erinnerung oder aus bewusster Manipulation und Überzeugungskraft.
Zugleich erscheint Jobs als Meister der Verdrängung, der bestimmte Umstände vollständig ignoriert, solange er sich mit anderen Dingen beschäftigt. In einer verzerrten Wahrnehmung ignorierte Jobs auch neun Monate lang den ärztlichen Rat zu einer Operation, schon 2004 hatten die Mediziner erste Metastasen auf Jobs’ Leber entdeckt, lässt Isaacson den Leser wissen. Nach seiner Rückkehr zu Apple hatte Jobs aber im Jahr 2004 sich vor aller Welt als genesen bezeichnet.
Mach dir die Welt, wie sie dir gefällt
Man darf trotz der Macht des "Reality Distortion Fields", das im gesamten Buch als eine der wichtigsten Charaktereigenschaften von Steve Jobs gegenwärtig ist, davon ausgehen, dass Isaacson der Wahrheit näher gekommen ist als alle anderen Jobs- und Apple-Chronisten vor ihm. So räumt er etwa in dem 700-Seiten-Werk, das nicht weniger als sechs Übersetzer ins Deutsche übertragen haben, schon gleich im ersten Kapitel mit einem Mythos auf: Steve Jobs hat laut Isaacson schon im Kindesalter von seiner Adoption gewusst.
Die Erklärung der Adoptiveltern "Wir haben dich ausgesucht" sei womöglich ein Baustein der Persönlichkeitsstruktur des Apple-Gründers gewesen, der sich für auserwählt gehalten habe. Das Wissen über die Adoption habe in Steve Jobs eine innere Unruhe erzeugt, die nicht zuletzt Ursache für seine Beschäftigung mit indischer Spiritualität war.
Größenwahn und Egoismus, gepaart mit herausragender Intelligenz und Hingabe verschafften ihm aber zugleich den Job bei Atari, bei dem er intensiv mit Steve Wozniak zusammenarbeitete - und diesen wohl um den Bonus für die Entwicklung von "Breakout" betrog. Den jungen Steve Jobs als "schwierigen Charakter" zu bezeichnen, wäre ein Euphemismus.
Isaacson geht hier schonungslos vor, der alte Steve Jobs beruft sich bei der Konfrontation mit den Geschichten seinem Biographen gegenüber gerne auf Erinnerungslücken. Reumütig blickt er aber nicht zurück, die Wutausbrüche, das Abkanzeln von Mitarbeitern, die fehlende Empathie - das war Teil seines Charakters und wesentlicher Bestandteil seiner Arbeitsweise.
Isaacson bleibt in meist strenger Chronologie nahe an Steve Jobs und seinem Werdegang, warum Apple in der Zeit seiner Abwesenheit in welche Schwierigkeiten geraten ist, streift der Biograph nur am Rand - anhand der Entscheidungen, die Jobs nach seiner Rückkehr traf.
Vorteilhaft ist das Buch für die Figur des Produktvisionärs - Isaacson zeichnet nicht nur nach, wie Apples Revolutionen entstanden sind, sondern versucht auch zu erklären, welchen Einfluss Jobs darauf ausübte. Der Person schmeichelt das Werk hingegen wenig - Jobs hatte das zumindest in Kauf genommen, wenn nicht gar gefördert.
Mal erscheint dem Leser der Apple-Gründer wie ein trotziges Kind, dann wie ein verantwortungsloser Tyrann oder wie ein durchtriebener Manipulator, der seine Emotionen selten im Griff hat und für den Empathie ein Fremdwort ist. Die schonungslosen Schilderungen Isaacsons lassen aber ein Verständnis für das Wesen Apples wachsen und dessen radikale Konzentration darauf, das beste Produkt herzustellen.
Die Punkte verbunden
Isaacsons Portrait verbindet die Punkte, wie es Jobs in seiner Stanford-Rede von 2005 ausgedrückt hatte. Dass ein ordentlicher Handwerker sich auch um das Aussehen der Rückseite eines Möbelstücks kümmert, habe Jobs von seinem Vater gelernt - was erklärt, warum Apple viel Energie darauf verwendet, auch nicht sichtbare Details zu optimieren. Die Reduktion auf das Wesentliche, das Einfache im Komplexen zu finden, sei eine Lehre des Zen-Buddhismus, dem Jobs anhing.
Dass eine Firma schon durch ihre Erscheinung beeindrucken muss, weil die Menschen eben doch ein Buch nach seinem Cover beurteilen, brachte ihm Mike Markulla bei, früher Investor, CEO und President Apples. Und dass eigene Fabriken, in denen sogar die Lackierung der Produktionsroboter Gegenstand wochenlanger Diskussionen waren, nicht der Weisheit letzter Schluss sind, lehrten Jobs schließlich die Erfahrung bei Next und nicht zuletzt sein Nachfolger Tim Cook, der Apples Produktionskette auf höchste Effizienz trimmte.
Jobs sah seine größte Leistung aber nicht in herausragenden und "magischen" Produkten, sondern darin, Apple zu einer Firma zu formen, die solche Produkte dauerhaft herstellt. Dies sah er als wahres Unternehmertum an, wie er selbst in einer Art Nachwort - unter der bezeichnenden Überschrift "Ach ja, da ist noch eine Sache…" - erklärt: "Meine Leidenschaft bestand darin, eine überdauernde Firma aufzubauen, in der die Leute motiviert waren, großartige Produkte herzustellen. Alles andere war zweitrangig." Überlasse man den Vertrieblern die Firma, leite man damit deren Niedergang ein, was IBM, Xerox und auch Microsoft passiert sei. Und solange bei letzterem Ballmer das Sagen habe, werde sich bei letzteren nach Jobs’ Meinung sich nichts daran ändern.
Empfehlung
Die autorisierte Jobs-Biographie lässt keine Fragen zu Steve Jobs Werdegang und Persönlichkeit offen, an vielen Stellen bietet sie interessante neue Einblicke. Trotz des Umfangs von knapp über 700 Seiten (inklusive Anhängen) und der sechs verschiedenen Übersetzer liest sich das Buch flüssig und ohne Stilbrüche. Es ist aber bestimmt nur ein Zufall, dass der Text der deutschen Ausgabe auf Seite 666 endet - der Apple I hatte seinerzeit 666 US-Dollar gekostet.
Das Buch gibt es untern anderen bei Amazon: deutsche Fassung, englische Fassung.