CIO Sebastian Weber

So wechselt Eon in die Cloud

27.06.2024 von Jens Dose
In nur drei Jahren will Eon alle Rechenzentren abschalten und in die Cloud migrieren. CIO Sebastian Weber erklärt, wie der Energieversorger das macht.
Eon-CIO Sebastian Weber: "Unsere Strategie war: wenn wir von alter auf neue Hardware, von dem eigenen Rechenzentrum auf ein redundanteres Cloud-Rechenzentrum mit besseren Latenzzeiten wechseln, haben wir schon gewonnen."
Foto: Eon

"Ich glaube, am Anfang des Projektes hat uns niemand zugetraut, dass wir das schaffen," erinnert sich Eon-CIO Sebastian Weber an den Start der groß angelegten Cloud-Migration des Energieversorgers 2021. Die Initiative war Teil eines übergreifenden Digitalisierungsprogramms. (Lesen Sie mehr dazu im Artikel "Führen aus dem IT-Keller zur Transformation")

Praxis statt Powerpoint

Die Idee, die Rechenzentren abzuschalten, geistere bereits länger durch die IT-Planungsmeetings. Weber räumt ein: "Bei dem Cloud-Thema haben wir schon einige Jahre in Powerpoint verbracht. Wir haben es immer wieder theoretisch durchdrungen." Allerdings: Je tiefer man eintauchte, desto komplexer sei es erschienen, sodass bis zu seinem Amtsantritt 2021 noch nichts umgesetzt war.

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Das lag unter anderem an dem Umfang eines solchen Projekts. Zwar war die digitalisierte Operational Technology (OT), etwa Digital Twins von Leitständen, von dem Projekt ausgenommen, da sie als kritische Infrastruktur eingestuft ist. Die restliche IT-Landschaft hatte jedoch immer noch gigantische Ausmaße. Weber: "Alle Abrechnungssysteme oder auch Datenübertragungssysteme an den Regulator laufen in der IT, was die Cloud-Migration zu einem wahren Mammut-Projekt machte."

Der IT-Chef wählte daher einen anderen Weg. "Ich habe 2021 gesagt, wir sind in drei Jahren aus den eigenen Rechenzentren raus, wir fangen jetzt an und migrieren in einem Lift-and-shift-Ansatz," skizziert Weber seine damalige Vision.

Gegen alle Erwartungen

Weber wollte nicht erst Jahre lang die Modernisierung planen, um das ideale Cloud-Zielbild zu erreichen: "Erst migrieren und den Großteil der Modernisierung hinterher machen," lautete stattdessen das Credo des CIOs.

Diese Herangehensweise wurde von einer Auswertung der größten IT-Vorfälle unterstützt: "Ein Großteil der Downtimes, die wir erlebten, hingen mit einem Rechenzentrum zusammen, das der Zeit nicht mehr gewachsen war," erinnert sich Weber.

Das begünstigte den Lift-and-Shift-Ansatz. "Unsere Strategie war: wenn wir von alter auf neue Hardware, von dem eigenen Rechenzentrum auf ein redundanteres Cloud-Rechenzentrum mit besseren Latenzzeiten wechseln, haben wir schon gewonnen," so der CIO.

Eon setzt dabei auf eine Multi-Cloud. Der größte Anteil der IT ist auf Microsoft Azure gehostet, da die Redmonder die initiale Ausschreibung für den Infrastructure-as-a-Service- (IaaS-)Bestandteil der Cloud-Migration gewonnen hatten. Darüber hinaus kommen AWS und Google mit Cloud-Tranchen zum Zug.

Die AWS-Instanzen stammen größtenteils aus Mergern, Zukäufen und der Integration der Innogy. Diese wurden beibehalten und auch ausgebaut, um ein Spannungsfeld aufrecht zu erhalten. Google Cloud bildet den kleinsten Teil und konzentriert sich hauptsächlich auf Entwicklungsumgebungen, IoT-Lösungen und das Data-Umfeld.

Verantwortung richtig verteilen

Es dauerte sechs Monate, bis das Projekt tatsächlich ins Rollen kam, denn auch die IT-Organisation musste angepasst werden. "Eon hatte ein Transformations-Programm ins Leben gerufen, dass mit der Migration betraut war. Da passierte aber lange nichts," berichtet Weber rückblickend.

Das Problem laut dem IT-Chef war, dass dieses Transformations-Programm im Grunde konträr zu den bestehenden Unternehmensstrukturen lief. Die für die Rechenzentren verantwortliche Linienorganisation habe in dieser Konstellation nur verlieren können, weil ihnen die Rechenzentren genommen wurden.

Also verschob Weber die Verantwortung: "Ich habe die Linienleitung der Rechenzentren direkt mit dem Projekt betraut. Es gab kein Programm mehr, sondern nur noch die Aufgabe, alles in die Cloud zu befördern, und die lag in der Hand derjenigen, die es direkt betraf."

Das sei zu Anfang ein Schock für die Kolleginnen und Kollegen in der Linie gewesen. Weber: "Aber dann kam die Erkenntnis, dass sie ihre Zukunft mitgestalten können, dass sie keine technologische 'Bad Bank' sind, sondern aktiv an der Modernisierung beteiligt sind." Das habe die Sichtweise geändert und die Teammitglieder hätten sich aktiv für den Wechsel engagiert. "Rückblickend erscheint das alles logisch, aber zu dem Zeitpunkt war uns das nicht bewusst und hat uns ein halbes Jahr gekostet," resümiert der CIO.

Oberste Regel: Cool bleiben

Anschließend ging es an die Migration der Anwendungen. Das sei ein langwieriger Prozess gewesen. Weber griff in dieser Zeit auf bewährte Management-Kniffe zurück: "Da muss man cool bleiben, das Projekt weiter durchziehen und das Team loben."

Eineinhalb Jahre später waren die größten SAP-Systeme aus dem Data Center in die Cloud migriert. Das sei einer der Momente gewesen, in denen das Business realisiert habe, dass die IT das Richtige tut.

Zudem waren erste Erfolge vorzuweisen: Mit fortschreitender Migration gab es laut Weber weniger Vorfälle und sein Team konnte die Ausfällzeiten auf den Kritikalitäts-Leveln eins und zwei um 70 Prozent reduzieren. "Das liegt daran, dass die Wiederherstellungszeiten deutlich kürzer sind," erklärt der Manager und ergänzt: "Ich kann in der Cloud mit Geld ein Problem erschlagen und etwa sofort eine zweite Umgebung aufbauen oder schnell Volumen nachschalten, das war vorher im Rechenzentrum nicht möglich."

In seiner Keynote auf den Hamburger IT-Strategietagen 2024 blickte Weber zurück auf die ersten drei Jahre als CIO bei Eon und die Reise, die die IT des Energie-Unternehmens in dieser Zeit gemacht hat.
Foto: Jan Waßmuth

Zudem wurden Abläufe und Abstimmungsprozesse innerhalb des Teams angepasst. Weber: "Wir sammeln Learnings, messen bei jedem Vorfall, was die Muster sind, was sich wiederholt und was nicht, und haben Dependency-Maps aufgebaut."

"Wir haben noch viele Legacy-Apps in der Cloud, die modernisiert und IP-Netzwerke, die verschlankt werden müssen - aber das geht in der Cloud, etwa mit flexiblen Ressourcen und virtuellen Netzwerken, viel leichter als vorher im Rechenzentrum," konstatiert Weber. Diese Hausaufgaben begann sein Team bereits 2023 umzusetzen. "Da stellten auch die letzten Zweifler fest, dass Modernisieren in der Cloud von der Konsole aus deutlich einfacher und schneller geht als im Rechenzentrum."

Die eigenen Leute an die Cloud lassen

Als dritte Drehschraube neben der Technik und der Organisation widmete sich Weber dem Zusammenspiel zwischen Eon und den Hyperscalern. Der CIO findet dafür klare Worte: "Ich brauche keinen Managed-Service-Partner, der für mich die Cloud verwaltet, ich kann selbst den Knopf auf dem Dashboard drücken, um eine neue Maschine hochzufahren, dafür brauche ich kein Ticket aufmachen."

Zudem biete die Cloud zahlreiche Automatisierungsmöglichkeiten, die sich mit klassischen Outsourcing-Verträgen beißen würden. Viele traditionelle Dienstleister-Aufgaben im Rechenzentrum ließen sich in der Cloud mit Skripten automatisieren.

So kämen mehr Teams direkt mit der Cloud und nicht mit einem Ticket-System in Kontakt. Das schaffe Vertrauen und Engagement für die Transformation im Team. Daher wolle Eon alle Dienstleister-Verträge entsprechend anpassen. "Es wird nur noch für Einzelvolumina klassisches Outsourcing geben. Bei kritischen Angelegenheiten gibt es jetzt immer ein Dreigespann: Wir, die Cloud und ein Berater, der uns hilft, aber nicht komplett abkapselt," erklärt der IT-Chef.

Dafür bildet Eon seine Belegschaft weiter und heuert viele neue Talente an. Weber: "Letztes Jahr haben wir 400 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt und weitere 600 Planstellen können besetzt werden." Der Schritt in die Cloud habe einen Wandel bei der Eon-IT ermöglicht, die Teams umzustellen und sie in die Lage versetzt, die IT selbst zu managen.

Sand im Migrationsgetriebe

Es lief jedoch nicht alles rund, wie Weber einräumt: "Vieles wurde über die letzten Jahre nicht ausreichend dokumentiert. Auch nach dem Umzug in die Cloud gab es noch laufende Maschinen im Einsatz, von denen wir nicht wissen, was sie tun. Also müssen wir demnächst mal diese Rechner ausschalten und schauen, ob irgendjemand anruft."

Weiterhin sei schwierig gewesen, dass Applikationen nicht einfach aus dem Data Center in die Cloud geschoben werden konnten - vor allem wegen der Verknüpfung und Kommunikation mit anderen Anwendungen. Laut dem IT-Chef hätten Latenzzeiten nicht mehr gepasst, wenn zwei verbundene Apps mit einem Mal nicht mehr im selben Rack zusammengeschaltet waren.

Also musste das Team um Weber Verbünde herstellen. Dazu wurde eine Software installiert, die über Monate IP-Traffic im Rechenzentrum beobachtet hat. Daraus wurden Kommunikationsmuster der einzelnen Server und Anwendungen erstellt, um Migrations-Cluster aufzubauen. Diese so bestimmten Kombinationen an Systemen habe man dann im nächsten Schritt gesammelt migriert.

Der Super-GAU

Aber auch das hatte seine Tücken. Einen großen SAP-Verbund hatte die Eon-IT erstaunlich reibungslos über den Sommer 2022 in die Cloud migriert. Doch Ende Oktober stand das System plötzlich still.

"Auslöser war ein Ausfall auf Seiten Microsofts. Aber wir hatten eigentlich erwartet, dass sich die Systeme resilienter verhalten," berichtet Weber. Was die IT bemerkte: Im November 2022 gab es immer noch Abhängigkeiten zum Rechenzentrum für Failover-Prozesse von Applikationen.

So verlor Eon zusätzlich Zeit, weil mit der Cloud auch Anwendungen im alten Rechenzentrum betroffen waren, die erst zu diesem Zeitpunkt erkannt wurden. Weber: "Wir hatten, vereinfacht ausgedrückt, Datenpakete, die in Endlosschleife ins Netzwerk rauschten, solange bis alles stillgestanden hat."

Bei einem solchen Vorfall hätte es viel Unsicherheit in IT und Business geben können, ob die Cloud tatsächlich die richtige Strategie sei. Zumal die IT nicht genau sagen konnte, wie lange der Vorfall dauern würde. Aber die Fakten sprachen laut Weber für sich: "In der alten Rechenzentren-Welt hätte das Business doppelt so lange stillgestanden, wenn eine Festplatte im Rechenzentrum ausgefallen wäre."

Lessons Learned

Weber hat einige Lehren aus den letzten drei Jahren mitgenommen. Die wichtigste lautet: Ins Doing kommen. "Häufig ist Lift-and-shift der richtige Ansatz. Damit schafft man den ersten wichtigen Schritt nach vorne. Der entspricht vielleicht nicht dem Idealbild, aber die Sache kommt ins Rollen."

Zudem gilt es, eine nahe, echte Deadline sowie ambitionierte Ziele vorzugeben und hinter ihnen zu stehen. Weber: "Wenn da eine Deadline bis 2030 drinsteht, dann passiert nichts."

Darüber hinaus müssen die Menschen, die es betrifft, sich selbst transformieren. Ein paralleles Programm schafft Ablehnung. Stehen die Kolleginnen und Kollegen dagegen selbst in der Verantwortung, sind sie aktiv, animiert und motiviert, die Reise auch mitzugestalten.

Als letztes sei es ratsam, die Ownership des Projekts beim Unternehmen zu behalten. Weber: "Klar haben wir Partner mitgenommen, ohne die hätten wir es nicht geschafft, aber am Ende des Tages migrieren wir und nicht der Dienstleister."

Die Top-CIOs der deutschen Energiebranche
Damian Bunyan
Damian Bunyan ist seit Januar 2016 CIO der E.ON-Abspaltung Uniper in Düsseldorf. In dem Unternehmen werden die E.ON-Bereiche konventionelle Stromerzeugung, Energiehandel und Exploration & Produktion gebündelt. Von 2006 bis 2013 war Bunyan Mitglied der Geschäftsführung des E.on Business Services.
Sebastian Weber
Seit 1. Juli verantwortet Sebastian Weber als CTO bei Eon den IT-Betrieb. Er soll auch die digitalen Plattformen des Konzerns ausbauen. Zudem hat er gemeinsam mit Christopher d'Arcy in einer Doppelspitze die Geschäftsführung der IT-Tochter Eon Digital Technology GmbH übernommen. Beide berichten direkt an Digitalvorständin Victoria Ossadnik.
Martin Hölz
Ab 1. April 2020 wird Martin Hölz CIO der Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) mit Sitz in Karlsruhe. Er löst Frank Krickel ab, der seit Juni 2017 die Position des Leiter der Funktionaleinheit Informationstechnologie (C-TI) innehatte und das Unternehmen auf eigenen Wunsch verlässt.
Philip Lübcke
Philip Lübcke ist seit September 2019 Geschäftsbereichsleiter IT der TEAG Thüringer Energie. Er berichtet an den Vorstand Personal und IT Wolfgang Rampf. Zuvor war Lübcke sechseinhalb Jahre lang CIO der Frankfurter Mainova AG. Insgesamt brint er 15 Jahre Erfahrung aus der Energiebranche mit.
Jan-Wilm Buschkamp
Jan-Wilm Buschkamp ist seit August 2019 Bereichsleiter IT der Mainova AG. Seitdem hat das Team um den CIO mit „hybrIT2023“ ein IT-Transformationsprogramm erarbeitet, um den Frankfurter Energieversorger zukunftsfähig zu machen. Ziel des Programms ist es unter anderem, mehr Wert zu generieren, das Unternehmen lean und agil aufzustellen sowie Prozesse end-to-end zu gestalten.
Oliver Herzog
Zum 1. September 2023 übernimmt Oliver Herzog den CIO-Posten bei der Thüga. Seine Vorgängerin Annette Suckert scheidet altersbedingt aus dem Unternehmen aus.
Thorsten Steiling
Thorsten Steiling ist seit Februar 2019 CIO Oerlikon Group & Managing Director Oerlikon IT Solutions AG. Er berichtet an Boris von Bieberstein, Head of Group Business Services. Zuvor war Steiling von September 2017 bis Januar 2019 CIO/Head of Corporate IT beim Automobilzulieferer Veritas AG in Gelnhausen.
Marcus Schaper
Marcus Schaper ist CIO bei der neuen RWE-Tochter Innogy. Er kommt von der Mutter RWE. Er war zuvor Head of IT bei der RWE Supply & Trading. Schaper hat an der WWU Münster Wirtschaftsinformatik studiert und war seit dem Jahr 2000 bei McKinsey. Zu RWE kam er im April 2010. Bis zum Börsengang der neuen RWE-Tochter fungierte Schaper als CIO für beide Konzernteile, seitdem ist er CIO der neuen Tochtergesellschaft. Übergreifende IT-Aufgaben in der RWE AG werden derzeit von Winfried Bröring wahrgenommen.
Jan Leitermann
Seit Juni 2017 ist Jan Leitermann Group CIO beim österreichischen Öl- und Erdgaskonzern OMV in Wien. Leitermann war zuvor Managing Director und Board Member beim Beratungsunternehmen Accenture AG Schweiz.
Jürgen Skirde
Jürgen Skirde ist CIO der RAG. Gleichzeitig hat er die operativ ausgerichtete Funktion des IT-Leiters inne. Im Konzern arbeitet der Diplom-Ingenieur schon seit 1985 - zunächst zehn Jahre auf Bergwerken, seither im IT-Management. Unter anderem leitete er SAP-Einführungsprojekte, von 2004 bis 2011 war er für die Infrastruktur verantwortlich.
Jan-Hendrik Semkat
Seit November 2017 ist Jan-Hendrik Semkat neuer Bereichsleiter Innovations- & IT-Management bei Natgas. Der gebürtige Oldenburger war mehrere Jahre in den Bereichen Softwareentwicklung, Projektmanagement und Beratung in der Energiewirtschaft tätig. Zuletzt war er Geschäftsführer der SIV Utility Services.
Jörg Ochs
Jörg Ochs (51) hat am 2. September die Leitung der Informationstechnologie der Stadtwerke München (SWM) übernommen. Er berichtet an den technischen Geschäftsführer der SWM Helge-Uve Braun. Ochs ist bereits seit 2017 Geschäftsführer der SWM Infrastruktur GmbH, der SWM Infrastruktur Region GmbH und der RegioNetzMünchen GmbH. Insgesamt ist er bei der SWM seit 2003 beschäftigt, unter anderem als Senior-Manager IT-Security, Leiter IT-Security und Datacenter/Infrastruktur und als Leiter Telekommunikation bei der SWM Services GmbH.
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Im Oktober 2021 hat Michael Seiferth die Geschäftsführung der N-Ergie IT übernommen. Vorgänger Klaus Vogl hat das Unternehmen verlassen.
Sebastian Träger
Seit April 2024 leitet Sebastian Träger die IT des Energieversorgers Enercity. Er soll unter anderem das ERP-System modernisieren.