Die Bundeskanzlerin hat über Jahre einen Begriff geprägt, der für viele zum Unwort schlechthin geworden ist: Alternativlosigkeit. Die Kritik an dem omnipräsent gewordenen Verdikt versteht sich leicht: Alternativen gibt es eigentlich immer, in der politischen Sphäre zumal. Gegen diese Kritik würden Merkelianer einwenden, dass aber womöglich sämtliche Alternativen fatale Folgen haben könnten - und eben deshalb Alternativlosigkeit herrscht. In jedem Fall alternativlos, zumindest auf absehbare Zeit, ist die E-Mail als vorherrschendes Kommunikationstool in den Unternehmen.
E-Mails überfordern Führungskräfte
Man muss genau das im Lichte zweier Studien als Quintessenz betonen, weil ein flüchtiger Blick auf die Studienergebnisse das Gegenteil nahezulegen scheint. In der "Potenzialanalyse Ease Unlimited" nämlich hat Sopra Steria Consulting ermittelt, dass die E-Mail-Flut viele Fach- und Führungskräfte überfordert. Und in einem wissenschaftlichen Artikel von Peter W. Cardon, University of Southern California, und Bryan Marshall, Georgia College, wird in Aussicht gestellt, dass Web 2.0-Kanäle die elektronische Post in Sachen Nutzung überholen könnten.
Passieren könnte das - man achte auf den Konjunktiv - in einem Zeitraum von zehn Jahren. So lange herrscht naturgemäß bei allen Mängeln Alternativlosigkeit, was ja nicht gleich bedeutend ist mit Perfektion. Zumal Cardon und Marshall, die 227 Business-Profis befragten, alles in allem zu überraschenden guten Zensuren für die E-Mail kommen: "Im Allgemeinen zeigen die Resultate, dass traditionelle Kommunikationskanäle häufiger genutzt werden [als soziale Netzwerke] und für die Team-Kommunikation als effektiver gelten."
83 Prozent finden E-Mail effektiv
Neben dem direkten Gespräch und dem Telefonat zählt die E-Mail längst zu den traditionellen Kanälen. Zumindest in den kommenden Jahren bleibt sie laut Cardon und Marshall am Arbeitsplatz der kommunikative Königsweg. Dafür sprechen die Zahlen: Auch von den Mitarbeitern mit Zugang zu sozialen Netzwerken nutzen 85 stündlich ihr elektronisches Postfach, 83 Prozent aus dieser Gruppe finden die Mail-Kommunikation effektiv.
Generation X und Generation Y unterscheiden sich kaum
Wichtiger noch sind zwei andere Zahlen. Man muss vorab einen weiteren zentralen Befund der Studie aus den USA kennen, die unter anderem nach Altersgruppen differenziert. Aus Sicht von Befragten aus der Generation X (31 bis 50 Jahre) und aus der Generation Y (21 bis 30 Jahre) ist es demnach wahrscheinlich, dass in Zukunft Social Media-Tools das wichtigste Werkzeug in der Team-Kommunikation sein werden. Nur: 90 Prozent aus eben diesen Altersgruppen geben selbst im Vergleich der E-Mail den Vorzug, nur 42 Prozent halten Texting oder Instant Messaging für ein effektives Mittel der Kommunikation mit Kollegen. Nur ein Viertel aller Befragten übrigens arbeitet momentan in einem Unternehmen, das eine Infrastruktur für Social Networking überhaupt bereithält.
Dieser insgesamt positiven Bewertung hält Sopra Steria scheinbar plakativ entgegen: E-Mail-Flut frisst Arbeitszeit. Genau betrachtet zeigen der Studienergebnisse des Beratungshauses - befragt wurden insgesamt 220 Geschäftsführer, Vorstände sowie Fach- und Führungskräfte aus Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern - aber keine Defizite des Kommunikationskanals E-Mail an sich auf, sondern Mängel im Umgang damit.
Zu viele E-Mails, zu lange Entscheidungswege
90 Prozent der Befragten gaben an, dass in ihrem Unternehmen zu viele E-Mails im Umlauf seien. Die Postfächer sind also ständig überfüllt und die Mitarbeiter deshalb überfordert. 52 Prozent - sogar 62 Prozent der Führungskräfte - beklagen, dass die geschäftliche Dringlichkeit eingehender Mails auf den ersten Blick nicht erkennbar sei. Die Berater betonen, dass die schnelle Weitergabe wichtiger Informationen zu Recht als großer E-Mail-Vorzug gelte. Zu hinterfragen sei indes die Praxis breitstreuender Verteiler, die offenkundig die Effizienz der Kommunikation hemmt.
"Für E-Mails gilt prinzipiell dasselbe wie für alle anderen digitalen Kommunikationstechnologien - sie erfordern einen zielorientierten, bewussten Umgang mit den Informationen - und damit oftmals eine Anpassung der Unternehmenskultur", sagt Petra Bollmer, Managerin Human Capital Management Solutions bei Sopra Steria Consulting. Eine hohe Anzahl von E-Mails und eine permanente Nutzung der CC-Funktion deuten laut Bollmer auf zu lange und somit langsame Entscheidungswege hin. Diese Art der Kommunikation sei ungeeignet, wenn es auf einen vernetzten, agilen Informationsaustausch ankommt.
Social-Business-Plattformen und Online-Communities als Ergänzung
Sopra Steria bringt an dieser Stelle die auch von den US-Forschern untersuchten Social-Business-Plattformen und Online-Communities ins Spiel - nicht als Alternative, sondern als Ergänzung zur E-Mail. In der Projektarbeit könnten diese Kanäle dazu dienen, den Mitarbeitern jederzeit kontextbezogen einen vollständigen Überblick über alle relevanten Statusinformationen zu ermöglichen - so dass diese eben nicht permanent durch elektronische Post mitgeteilt werden müssen. Mit derartigen Plattformen lasse sich in vielen Situationen ein deutlich effizienterer Wissenstransfer in Gang setzten als mit E-Mails allein, so die Berater.
In deren Studie ging es inhaltlich um die Komplexität im Arbeitsleben insgesamt. Neben der E-Mail-Flut machen 62 Prozent der befragten Führungskräfte die Anwesenheit bei für sie irrelevanten oder aus anderen Gründen nutzlosen Meetings als Ärgernis aus. "In dieser Hinsicht können sich etablierte Unternehmen durchaus an unkonventionellen Startup-Methoden orientieren, bei denen etwa prägnante morgendliche Kurzbesprechungen im Stehen die klassischen Meetings mit überfrachteter Agenda ersetzen", kommentiert Bollmer.
90 Prozent der Mitarbeiter wollen einfachere IT
Die Studie zeigt, dass vor allem die wachsenden Anforderungen von Kunden und Dienstleistern sowie veränderte Arbeitsabläufe die Komplexität in den vergangenen Jahren in die Höhe getrieben haben. Zwei Fünftel der Mitarbeiter fühlen sich dadurch zunehmend überfordert und erwägen sogar einen Wechsel des Arbeitsplatzes. 90 Prozent der Befragten würden gerne mit einfacheren, intuitiv zu bedienenden IT-Anwendungen arbeiten. Gleichwohl sagen 64 Prozent der Befragten, dass die Mitarbeiter bei der Einführung neuer Technologien unterstützt werden.
Die gestiegene Komplexität hat indes auch ihre positiven Seiten. Jeweils über 60 Prozent der Befragten sehen positive Auswirkungen auf Produktentwicklung, Qualität von Produkten und Services, Umsatzentwicklung und Kundenbetreuung.