Marktstudien sind en vogue in der Retail-Branche. Viele IT-Hersteller oder Shop-Betreiber versuchen, mit ihren in Auftrag gegebenen Befragungen der Konsumenten ihre eigene Konkurrenzsituation aufzumöbeln. Das Prinzip dieser Umfragen ist immer das gleiche und sehr einfach: Man versucht, die Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe aufzuspüren und zu analysieren und dann die eigenen Offerten darauf abzustimmen. Oft genug aber schiebt man den Shop-Besuchern und (echten und potentiellen) Käufern aber lediglich die eigenen Ansprüche unter – sie würden ja genau das wollen, was der Shop-Betreiber so anbietet.
Wirklich unabhängige Untersuchungen der Konsumentenwünsche und ihres Verhaltens sind in dieser Branche eher selten. Die jüngste Studie der Prüfungs- und Beratungsorganisation Ernst & Young gehört zu diesen Ausnahmen von der Regel.
Die Probleme sind bekannt
Die aktuelle Studie "This time it’s personal: from consumer to co-creator“ stützt sich auf Daten von etwa 24.000 Online-Usern in 34 Ländern. Ihr Fazit lautet: "Die meisten Konsumgüterunternehmen reagieren nicht adäquat auf die Bedürfnisse ihrer Kunden in Web und Social Media. Sie wissen zwar um ihre Defizite bei einer neuen Marktsegmentierung, ziehen daraus aber keine nennenswerten Konsequenzen für den Dialog mit ihren Kunden.“
Für Krystian Pracz, Partner bei Ernst & Young und einer der Autoren der Studie, "vertrauen die Konsumenten bei ihrer Kaufentscheidung zwar nach wie vor am meisten der Meinung ihres persönlichen Umfeldes, gleichzeitig erweitert sich aber dieses Umfeld durch Social Media erheblich“. Dies bedeute, dass die glaubwürdige Darstellung eines Online-Anbieters in den neuen Medien und ein offener Dialog heute erhebliche Marketingbedeutung haben. Viele Retailer seien sich darüber aber noch nicht im Klaren.
Rund um den Globus kaufen laut Ernst & Young inzwischen 62 Prozent der Online-User auch im Netz. Allein die Chinesen bestellen bereits rund ein Drittel ihrer Einkäufe online (32 Prozent). Mehr und mehr, so die Marktbeobachter, rücken beim Online-Kauf auch die Social Media-Plattformen als "wichtige Dialoginstrumente zwischen Unternehmen und Konsumenten in den Fokus“.
Unzufriedene Social-Media-Nutzer
Die Marktforscher schreiben: "Dennoch sind derzeit 85 Prozent der Social-Media-Nutzer mit den digitalen Unternehmensauftritten unzufrieden: Während chinesische User den Social Media-Auftritten der großen Brands relativ viel Vertrauen schenken (6.3 von 10 Punkten), herrscht bei westeuropäischen Konsumenten eine eher kritische Haltung gegenüber den Eigendarstellungen der Unternehmen vor (4.8 von 10 Punkten). Gleichzeitig schlagen laut unserer Studie die Online-Marketingmaßnahmen traditionelle Formate aus Print und elektronische Formate um Längen.“
Unter anderem haben Ernst & Young die Branchen Automotive, Bekleidung, Speisen und Getränke, Unterhaltungselektronik und öffentlicher Dienst untersucht. Dabei haben sie festgestellt, dass von einer herkömmlichen Marktsegmentierung in allen untersuchten Branchen nicht mehr die Rede sein kann. Das "Chamäleon“ Verbraucher setze heute unzählige Prioritäten bei einer möglichen Produktauswahl – "und will diese erfüllt wissen“.
Man wechselt sehr schnell den Anbieter, wenn es geboten erscheine. Diese beweise auch die wachsende Anzahl von Vergleichsportalen: 60 Prozent der Verbraucher sehen demnach den Prozess des Einkaufens als Wettkampf: "Sie wollen als Gewinner hervorgehen.“
Während in den USA und in Europa die Markentreue inzwischen eine geringere Rolle spielt, kommt ihr in den aufstrebenden Märkten bei Kaufentscheidungen deutlich mehr Bedeutung zu. Laut Ernst & Young ist das in diesen Ländern bei rund einem Drittel der Käufer der Fall: "In China sind es sogar rund 40 Prozent, in Brasilien 34 Prozent und in Indien 32 Prozent.“
Personalisierter Kommunikation und dem Kundendienst kommt ebenfalls hohe Priorität zu. "Mündige“ Konsumenten wollen mehr mitreden und aktiv entscheiden, was sie wo einkaufen. Pracz von Ernst & Young bilanziert die Ergebnisse der Studie: "Digitale Technologien ändern nicht nur das Einkaufsverhalten selbst – Ort und Zeit spielen fast keine Rolle mehr –, Verbraucher verlangen auch einen Mehrwert von Unternehmen. Gut informierte Konsumenten wollen mehr Transparenz und ein hohes Maß an Dialog mit Einzelhändlern und Herstellern.“
5 Handlungsanweisungen von Ernst & Young
Ernst & Young leitet aus der Studie fünf Handlungsanweisungen ab:
1. Den direkten Dialog mit dem Verbraucher suchen
2. Den Service personalisieren
3. End-to-End-Markenerlebnisse schaffen
4. Multichannel-Angebote liefern
5. Kunden zu Geschäftspartnern machen
Für die Studie „This time it’s personal: from consumer to co-creator“ befragte Accenture 24.405 Teilnehmer in 34 Ländern.