Das Projekt des neuen Studenten-Zulassungsverfahrens erinnert ein wenig an die Einführung des Maut-Systems auf deutschen Straßen 2003. Das Konsortium Toll Collect litt damals unter miserablem Projekt-Management von Daimler-Chysler, bis eine Dame von T-Systems antrat und schließlich doch noch zum Erfolg führte. Ein Schiedsverfahren läuft allerdings noch, CIO.de berichtete: "Unendlicher Streit um Toll-Collect-Milliarden".
Worum geht es jetzt? Beim bisherigen Zulassungsverfahren, wo die Unis ihre Plätze dezentral vergeben, gab es immer großes Gedränge auf attraktive Studienfächer, am Ende blieben trotzdem viele Plätze über. Denn viele Schüler bewarben sich wegen der besseren Chancen mehrfach und sagten auch nicht ab, als sie einen Studienplatz erhalten hatten.
Die Hochschulen mussten lange Fristen abwarten, bis sie definitiv wussten, wer zugesagt hatte. Es begannen aufwendige Nachrückverfahren. Dann war es aber oft zu spät für die Bewerber. Resultat: Im letzten Jahr blieben laut KMK fast 17.000 Studienplätze in Numerus-Clausus-Fächern unbesetzt. Andere sprechen sogar von 20.000 unbesetzten Plätzen.
T-Systems gibt Schuld an HIS weiter
Das sogenannte „Dialogorientiertes Serviceverfahren“ sollte alles besser machen: Das von T-Systems zusammen mit dem Tochterunternehmen T-Systems Multimedia Solutions und der Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) entwickelte zentrale Zulassungssystem für Studenten in Deutschland "hochschulstart". Betreut wurde es von der "Stiftung für Hochschulzulassung" (SfH), dem Nachfolger der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS).
Die zentrale T-Systems-Software, die die Vergabe der Numerus-Clausus-Studienplätze über eine Webplattform ermöglichen soll, funktioniere, versichert die Pressestelle immer wieder. Wer wolle, könne sich das System in Aktion anschauen. Schuld habe die HIS, die die Anknüpfung an die HIS-eigene Software der verschiedenen Universitäten einfach nicht hinbekomme.
Nun soll es zum Wintersemester 2012/13 losgehen - allerdings nicht wirklich, sondern nur "im Probebetrieb" mit einem "kontrollierten Start". Der mit 16 Länder- und 16-Hochschulvertretern besetzte Stiftungsrat der Stiftung für Hochschulzulassung hat das Mitte Dezember so beschlossen. Die Stiftung koordiniert das Gesamt-Projektmanagement des Projekts hochschulstart.de mit den Beteiligten.
Allerdings müssen die Hochschulen, die teilnehmen wollen, "sowohl die technischen als auch die prozessualen Voraussetzungen dafür erfüllen".
Gewachsene IT-Landschaft ist Gift für die zentrale Anbindung
Zu den Beteiligten zählen das Fraunhofer Institut FIRST, dem die Erstellung des Lastenhefts für hochschulstart.de übertragen wurde, T-Systems, die für die Entwicklung der zentralen bundesweiten Software hochschulstart verantwortlich zeichnet, sowie die Anbieter von Hochschul-Management-Software. Hier spielt die HIS aber die maßgebliche Rolle. Denn diese versorgt das Gros der deutschen Hochschulen mit Software. Deren Gesellschafter sind der Bund und die Länder.
HIS verspricht, alle Universitäten, die die neue webbasierte Software "HISinOne" nutzen, hätten die Möglichkeit, sich am Dialogorientierten Serviceverfahren zu beteiligen. Die Teilnahme der Hochschulen, die noch die Software-Generation "HIS-GX" im Einsatz hätten, sei zwar ebenfalls "grundsätzlich möglich". Aber nur, wenn der entsprechende Konnektor fertig ist und funktioniert - und das scheint derzeit nicht absehbar.
Aus Sicht der HIS tragen die Unis daran eine Mitschuld: Viele Hochschulen hätten über Jahre hinweg eine gewachsene individualisierte Softwarelandschaft aufgebaut, die teilweise aufwändige Einzellösungen notwendig mache, so die Schelte der HIS.
Laut Beschluss des Stiftungsrats bietet die Stiftung für Hochschulzulassung allen Hochschulen, "die dazu technisch in der Lage sind", Beratung und Unterstützung bei der Beteiligung am neuen Verfahren im Wintersemester 2012/13 an. Der Pilotbetrieb solle "die Möglichkeit bieten, Erfahrungen mit dem DoSV zu sammeln und weiteres Know-how aufzubauen", heißt es in der Erklärung. Doch der eigentliche Zweck des Verfahrens wird damit weiter verfehlt.
"Flächendeckender Erfolg" erst "mittelfristig" eingeplant
Zwar solle der Umfang der Teilnahme am neuen Verfahren sukzessive zum Sommersemester 2013 und zum Wintersemester 2013/14 ausgebaut werden, um eine flächendeckende Teilnahme zu erreichen. Jedoch: Der "flächendeckende Erfolg" wird erst "mittelfristig" eingeplant. Die Stiftung Hochschulstart: "Ein vollständiges Erreichen der mit dem DoSV angestrebten Effekte kann damit zum gegenwärtigen Zeitpunkt für das Wintersemester 2012/13 nicht gewährleistet werden."
Etwa 40 Universitäten und Fachhochschulen seien bereit, an dem Pilotprojekt von DoSV teilzunehmen, erklärte Stiftungssprecher Bernhard Scheer dem Hamburger Abendblatt. Dem gegenüber stehen 150 Hochschulen, die eine alte HIS-Software benutzen, für die die HIS noch die nötigen Konnektoren, entwickeln muss. Bisher könne noch kein Anbieter von Campus-Management-Software eine fehlerfreie Anbindung an das System der Stiftung für Hochschulzulassung bewerkstelligen", wird die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Margret Wintermantel, zitiert.
Gefahr des endgültigen Scheiterns
Allerdings haben die HIS-Wettbewerber "Datenlotsen" einen Konnektor für die Anbindung der HIS-Software an Hochschulstart entwickelt, der für Einfach-Studiengänge erfolgreich getestet wurde, wie Sprecherin Jana Kruse bestätigt. Datenlotsen-Geschäftsführer Stephan Sachse: "Die jetzige Variante des Pilotverfahrens birgt aufgrund der geringen Teilnehmerzahl die Gefahr, dass das Gesamtverfahren nach einem ineffektiven Pilotbetrieb endgültig scheitern kann. Wenn das Verfahren noch gerettet werden soll, ist es an der Zeit, das Pilotverfahren neu zu konzeptionieren und die technische Anbindung der Hochschulen öffentlich auszuschreiben."
Für die HIS sieht die Sache derzeit nicht gut aus. Politiker aus den Ländern beklagen sich über den Umgang mit ihrem Geld: "Es ist völlig inakzeptabel, dass das wiederholte Versagen der HIS die Einführung des Verfahrens erneut gefährdet", sagte der thüringische Minister für Bildung und Wissenschaft, Christoph Matschie (SPD), der "Welt".
Die HIS habe "Geld verschlungen, aber nicht geliefert", heißt es weiter. Offensichtlich sei "die Leitung der HIS den Aufgaben nicht gewachsen". Dies müsse personelle Konsequenzen haben. "Warum soll der Freistaat Thüringen das Unternehmen weiter finanzieren? Im Moment sehe ich mehr Gründe für einen Neuanfang ohne die HIS als ein Herumdoktern an zahllosen Missständen."
HIS privatisieren
Auch Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) hat laut Spiegel Online die HIS angegriffen: "Die Erfahrungen der vergangenen Monate werfen die Frage auf, welchen Wert die Arbeit der HIS eigentlich noch hat." Die Einrichtung habe sich bei dem Projekt "kein gutes Zeugnis ausgestellt".
Die Site Studis Online berichtet gar über eine mögliche Privatisierung der HIS als eine Möglichkeit für die Zukunft. Dort zitiert man aus einem Brief des Bundesbildungsministeriums an die Wissenschaftsministerien der Länder von Staatssekretärin Cornelia Quennet-Thielen (CDU): "Als einer der insgesamt 17 Gesellschafter der HIS GmbH hält der Bund eine Privatisierung der HIS-IT für einen geeigneten Weg. Der Aufsichtsrat hat einvernehmlich entschieden, dass eine Unternehmensberatung die hierfür in Frage kommenden Optionen aufzeigt."
Evaluierung der HIS-IT beschlossene Sache
Über die Ergebnisse der Aufsichtsratssitzung vom 12. Januar, wo darüber gesprochen wurde, gibt man erst Ende dieser Woche Auskunft. "Dann tagt unsere Gesellschafterversammlung", sagte HIS-Sprecherin Tanja Meister. Eine Evaluierung der IT der HIS sei aber bereits beschlossene Sache.
Der Bildungsausschuss des Deutschen Bundestages wird sich am 18. Januar ebenfalls mit den Startproblemen des neuen Zulassungsverfahrens befassen und hat dazu Vertreter der Länder, der Hochschulrektorenkonferenz und der Stiftung Hochschulstart zu einer Anhörung ins Berliner Paul-Löbe-Haus eingeladen.