Robotic Process Automation

Softwareroboter und KI treiben die Digitalisierung

04.10.2017 von Wolfgang Herrmann
Softwareroboter sind in aller Munde. Unterstützt durch KI-Technologie sollen sie Verwaltungsprozesse automatisieren und der Digitalisierung einen Schub geben. Anbieter wie der BPM-Spezialist Scheer bringen sich für den neuen Markt in Stellung.

"Mit Robotic Process Automation rollt die nächste große Welle nach den ERP-Systemen in die Unternehmen", sagt August-Wilhelm Scheer. "Das Thema gewinnt in Deutschland an Fahrt und bildet die nächste Innovationsstufe der Geschäftsprozess-Automatisierung." Der Inhaber und Geschäftsführer der Saarbrücker Scheer Group verweist auf einschlägige Studien, die dem jungen Markt für Robotic Process Automation (RPA) ein milliardenschweres Umsatzvolumen zutrauen. PricewaterhouseCoopers (PwC) etwa prognostiziert, dass die Umsätze bis 2020 von zuletzt 183 Millionen auf rund fünf Milliarden Dollar wachsen werden.

„Wir setzen Roboter an die Bildschirme“, erklären die Protagonisten von Robotic Process Automation.
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Scheer, der einst den Business-Process-Management-Spezialist IDS Scheer gründete, sieht neben den bereits durch ERP-, Office- und BPM-Systeme digitalisierten Tätigkeiten noch einen großen "Long-Tail" von zu automatisierenden Workflows. Dazu gehörten die klassische manuelle Sachbearbeitung ebenso wie Unterstützungs-, Vorbereitungs- und Bedienungstätigkeiten, wie sie in fast jedem Unternehmen anfallen. "Wir wollen Mitarbeiter nicht nur mit BPM unterstützen, wir wollen sie ersetzen", erklärte der Manager auf der Kundenveranstaltung Scheer Digital World Congress. "Wir setzen Roboter an die Bildschirme".

BPM-Pionier August-Wilhelm Scheer: „Mit Robotic Process Automation rollt die nächste große Welle nach den ERP-Systemen in die Unternehmen.“
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Was steckt hinter Robotic Process Automation?

Wie so häufig in frühen Marktphasen gibt es noch keine allgemein akzeptierte Definition des Begriffs Robotic Process Automation. Ulrich Storck, Head of Product Development bei der Scheer GmbH, will darunter schlicht eine "Weiterentwicklung der klassischen Prozessautomatisierung" verstanden wissen. Ein RPA-System simuliert demnach, wie Menschen einzelne Bedienungsmasken oder auch ganze Geschäftsprozesse bedienen. Dazu werden Softwareroboter eingesetzt, die vom Anwender lernen, Benutzerschnittstellen zu verwenden. Zur Bedienung einer Software nutzen sie eine virtuelle Tastatur und eine Maus.

Mit Blick auf die eigene Produktpalette unterscheidet die Scheer Group einfache, kognitive und intelligente RPA-Systeme. Nach dieser Lesart können einfache RPA-Systeme sich wiederholende Routineaufgaben nachahmen, "indem sie Anwenderinteraktionen über vorhandene Software- und Benutzerschnittstellen automatisiert erfassen, extrahieren und selbst ausführen." Derartige Routinetätigkeiten ließen sich auch mithilfe der hauseigenen BPaaS-Plattform automatisieren, wirbt der Anbieter.

Einen Schritt weiter gehen kognitive RPA-Systeme. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz sollen sie in der Lage sein, das Anwenderverhalten auch in komplexeren Situationen zu replizieren. Sie können Expertenwissen einbringen und verfügen über Fähigkeiten der natürlichsprachigen Kommunikation.

Sogenannte intelligente RPA-Systeme sind sogar lernfähig. Sie können Prozesse weitgehend selbständig abbilden, ohne für einen bestimmten Prozess vorkonfiguriert oder programmiert worden zu sein. Auch hier schlägt der BPM-Anbieter die Brücke zum Produktportfolio der in der Scheer Group vereinten Unternehmen. Neben "etablierten" BPM-Software- und Beratungsanbietern gehören dazu auch Startups wie der Predictive-Analytics-Spezialist Predict oder Inspirient, ein Softwarehaus, das sich auf automatisierte Datenanalysen mithilfe von KI-Techniken spezialisiert hat.

RPA-Nutzen: schneller, transparenter und weniger Fehler

Unternehmen können von RPA-Systemen in vielerlei Hinsicht profitieren. Generell würden Prozesse damit nicht nur automatisiert, sondern auch beschleunigt und transparenter, argumentiert Scheer-Manager Storck. Mitarbeiter würden von "profanen und langweiligen Tätigkeiten" entlastet und hätten mehr Zeit für wertschöpfende Aufgaben. Im Gegensatz zu menschlichen Angestellten arbeiteten Softwareroboter 24 Stunden am Tag, machten keine Flüchtigkeitsfehler und dokumentierten ihr Tun zuverlässig und ausführlich.

„Robotic Process Automation ist die Weiterentwicklung der klassischen Prozessautomatisierung“, erläutert Ulrich Storck, Head of Product Development bei der Scheer GmbH.
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Darüber hinaus, so argumentieren die RPA-Protagonisten, eröffne sich für Unternehmen die Chance, einstmals ausgelagerte Tätigkeiten in automatisierter Form zurückzuholen. Ein typisches Beispiel sind Call-Center-Aufgaben.

Auch mit Blick auf die gewachsene IT-Infrastruktur können die Softwareroboter Vorteile bringen. Weil sie ähnlich wie ein Mensch auf verschiedene Datenbanken und Anwendungen zugreifen und Informationen verknüpfen, entfällt häufig die Aufgabe, Systeme zu integrieren und dafür APIs einzusetzen.

RPA in der Praxis: Banken, Versicherungen, Support

Typische Anwendungsfelder für RPA lassen sich vor allem in der Finanz- und Versicherungsbranche finden - insbesondere im Personalwesen, in der Supply Chain und der IT. So könnte ein RPA-System etwa die Änderung von Kundenadressen in den diversen Datentöpfen eines Versicherers übernehmen, eine Aufgabe die bisher meist händisch erledigt wird und als besonders fehlerträchtig gilt.

Auch eine polizeiliche Personenüberprüfung, wie sie etwa beim Beantragen eines Waffenscheins obligatorisch ist, ließe sich beschleunigen. Bearbeiter müssen heute verschiedene Datenbanken konsultieren, um zu prüfen, ob gegen einen Antragsteller etwas vorliegt. Diese Aufgabe könnte ein RPA-System zumindest teilweise erledigen und beispielsweise alle Personen aussortieren, für die kein negativer Eintrag zu finden ist. Genauer prüfen müssten die Bearbeiter dann nur noch wenige Einzelfälle.

In Deutschland wurden RPA-Systeme bislang noch verhalten angenommen, berichtet Scheer. Erste größere Projekte gab es vor allem in den Regionen Asien und Großbritannien. Inzwischen aber setze sich das Thema auch hierzulande auf breiterer Front durch. Finanzdienstleister wie die Deutsche Bank oder Versicherer wie Cosmos Direkt verfolgten bereits RPA-Vorhaben; auch Volkswagen habe ein groß angelegtes Projekt begonnen.

Besonders weit fortgeschritten ist die Telekom. Schon seit drei Jahren beschäftige man sich mit RPA-Technologie, berichtet Ferri Abolhassan, Geschäftsführer des neu geschaffenen Bereichs Service. Im März 2015 habe die Telekom die ersten Softwareroboter installiert und betreibe heute eine der größten Roboterfarmen in Europa. Mehr als 100 Prozesse seien bereits automatisiert worden, fast ebenso viele würden derzeit entwickelt. Mit sogenannten "Frontend-Assistenten" unterstützt die Telekom vor allem ihre Service-Mitarbeiter, die bei Bedarf per Mausklick einen "ServiceBot" für eine bestimmte Aufgabe starten können.

Bedenken gegen RPA-Projekte

Ungeachtet solcher Erfolgsbeispiele gibt es gerade im deutschen Markt auch reichlich Vorbehalte gegen den Einsatz von Softwarerobotern. Viele Unternehmen beschäftigten sich zwar mit dem Thema, scheuten aber angesichts zu erwartender Stellenstreichungen das Licht der Öffentlichkeit, war von Teilnehmern der Scheer-Konferenz zu hören.

Auch Scheer sieht diesen Aspekt. Natürlich könnten Arbeitsplätze wegfallen, konzediert er. Doch es gebe auch positive Effekte, beispielsweise durch das Insourcing von Aufgaben und ganzen Prozessen. Nach seinen Erfahrungen werden RPA-Projekte überwiegend von Fachabteilungen getrieben, die schneller und näher am Kunden sein wollten. Das bedeute aber nicht, dass damit auch die berüchtigte Schatten-IT Auftrieb erhalte. IT-Manager könnten beruhigt sein: "Wir schauen dem Sachbearbeiter über die Schulter. Die IT-Infrastruktur muss dazu nicht angefasst werden."

Künstliche Intelligenz - der Turbo für automatisierte Prozesse

Nicht nur die Scheer Group hebt im Kontext der Prozessoptimierung und -automatisierung die wachsende Rolle der Künstlichen Intelligenz (KI) hervor. Wolfgang Wahlster, CEO des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI), sieht in KI-Technologien den "Treiber der zweitenDigitalisierungswelle."

In der ersten Welle sei es darum gegangen, digitale Daten zu erfassen, zu speichern, zu übertragen und zu verarbeiten, erläutert der Wissenschaftler. Nun aber müssten Unternehmen dazu übergehen, Daten zu verstehen, zu veredeln und am Ende zu monetarisieren. Anders ausgedrückt: Aus maschinenlesbaren müssten "maschinenverstehbare Daten" werden. Das sei nur mit Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen zu schaffen.

Wolfgang Wahlster, CEO des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI): „KI-Technologien sind der Treiber der zweiten Digitalisierungswelle.“
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Nach Wahlsters Einschätzung ist Deutschland in Wissenschaft und Industriegut gerüstet für die zweite Digitalisierungswelle. So seien etwa Algorithmen und Werkzeuge für das maschinelle Lernen vorhanden, ebenso wie Sprachtechnologien, Datenstrom-Analytik und In-Memory-Computing. Auch in Sachen kollaborative Computer müsse sich Deutschland nicht verstecken.

Auf der Hardwareseite fehle allerdings GPU-Technologie für das maschinelle Lernen, wie sie der Chiphersteller Nvidia offeriere. Nachholbedarf sieht der KI-Spezialist auch bei den "Werkzeugbaukästen" für das maschinelle Lernen, wie sie etwa Google mit TensorFlow entwickelt habe. Vergleichbares könnten deutsche Player derzeit nicht bieten.