IT-Freelancer

Sonderkonjunktur im IT-Projektmarkt trotzt gesetzlicher Regulierung

24.08.2018 von Hartmut Lüerßen
Die Sonderkonjunktur im IT-Sektor durch die Digitalisierung hält weiter an. Davon profitieren auch die Freelancer-Agenturen stark. Die führenden Anbieter konnten ihre Umsätze im Jahr 2017 durchschnittlich um 12,9 Prozent steigern und damit seit vier Jahren zweistellig wachsen.
Gute Zeiten für IT-Freelancer: Durch den digitalen Wandel hat die Zahl der Projekte in den Unternehmen weiter zugenommen.
Foto: GaudiLab - shutterstock.com

Das Marktvolumen stieg nach Schätzungen der Lünendonk & Hossenfelder GmbH auf 11,1 Milliarden Euro in Deutschland. Dieses dynamische Wachstum verdeutlicht den strukturellen Flexibilitätsbedarf großer Anwenderunternehmen in Deutschland und zeigt, dass sich der Flexibilitätsbedarf bei IT-Projekten nicht wegregulieren lässt. So trat zum 1. April 2017 das "Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze" in Kraft, das auch Auswirkungen auf die Beauftragung von IT-Freelancern hat.

In der Praxis ist der Aufwand für mehr Transparenz und Compliance-Prüfungen bei der Projektvergabe gestiegen, die hohe Nachfrage führte trotzdem zu einem zweistelligen Wachstum bei den führenden Anbietern von Rekrutierung, Vermittlung und Steuerung von IT-Freelancern. Für das laufende Jahr sind die Anbieter sogar noch optimistischer und rechnen mit einem Wachstum der eigenen Umsätze von 11,2 Prozent (Median 12,0 Prozent). Das zeigen erste Auswertungen der aktuellen Lünendonk-Marktsegmentstudie 2018 "Der Markt für Rekrutierung, Vermittlung und Steuerung von IT-Freelancern in Deutschland".

Compliance als Hygiene-Faktor

Die Vorbereitungen für die Umsetzung der neuen gesetzlichen Regulierung haben, aus der Marktperspektive betrachtet, gut funktioniert. In einer Übergangsphase dürfte die Compliance-Fähigkeit ein entscheidender Wettbewerbsfaktor zwischen den Anbietern sein. Die Aktivitäten führender Anbieter in Richtung Qualitätsinitiativen, eigener Interessenvertretung (ADESW) und Sichtbarkeit unterstreichen diese Entwicklung. Mittelfristig, das zeichnet sich bereits ab, wird sich dieser Aspekt der Compliance-Fähigkeit zu einem Hygiene-Faktor entwickeln, sodass die Beratung und das Serviceportfolio als Wettbewerbsfaktoren wieder in den Mittelpunkt rücken.

Durch den digitalen Wandel hat die Zahl der Projekte in den Unternehmen weiter zugenommen. Damit gewinnen auch die Projektbesetzung und das Management des externen Partnerökosystems für die Anwenderunternehmen weiter an Bedeutung. Bei vielen Unternehmen sind die Herausforderungen des Workforce Managements struktureller Natur: De facto gelingt es großen Anwenderunternehmen aufgrund der hohen organisatorischen Funktionstrennung und der Aufgabenteilung im Zusammenhang mit den verschiedenen Rekrutierungsbedarfen mehr schlecht als recht, diese übergreifenden Rekrutierungs- und Steuerungsaufgaben zu orchestrieren.

Aus prozessualer Sicht wurde die Beschaffung von externen Experten für Projekte sowie die Vergabe von Projekten auf der Basis von Dienst- und Werkverträgen beim Einkauf gebündelt. Die Verantwortung für die Rekrutierung von Kandidaten für interne Positionen im Wege der Festanstellung liegt in den meisten Fällen beim Personalbereich, der hier zwar eng mit den Fachabteilungen zusammenarbeitet, jedoch oft nicht über eine Gesamtperspektive der aktuell eingesetzten Qualifikationen interner und externer Mitarbeiter verfügt.

Auch für den Einsatz von Experten auf der Basis von Arbeitnehmerüberlassungsverträgen ist der HR-Bereich verantwortlich, der auch den Betriebsrat bei dieser Vertragsform involvieren muss. Viele Anwenderunternehmen haben daher Checklisten und Workflows entwickelt, so dass Projektleiter durch den Bedarfs- und Vergabeprozess geleitet werden, ohne jedesmal bei der Rechtsabteilung anrufen zu müssen. Diese wird lediglich in Fällen hinzugezogen, bei denen die Bewertung der Rahmenfaktoren unklar ist.

Die Compliance-Anforderungen machen die Projektvergabe komplexer.
Foto: Lünendonk & Hossenfelder GmbH

Aus der unternehmensinternen HR-Perspektive wurde einst das Konzept des Total Workforce Managements (TWM) entwickelt, das eine übergreifende Sicht und Steuerung für die internen und externen Mitarbeiter herstellen soll. In der Praxis zeigten sich indes hohe Hürden für die Umsetzung. Im Mittelpunkt standen dabei die organisatorische Funktions- und Aufgabentrennung, die sich nicht an Prozessen orientiert, sondern an Abteilungen und Unternehmensbereichen.

Da Total Workforce Management dem HR-Bereich strategisch nutzt, der Einkauf jedoch operativ stark eingebunden ist, ist hier eine Allianz der Interessen von besonderer Bedeutung. Zudem müssen die Fachbereiche eingebunden werden, denen es in den meisten Fällen bei Projekten um eine schnelle Lösung im Sinne qualifizierter Projektmitarbeiter geht.

Während es bis vor wenigen Jahren auch technische Hürden bei der prozessualen Umsetzung und Datenintegration gab, werden diese Hürden inzwischen immer kleiner - in dem Maße, in dem moderne Software-Architekturen der Basissysteme (HR, ERP, Vendor Management) den Datenaustausch erleichtern. Diese hohen organisatorischen und technologischen Hürden hatten dazu geführt, dass nur wenige Unternehmen umfassende TWM-Konzepte erfolgreich umsetzen konnten.

Zwar erfährt das Konzept des Total Workforce Managements derzeit eine Renaissance, weil die modernen Softwarelösungen im HR-Bereich aufgrund ihrer Service-orientierten Architekturen den notwendigen Datenaustausch erleichtern und die VMS-Anbieter wie Fieldglass ebenfalls den übergreifenden Datenaustausch fördern. Gleichwohl erweisen sich die Organisationsstrukturen und Entscheidungswege in großen Anwenderunternehmen als schwer veränderbar.

Professional Workforce Solutions bündeln verschiedene Rekrutierungsbedarfe als Dienstleistung aus einer Hand.
Foto: Lünendonk & Hossenfelder GmbH

Dieses strukturelle Dilemma des Workforce Managements war der Auslöser für das Dienstleistungskonzept der Professional Workforce Solutions, das von führenden Anbietern verstärkt vermarktet wird. Die Anbieter von Rekrutierung, Vermittlung und Steuerung von IT-Freelancern verfolgen dabei das Ziel, die Rekrutierungs- und Projektsteuerungsbedarfe von außen als Beratungs- und Dienstleistungspartner zu bündeln. Im Fokus steht ein Betreuungs- und Delivery-Modell, das die Rekrutierungs- und Projektbedarfe fokussiert und diese nach Compliance-Kriterien und Lieferfähigkeit (Zeit, Qualität, Preis) bewertet.

Damit hängt der Rekrutierungserfolg weniger von der bevorzugten Dienstleistung eines Personaldienstleisters ab (IT-Freelancer, Arbeitnehmerüberlassung, Personalvermittlung, Projektdienstleister), sondern orientiert sich stärker an den Marktrealitäten. In der aktuellen Phase der Sonderkonjunktur für IT-Projekte werden die Besetzungsquoten und -zeiten für die Anwenderunternehmen zu einem echten Wettbewerbsvorteil. Für die Anbieter liegt der Fokus daher auf der Lieferfähigkeit, für die auch über die Grenzen Deutschlands hinaus verstärkt rekrutiert wird.

Dafür sehen die Anbieter zusätzliches Potenzial: Im Rahmen der Studie wurden die führenden Anbieter gebeten, eine Auswahl von Zukunftsthesen anhand einer Skala von -2 = "überhaupt nicht wahrscheinlich" bis +2 = "sehr wahrscheinlich" zu bewerten. Die "Planbarkeit der Verfügbarkeit gesuchter Experten ist ein Wachstumshemmnis" steht mit einer durchschnittlichen Bewertung von 1,0 an erster Stelle zusammen mit der Bewertung der These "die Fähigkeit, IT-Spezialisten auch international rekrutieren zu können, gewinnt an Bedeutung".