Herr Resch, Manager gelten als beruflich stark eingespannte Spezies. Ständig unterwegs und wenig Zeit für Familie und Hobbys. Wie hält man das aus?
Sehr wichtig ist mir, dass ich die Steuerung meines Zeitplans selbst übernehme. Mit den Jahren hat mein Einfluss auf die Termine immer mehr zugenommen. Stark fremd gesteuert zu sein, habe ich damals immer als negativ empfunden. Heute habe ich das Glück, bei Bayer in der zweiten Reihe zu stehen. Hier ist die Fremd- und die Eigensteuerung von Terminen in einem guten Verhältnis. Ich muss zwar etwa bei der jährlichen Planungskonferenz vortragen, aber nicht auf der Hauptversammlung.
Trotzdem gibt es Tage, an denen zwei wichtige Termine auf ein Datum fallen. Wie gehen Sie damit um?
Früher habe ich darunter oft gelitten. Heute sehe ich es als ein Zeichen von Reichtum an, zwei gute Termine an einem Tag zu haben. Ich mache meinen Job gerne, doch manchmal ist eine Selbstrücknahme erforderlich. Geraten Sie in einen Unabkömmlichkeitswahn, laufen Sie in eine Falle, aus der Sie nicht mehr herauskommen. Da hilft mir meine berufliche Sozialisierung mit vielen Firmenwechseln in der Vergangenheit. Meinen Job haben meine Nachfolger meist gut hinbekommen.
Sind Sie selbst schon mal an körperliche und psychische Grenzen gestoßen?
Es gibt immer wieder Phasen, die anstrengend sind. Als ich Vorstand bei Herlitz war, sollten die Systeme auf SAP R/3 umgestellt werden. Das war 1999, das Jahr 2000-Problem kam hinzu. Und ein halbes Jahr vor dem Going Live stellte sich heraus, dass die Projektleitung nicht klappen würde. Schließlich habe ich die Leitung selbst übernommen. Damals war ich monatelang unter extremer Anspannung. Glücklicherweise war der Druck danach wieder auf Normalniveau.
Jeder zehnte Manager gibt in Umfragen zu, ein Sucht-Problem zu haben. Die Dunkelziffer dürfte noch höher sein. Der Grund: Sie erkennen die eigenen Grenzen nicht mehr und verwischen jene extreme Anspannung …
Die Grenze ist erreicht, wenn Sie das Gleichgewicht zwischen Anspannung und Entspannung nicht mehr hinbekommen. Früher habe ich im Flieger fast nur Dienstliches gelesen oder mit dem Laptop gearbeitet. Heute schaue ich mir oft Filme an und lasse die Arbeit gut sein. Den entscheidenden Anstoß, das zu verstehen, hat mir ein Manager gegeben, der mit Ende 50 wegen Herzproblemen aus dem Beruf ausgeschieden ist. Dieser nötige Wechsel zwischen An- und Entspannung ist übrigens aus dem Sport längst bekannt. Nur, wer sich Pausen gönnt, baut Muskeln auf.
Die Organisationspsychologie sieht Manager, die in der Hierarchie weiter unten rangieren, als besonders Stress-gefährdet an. Sie haben nichts zu entscheiden und müssen Entscheidungen, hinter denen sie nicht selbst stehen, ihren Mitarbeitern vermitteln.
Es stimmt, dass Mitarbeiter, die an mich berichten, enger eingespannt sind. Deshalb versuche ich, mit ihnen nur über Ergebnisse und nicht über Arbeitsprozesse zu sprechen. Meine Erfahrung ist: Je weniger Einfluss ich auf die eigentliche Arbeit ausübe, umso höher ist deren Motivation, die Ziele zu erreichen. Auch in den Jahresgesprächen lasse ich die Ziele vom Mitarbeiter beeinflussen.
Trotzdem passiert es, dass Mitarbeiter dem Stress und der Arbeitsbelastung nicht gewachsen sind. Wie gehen Sie damit um?
Ich fordere meine Mitarbeiter dazu auf, zu sagen, wenn sie nicht klar kommen. Ich sage ihnen "Verschonen Sie mich mit Überraschungen. Sie können zu mir kommen, wenn Probleme nicht mehr steuerbar sind". Das ist eine wohlige Drohung, jemanden abzustrafen, der nicht rechtzeitig erkennen und zugeben möchte, dass Unterstützung erforderlich geworden ist.
Manchmal wirken sich Probleme, die außerhalb des beruflichen Alltags liegen, auf die berufliche Leistung aus …
Auf der persönlichen Ebene gibt es bei uns die gedankliche SOS-Karte. Die kann jeder Manager ziehen, wenn der Alltag zu stressig und hektisch wird, egal ob der Grund in einer Scheidung, Schicksalsschlägen in der Familie oder Alkoholproblemen liegt. Dann nehme ich mir innerhalb eines Tages Zeit. Ich möchte niemals erleben, dass ein Mitarbeiter zusammenbricht und ich mir eingestehen muss, dass ich zu abgelenkt war, um die Probleme zu erkennen. Ich verbringe schließlich die Hälfte meines Lebens im Beruf, da möchte ich mit den Menschen klarkommen.
Da gibt es jedoch noch die andere Hälfte - das Leben in der Familie …
Deshalb würde ich auch nicht von Work Life Balance sprechen, sondern Life-in-work- und Life-in-familiy-balance.