Die ganze Pinnwand im Büro von Carlton Woestmann hängt voll mit Templates - schwarz-weißen DIN-A4-Standardseiten als Muster für künftige Kataloge beim Reisekonzern Thomas Cook. Der Projektleiter für das Katalogmanagement lässt Freiräume für Fotos, Text, Landkarten und Preislisten. Mit diesen Vorgaben füttert Woestmann sein neues Katalogmanagementsystem Mediamine, in dem Thomas Cook nun die meisten Katalogdaten in einer zentralen Datenbank führt, sämtliche Kataloge druckreif und automatisch für das Internetgeschäft verfügbar macht. Über drei Jahre haben Überzeugungsarbeit und Abstimmungen gedauert - für einen Ansatz, den Konkurrent TUI schon lange verfolgt.
"Die TUI steuert sämtliche Assets wie Flüge und Hotels weitgehend über eine zentrale Datenbank in den jeweiligen Regionen", so Tourismus-Analyst Christian Obst von der Hypovereinsbank in München. TUI habe durch die Krisenzeit hindurch in die IT investiert - als Voraussetzung für ein Yield-Management, das automatisch zur Nachfrage den richtigen Preis für das bestmögliche Ergebnis bestimmt. Thomas Cook hingegen musste sparen.
Beeser saniert Neckermann
Verluste in Millionenhöhe bescherten dem Unternehmen einen weitgehenden Investitionsstopp. Analyst Obst: "Thomas Cook hatte zwei Shareholder, die an allen Ecken und Enden sparen wollten." Stefan Pichler, bis Ende 2003 Thomas Cook-Chef, wollte das Internetgeschäft forcieren und gar den "Katalog on demand" für Print und Online, hat allerdings, so beobachtet der Professor für Tourismusmanagement Karl Born von der Fachchochschule Harz, "immer viel gewollt und wenig umgesetzt". Und Thomas Cook schrieb enorme Verluste. Pichler-Nachfolger Wolfgang Beeser gab Online bisher die "zweite Priorität" - klar hinter der Sanierung von Neckermann.
Nach neuen Zahlen für das Geschäftsjahr 2003/2004 manövrierte Beeser den Konzern wieder in den profitablen Bereich. Dieses Ergebnis kann nicht über die noch immer prekäre Situation des Gesamtkonzerns hinwegtäuschen: Das aus den Kernmarken Neckermann, Condor und Thomas Cook zusammengesetzte Unternehmen gehört zur Hälfte dem sanierungsbedüftigen Einzelhandelskonzern Karstadt Quelle, zur anderen Hälfte dem Luftfahrtkonzern Lufthansa.
Wie die "Lebensmittel Zeitung" Anfang März berichtete, unternahm Karstadt Quelle bereits den Versuch, seinen Anteil an den Schweizer Touristikkonzern Kuoni abzugeben. Er scheiterte. Tourismus-Professor Borns Einschätzung: "Karstadt Quelle wird sich von Thomas Cook trennen, sobald ein Käufer da ist." Auch Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhuber, derzeit vor allem mit der Integration der Schweizer Fluggesellschaft Swiss in sein Unternehmen beschäftigt, sieht Thomas Cook schon lange als eines der Sorgenkinder an.
Nun taucht der Veranstalter nur am äußersten Rande seines Charts auf, auf dem er die Nähe der Geschäftsaktivitäten zum Kerngeschäft dargestellt hat. "Thomas Cook gehört nicht mehr unverrückbar zum Kerngeschäft", konstatiert der Ex-TUI-Vorstand und Ex-Verkaufschef von Condor Born - "ich war sehr verwundert". Zudem sei ja bekannt, dass die Lufthansa gerne das Condor-Fluggeschäft aus dem Thomas-Cook-Portfolio herauskaufen würde.
Thomas-Cook-Chef Beeser setzte bei der Sanierung von Thomas Cook zunächst bei Neckermann an, dem Veranstalter, bei dem er vor Jahren als Reiseleiter begann. "Neckermann war für Beeser das wichtigste", sagt Tourismus-Professor Born, "und da war er ja auch erfolgreich. Dafür hinkt nun das Internetgeschäft hinterher.
Die Hoffnung gilt der zentralen Datenbank für das Katalogmanagement. Sie bietet Beeser den Ansatz für den Anfang März auf der Bilanzpressekonferenz ausgerufenen "Investitionsschwerpunkt E-Commerce" - einst Pichlers Hauptanliegen. "Traditional Outlets" wie die 3600 Reisebüros machen bislang den Großteil des 7,5-Milliarden-Geschäfts aus. Umsätze von 500 Millionen Euro habe der Konzern über virtuelle Kanäle eingenommen, resümiert Vorstandschef Beeser. Thomas Cook will laut Dietrich "massiv in dieses Thema investieren und strebt "eine deutliche Erhöhung des Umsatzes im Bereich der Non-traditional Outlets an. Das wird jedoch Dietrichs Nachfolger Reinhard Eschbach (siehe Seite 56) umsetzen.
Thomas Cook fehlt Marke für das Internet
Internetanbieter wie Opodo und Expedia profitierten jahrelang davon, dass etwa Thomas Cook den Bereich bislang stark unterschätzte. "Opodo zieht sich Daten von unserer Homepage herunter und bereitet sie neu auf", erläutert Projektleiter Woestmann, "wir nehmen die aktuellen Daten aus unserer nun konzernweit zentralen Datenbank und müssen uns daher nicht auf eine Perspektive eines Hotels beschränken." Doch haben Expedia und Opodo ihre Marken im Veranstaltungsgeschäft längst etabliert. Branchenkenner Stephan Gerhard: "Während einige Flugmarken wie hlx für Hapaq Loyd Express und Gexx für Germania Express schon längst als reine Internetmarken etabliert sind, gibt es von den Veranstaltern nichts Vergleichbares", meint der Treugast-Geschäftsführer. Allerdings verfügen sie über keinerlei Produkte. Anders bei der TUI und bei Thomas Cook. Dietrich sieht ebenfalls hier die Vorteile - nicht zuletzt wegen des neuen Katalogmanagementsystems: "Sämtliche Bilder eines Hotels aus dem Neckermann-Katalog befinden sich jetzt in einer zentralen Datenbank."
Die erste Serie Neckermann-Kataloge hat Thomas Cook bereits gedruckt - ein Meilenstein für Projektleiter Woestmann, der so Kosten senkt und Prozesse vereinfacht. Derzeit macht er Mediamine, das zuvor "in kleinem Umfang" in Belgien zum Einsatz kam, fit für die Quellmärkte Deutschland, Frankreich, Österreich und Holland. "Und wir sind nicht auf proprietäre Layout-Programme wie Quark Express angewiesen", freut sich Woestmann, der so quasi nebenbei Lizenzkosten von mehreren 100 000 Euro spart.
Im Fokus des Projekts Katalogmanagement stehen die internen Prozesse. Projektleiter Woestmann: "Was vorher eine Agentur händisch erledigte, machen nun mehrere Agenturen weitgehend automatisiert." Statt einer Reproagentur arbeiten nun fünf für das Reiseunternehmen aus Oberursel, der den Vorteil im Benchmarking zwischen den Fünfen sieht. Mit der zentralen Datenbank hat Thomas Cook nun erstmals sämtliche Produktionsdaten im eigenen Haus. "Die Inhalte lassen sich nun über das Jahr verteilt pflegen", sagt Woestmann, der sich davon verspricht, "Peaks" in der Arbeitsbelastung der etwa 100 Mitarbeiter in der Katalogproduktion abzubauen.
Bislang sind lediglich die Neckermann-Kataloge auf der Mediamine-Plattform erfasst. Die Daten des ersten Thomas-Cook-Katalogs "Fernreise und Mittelmeer" für die kommende Wintersaison 2005/06 pflegt das Katalogteam gerade ins System ein. Die Gesamtprojektkosten von 2,5 Millionen Euro habe man schon nach einer Katalogproduktion wieder rausgeholt: "Die Satzkosten pro Seite sinken auf ein Fünftel", rechnet Woestmann vor.
Katalogmanagement ohne die Briten
Einziger Wermutstropfen: Der englische Zweig von Thomas Cook beharrt nach wie vor auf seinem System AO Campain, das dort vor zwei Jahren eingeführt wurde. Der Gründe hierfür liegen in der Geschichte des Unternehmens. Im Jahr 2001 übernahm die C & N Touristic bestehend aus der Fluggesellschaft Condor und Neckermann und Reisen (NUR), den englischen Tourismusanbieter Thomas Cook. Doch der Zusammenschluss brachte dem damaligen Vorstandschef Stefan Pichler statt des erhofften Aufwinds für das Internetgeschäft tiefrote Zahlen - das Aus für den Propageur des Internetgeschäfts.
Und einige bereits durchkonzeptionierte Projekte bekamen augenblicklich eine andere Priorität: So konnten etwa "TC-TOP", die Thomas-Cook-Tour-Operator-Plattform, und "MCSP", die Multi-ChannelSales-Plattform, nicht realisiert werden. Mit TC-TOP wollte Thomas Cook etwa 13 regional eingesetzte Reservierungssysteme auf eine gemeinsame europäische Plattform hieven. Voraussetzung war allerdings internen Informationen zufolge die Anpassung der länderspezifischen Prozesse und das Loslassen von "liebgewonnenen" Dingen. Mit MCSP sollte eine europäische Vertriebsplattform entstehen - ebenfalls erfolglos, da alle Länder offensichtlich ihr Ding machten, obwohl sie mit den gleichen Herausforderungen konfrontiert waren wie etwa Internet, Dynamic Packaging oder dem Thema virtueller Veranstalter.
Abstimmungsbedarf mit vielen Meetings
Auch Katalogmanagement-Mann Woestmann kennt die Probleme, die mit seinem Projekt verbunden waren - jedoch letzten Endes bezwungen wurden. Er spricht von "erheblichem Abstimmungsbedarf mit vielen Workshops und Meetings, davon, dass er immer wieder die Prozesse mit den Fachbereichen durchgegangen sei und klar gemacht habe, wo die Vorteile des neuen Systems liegen. Kleine Teilerfolge hielten Woestmann während der zähen Verhandlungen hoch: "Es gibt ja auch viele Quick-Wins auf dem Weg dahin - das sind kleine Prozessverbesserungen, die wir ad hoc realisieren konnten." Preistabellen, die zuvor manuell gesetzt wurden, baute Woestmann recht früh in Mediamine ein.
Zudem machten kulturelle Unterschiede den IT-Managern den schnellen Weg zu einem einheitlichen System schwierig. Wenn es ein System und einen Bild-Pool gibt, dann, so die Bedenken einiger Mitarbeiter, werden auch die Kataloge in Frankreich, Deutschland und Großbritannien sehr ähnlich aussehen - was bislang nicht so ist. "Wir haben bewiesen, dass die Erfordernisse gar nicht so weit auseinanderliegen", sagt IT-Manager Dietrich.
Vom Quick-Win zum globalen Asset-Management: Das Woestmann-Projekt könnte schließlich zum Steigbügel für das E-Commerce-Geschäft werden - oder aber Thomas Cook zumindest das Antlitz eines Reiseveranstalters verpassen, der das Internetzeitalter nicht komplett verschlafen hat. So würde Thomas Cook wieder interessanter für eventuelle neue Beteiligungsunternehmen - wenn Karstadt Quelle und die Lufthansa ihre strategischen Erwägungen wahr machen. Diese Fragen berühren IT-Manager Dietrich bekanntlich nicht mehr so sehr - sein neues Fernziel ist noch nicht bekannt.