Jens-Peter Neumann ist ein Spezialist für Speed-Datings geworden. Der glücklich verheiratete 57jährige hat sich in den letzten zehn Monaten über 200 Startups genauer angesehen und mit über 100 davon Gespräche geführt. In Tel Aviv, im Silicon Valley oder in Bad Neustadt. "Wir brauchen weltweiten Input für unsere Technologien, das Potenzial der digitalen Startups ist dafür eine riesengroße Chance und für die Zukunft unverzichtbar", sagt Neumann.
Erst seit Kurzem ein Inkubator und Investor in Startups
Die Branche der großen privaten Klinikbetreiber hat sich in Deutschland erst seit Kurzem als Inkubator und Investor in Startups hervorgetan. Aber der Zug beginnt dort immer schneller zu rollen und Neumann ist früh aufgesprungen. Wie er strategisch und über mehrere Prozess-Stufen die erste Handvoll relevanter Startups für Kooperationen und Investments unter Hunderten Kandidaten ausgewählt hat, dazu gibt er gerne Einblick.
Jens-Peter Neumann ist hauptamtlich Vorstand der Rhön-Klinikum AG in Bad Neustadt, die in Deutschland zu den Top 5 der privaten Krankenhaus-Betreiber gehört. Und dort für Finanzen zuständig. Diese Verantwortung ist an sich herausfordernd genug: Das Gesundheitssystem in Deutschland ist von vielen staatlichen Regulationen abhängig, hier ist es eine Herkulesaufgabe, Krankenhäuser profitabel zu führen.
Rhön-Klinikum gründete eine Innovations-Tochter
Zum Unternehmen gehören unter anderem die beiden privatisiertenUniversitäts-Kliniken in Gießen und Marburg, in denen medizinische Exzellenz das Aushängeschild ist. Dem Konzern reicht es deshalb nicht, wenn innovative Medizintechnik-Anbieter oder IT-Dienstleister in den Krankenhäusern ihre Leistungen erbringen. Der Klinikbetrieb an sich und die Heilmethoden müssen ständig auf den neuesten Stand gebracht werden. "Technologie-Führerschaft ist dabei die Erfolgsformel", sagt Vorstand Neumann. Hier müssen zur Ergänzung der eigenen Ressourcen möglichst auch technologische Start-ups ran. Und dazu wurde Im März 2016 die Rhön-Innovations GmbH gegründet. Mit Jens-Peter Neumann als Geschäftsführer.
80 Ärzte und Wissenschaftler definierten den Bedarf
"Im ersten Schritt haben wir uns ein internationales Experten- und Partner-Netzwerk geschaffen", sagt Neumann. Also eine Vernetzung mit Spezialisten, die bei der Identifizierung und Beurteilung von Startups Erfahrung haben. Von Inkubatoren bis Venture Capital Firmen. Neumann: "Zusätzlich haben wir auf der fachlichen Seite rund 80 Ärzte und Wissenschaftler herangezogen, die unseren Bedarf definiert haben." Auf dieser Basis haben Neumann und seine Leute die bisher über 200 Startups identifiziert, die in die Anforderungsprofile von eHealth bis zu neuen innovativen Medizinprodukten passen könnten.
In Runde kamen 76 von 200 Startups
Im zweiten Schritt wurden 104 passgenauere Startups genauer unter die Lupe genommen. "Während in anderen Bereichen wie im eCommerce zunächst nur die Due Diligence eine Rolle spielt, mussten wir natürlich schauen, ob es für die Anwendungen schon klinische Studien und relevante wissenschaftliche Grundlagen gab", sagt Neumann. So konnten dann nur noch 76 Technologien im nächsten Schritt von den internen Spezialisten der Rhön-Klinikum AG sowie von Industrie-Partnern, die für die Zusammenarbeit im Krankenhaus-Betrieb unerlässlich sind, unter die Lupe genommen werden. Neumann: "Wichtig war und ist dabei auch, ob die Lösung eines potenziellen Partners aus Europa, den USA oder Israel wirklich mit dem Deutschen Gesundheitswesen und seinen Regulationen kompatibel ist."
20 Startups im Finale
Final blieben bisher 20 Startups und deren Technologien für einen eingehenden Praxis-Test in den Rhön-Kliniken übrig. Nach deren Auswertung, weiteren Verhandlungen und Due Diligence waren es bisher noch fünf Startups auf der Short-List. Darunter ein Entwickler von nicht-invasiven (also nicht in den Körper eingepflanzten) Sensoren zur Messung spezieller Herzfunktionen. Ein anderes Startup macht es durch eine Datenbank möglich, Patienten auf sie zugeschnittene Videos mit den Einnahmeempfehlungen für ihre Medikamente an die Hand zu geben - eine wichtige Funktion, denn der Behandlungserfolg wird häufig durch falsche Anwendungen der Patienten gefährdet.
"In zwei der Startups haben wir jetzt investiert, mit den anderen drei sind wir in sehr konkreten Verhandlungen kurz vor dem Abschluss", sagt Neumann. Und er verrät: "Weitere neue Startups sind in der Pipeline, das ist ein kontinuierlicher Prozess geworden."
Startup mit intelligent vernetztem Defibrillator
Die erste Startup-Beteiligung ist seit September 2016 Inovytec aus Israel, ein seit 2011 bestehender Entwickler von Erstversorgungs-Lösungen bei medizinischen Notfällen. Dessen handliche und leicht bedienbare Defibrillatoren sind überall außerhalb des Krankenhauses leicht einsetzbar - nicht nur an Bahnhöfen - und sind so intelligent vernetzt, dass sie nach der Aktivierung durch Ersthelfer den eintreffenden Sanitätern sofort alle wichtigen Körperfunktions-Daten des Patienten anzeigen und diese gleichzeitig an die Notaufnahme im Krankenhaus übermittelt, die sich auf die Weiterbehandlung vorbereiten kann. Für die Rhön Klinikum AG ist dieses System ein wichtiger Baustein, um die Versorgung auf dem Lande zu optimieren und die Krankenhäuser besser auf die Aufnahme von Notfallpatienten vorzubereiten.
Jens-Peter Neumann erklärt an diesem Beispiel, warum es sich auf der anderen Seite auch für die Startups lohnt, eine Partnerschaft mit seinem Unternehmen einzugehen, das in der Regel nur Minderheitsbeteiligungen von bis zu 20 Prozent anstrebt: "Nach dem Einstieg stellten wir dem Startup natürlich unser Know-how zur Verfügung und platzieren Experten dort im Advisory Board. Zudem kann ein solches Unternehmen wie Inovytec vom Einsatz seiner Technologie in der Praxis bei uns profitieren und mit dieser Expertise weitere Kunden akquirieren. Wir streben also eine Win-Win-Situation an!"
Israel ist Hauptregion
Nach den bisherigen Erfahrungen, hat Neumann eine ganz klare Haupt-Zielregion für seine Akquisitionen identifiziert: Israel. Hier ist er aktuell in Vorverhandlungen mit der Jerusalem Development Authority, viele gemeinsame Lösungen bis hin zu einem Inkubator vor Ort sind denkbar. Dafür hat der Klinik-Manager bereits einiges lokales Know-how und auch Kontakte gesammelt. Allerdings würde er zusätzlich gerne auf Erfahrungen von CIOs zurückgreifen, die schon lange mit Firmen in Israel zusammenarbeiten oder dort Inkubator-Erfahrung haben.
Welche Ziele hat Neumann noch - außer dem erfolgreichen Speed-Dating? "Rhön-Innovations soll eine Marke für Innovationen im Gesundheitsbereich, in eHealth und IT-Exzellenz werden. Im europäischen Markt und auch in Israel und langfristig in den USA. Wir sind kein Weltkonzern, aber wir liefern hervorragende Laborbedingungen für innovative Startups und haben flache Strukturen bei den Verhandlungen!" So flach, dass Neumann schon bald wieder unterwegs sein wird, zum nächsten Speed-Dating.
Unternehmen | Rhön-Klinikum AG |
Die Rhön-Klinikum AG ist ein Krankenhauskonzern mit fünf Standorten und rund 5300 Betten, der sich auf versorgungsnahe Spitzenmedizin mit direkter Anbindung an Universitäten und Forschungseinrichtungen konzentriert. Dank einer höheren Zahl behandelter Patienten stiegen der Umsatz in den ersten 9 Monaten 2016 um 6,4 Prozent und der Gewinn um gut ein Drittel. Für 2016 wird ein Umsatz von 1,17 bis 1,2 Milliarden Euro und einem operativen Ergebnis vor Abschreibungen von 155 bis 165 Millionen Euro erwartet. Das Unternehmen setzt als einer der ersten Krankenhausbetreiber seit Oktober 2016 die webbasierte elektronische Patientenakte – kurz WebEPA – ein. Sie soll Haus-, Fach- und Klinikärzte miteinander vernetzen und somit eine bestmögliche Versorgung der Patienten gewährleisten. |