Wenn sich heute die Diskussionen um Big-Data-Techniken und die damit arbeitenden Datenkraken drehen, denkt man in erster Linie an die großen Internet-Companies wie Facebook und Google. Dabei wird gerne vergessen, dass andere Organisationen genauso gerne Daten sammeln und ihre Datenbestände zumindest ebenso umfangreich sein dürften. Staatliche Behörden horten in ihren Datenbanken riesige Mengen an Informationen - die öffentliche Hand unterhält Melderegister, pflegt Sozialversicherungssysteme, erfasst in Bau- und Katasterämtern verschiedenste Geodaten, hält Kriminalitätsstatistiken stets auf dem Laufenden, archiviert Gesundheitsinformationen und sammelt in den Statistikämtern vielfältigste Informationen zu Märkten, Gesellschaft und Infrastrukturen - die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Diese Datenschätze machen Staat und Behörden zu wichtigen Protagonisten in den aktuellen Big-Data-Diskussionen, die durchaus konträr geführt werden. Während die einen im Umfeld von Big Data vor allem Chancen und Möglichkeiten für neue Geschäftsmodelle, bessere Entscheidungen und mehr Effizienz sehen, warnen die anderen vor ungehemmter Sammelwut von Unternehmen und Organisationen, die mit den Daten immer mehr Macht und Kontrolle über die davon betroffenen Personen und Institutionen erlangen. Der Staat könnte eine Schlüsselrolle dabei spielen, wie sich dieser Konflikt lösen ließe - in seiner Rolle als Big-Data-Anwender sowie als Regulator, der die Regeln vorgibt, wie mit Big Data umzugehen ist.
Experten plädieren dafür, staatliche Stellen müssten im Sinne von Open Government und Open Data mehr Offenheit und Transparenz im Umgang mit Daten verfolgen. Beispielsweise haben das Marktforschungsinstitut demosEUROPA und das Warsaw Institute for Economic Studies im Rahmen der Studie "Big & Open Data in Europe - a growth engine or a missed opportunity?" herausgefunden, dass sich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der 28 EU-Länder bis 2020 um zusätzliche 1,9 Prozent steigern ließe - das entspräche 206 Milliarden Euro. Um dieses zusätzliche Wirtschaftspotenzial zu heben, müssten die Länder ihre Daten-silos öffnen und die dort liegenden Informationen in maschinenlesbarer Form bereitstellen. Davon könnten Bürger wie Unternehmen profitieren.
Doch noch tut sich die öffentliche Hand mit einem großzügigeren Datenumgang schwer. Zwar gibt es mittlerweile einige vielversprechende Ansätze wie das Anfang vergangenen Jahres eröffnete Datenportal "GovData", auf dem Geodaten des Bundes bis hin zu Haushaltsplänen einzelner Kommunen zu finden sind. Zur Jahresbilanz im Februar 2014 vermeldeten die Betreiber rund 6000 Datensätze, in denen die ungefähr 5500 monatlichen Nutzer nach nützlichen Informationen suchen könnten. Bis Anfang Juli hatte sich die Zahl der zur Verfügung stehenden Datensätze auf mehr als 7300 erhöht.
Das Angebot soll laufend erweitert werden, die Aufnahme des Regelbetriebs ist für Anfang 2015 geplant. Ziel des Portals ist es eigenen Angaben zufolge, "Bürgerinnen und Bürgern, vor allem aber Software-Entwicklern, Datenjournalisten, Grafikern und anderen professionellen Nutzern einen einfachen Zugang zu den Daten der Verwaltung zu erschließen und so die Weiterverwendung der Daten zum Nutzen aller zu fördern". Die IT-Beauftragte der Bundesregierung, Staatssekretärin Cornelia Rogall-Grothe, sagte dazu: "Mit GovData wollen wir gemeinsam mit Ländern und Kommunen die Datenschätze der Verwaltung besser, einfacher und transparenter nutzbar machen."
An anderer Stelle hakt es allerdings nach wie vor
Seit Anfang 2006 gilt hierzulande das Informationsfreiheitsgesetz. Dieses soll jedem Bürger den Zugang zu amtlichen Informationen der Bundesbehörden ermöglichen. In der Praxis geben sich aber viele Ämter zugeknöpft, wie Datenschützer in den vergangenen Jahren wiederholt bemängelten. Manche Behörden seien sehr kreativ, wenn es darum gehe, das Auskunftsrecht der Bürger zu umgehen, und deklarierten bestimmte Daten einfach um, um ihre Herausgabe verweigern zu können. Auch die Umsetzung in den Ländern verläuft eher schleppend. Beispielsweise gibt es in Baden-Württemberg immer noch keine rechtliche Grundlage, die Bürgern einen Einblick in Akten der Verwaltung ermöglicht. Dabei hatten gerade die Grünen, die dort mit Winfried Kretschmann den Ministerpräsidenten stellen, vor drei Jahren im Wahlkampf mehr Transparenz versprochen.
Doch aus einem anderen Blickwinkel ist das Zögern, die Datentöpfe zu öffnen, durchaus verständlich. Denn neben den Forderungen, offener und transparenter mit Daten umzugehen, werden gerade heute in der öffentlichen Diskussion die Forderungen immer lauter, der Staat müsse für mehr Datensicherheit und -schutz sowie eine bessere Wahrung der Privatsphäre sorgen. Das Eis, auf dem sich die deutschen Behörden in Sachen Big Data bewegen, ist also äußerst dünn. Denn die Enthüllungen rund um die Spähskandale der amerikanischen und britischen Geheimdienste haben das Vertrauen der Bürger in die Sicherheit ihrer Daten schwer erschüttert, wie verschiedene Umfragen des Branchenverbands Bitkom gezeigt haben.
Demnach misstrauen 71 Prozent der deutschen Internet-Nutzer Staat und Behörden, was den Umgang mit ihren persönlichen Daten betrifft. Im Jahr 2011 lag dieser Anteil mit 40 Prozent noch weitaus niedriger. Hinzu kommt, dass sich mittlerweile mehr als jeder zweite Bundesbürger (53 Prozent) von der Ausspähung seiner Daten durch Behörden im In- und Ausland regelrecht bedroht fühlt. Damit übertrifft die Sorge vor der Bespitzelung durch den Staat inzwischen sogar die Angst vor Cyber-Kriminellen.
Digitalen Agenda 2014-2017
Vor dem Hintergrund, dass sich die intelligente Datennutzung zu einem wichtigen Produktivitätsfaktor für Wirtschaft und Behörden gemausert hat und Big Data starke Wachstumsimpulse für den deutschen IT-Standort bringen könnte, ist dieser Zustand jedoch kaum haltbar. Bund und Länder setzen die Rahmenbedingungen, unter denen das "Data-driven Enterprise" gedeihen kann. Deshalb sollten sie selbst auch in der Lage sein, Daten verantwortungsvoll und transparent zu nutzen, so dass die Bürger die Vorteile spüren und Vertrauen fassen.
Im Rahmen der "Digitalen Agenda 2014-2017" wirbt die Bundesregierung um dieses Vertrauen. Die Ziele sind ehrgeizig und betreffen ein breites Spektrum von ITK-Strategien und Digitalisierungsthemen. Beispielsweise sollen Beratungsangebote zur Digitalisierung von bestehenden Wertschöpfungsketten ausgebaut werden - auch im Hinblick auf Trends wie Cloud Computing und Big Data. Für Big Data sollen die Forschungs- und Innovationsförderung auf die Entwicklung von Methoden und Werkzeugen zur Datenanalyse ausgerichtet, Kompetenzzentren eingerichtet und disziplinübergreifend strategische Anwendungsprojekte ins Leben gerufen werden.
Eine besondere Rolle müsse dabei allerdings das Thema IT-Sicherheit spielen, heißt es in dem Planungspapier der Regierung. Speziell mit dem zuletzt genannten Aspekt treffen die Regierenden offenbar den Nerv der Unternehmen, wie eine Bearingpoint-Studie zeigt, für die im April und Mai 370 Unternehmen befragt wurden. Gerade in Sachen Sicherheit sehen die Befragten die Politik in einer besonderen "Lieferverpflichtung". 70 Prozent identifizieren hier einen mittelgroßen bis sehr großen Nutzen. Im Nutzen-Ranking folgen die Themen Cloud Computing (47 Prozent), Intelligente Mobilität (43 Prozent) und Big Data (32 Prozent).
Experten mahnen die Regierenden, verantwortungsvoll mit Daten umzugehen. Big Data kann helfen, die Planung, Steuerung und Optimierung von Prozessen in Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft zu verbessern, heißt es in der aktuellen Untersuchung "Big Data - ungehobene Schätze oder digitaler Albtraum" des Fraunhofer-Instituts für Offene Kommunikationssysteme (Fokus). Der Einsatz entsprechender Technologien sei jedoch auch mit Risiken verbunden, die sich aus missbräuchlicher Nutzung, fehlenden rechtlichen Rahmenbedingungen und unzulässigen Schlussfolgerungen aus dem generierten Wissen ergeben.
Zudem gibt es grundsätzliche Zweifel: "Es ist ein Trugschluss, große Datenmengen mit besseren Lösungen gleichzusetzen. Immer noch sind die wesentlichen Punkte, die richtigen Fragen zu stellen, die richtigen Daten auszuwählen und die Ergebnisse richtig auszuwerten."