Den Wunsch nach einer Digitalisierung des Schiffsregisters gab es in der Freien und Hansestadt Hamburg schon lange. Als letzter Fachbereich der Behörde für Justiz und Verbraucherschutz (BJV) arbeiteten die dafür zuständigen zehn MitarbeiterInnen in den vergangenen Jahren noch gänzlich mit Papier und Stift.
Für André Basten, seit 2017 in der BJV Abteilungsleiter für IT und Digitalisierung, war das von Beginn an ein wunder Punkt. Der studierte Wirtschaftsinformatiker arbeitete zuvor sieben Jahre in der Senatskanzlei an IT- und Digitalisierungsprojekten und kannte gut umgesetzte Digitalisierungsprojekte. "Für uns in der Abteilung der Behörde für Justiz und Verbraucherschutz war klar: das analoge Schiffsregister muss weg, und zwar schnell", berichtet er. "Und selbst der Fachbereich Schiffsregister hat darauf gedrängt, dass wir endlich digitalisieren." In den Vorjahren waren einige Initiativen nach klassischem Muster bereits gescheitert. Zu aufwändig, zu teuer und zu langwierig, so die damaligen Einschätzungen.
Erfolgreich umgesetzt wurde das Vorhaben schließlich Ende 2020 mit einer modernen Web-App in einem agilen Projekt. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Hamburger Digitalisierungsstrategie: Ausgestattet mit jährlich rund 90 Millionen Euro für IT-Projekte laufen seit 2017 die Fäden direkt in der Senatskanzlei zusammen. Hinzu kommen seit einigen Jahren ein strukturierter Support und eine verpflichtende Zertifizierung von Projektaufträgen durch ExpertInnen des "Projekt-Wissenscenters", das bei der Finanzbehörde angesiedelt ist.
Schiffsregister: die Grundbücher der Branche
Die Schiffsregister in Deutschland - jedes Bundesland führt eines - sind weltweit einzigartig. Sie funktionieren wie ein rechtliches Grundbuch für Schiffe aller Art. Hamburg führt mit rund 6.200 See- und Binnenschiffen das größte Register dieser Art in Deutschland, die Ursprünge reichen bis ins Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Die Kundschaft des Amtsgerichts der Hansestadt ist traditionell vielfältig, sowohl Privateigner als auch Reeder und Bankenkonsortien sind auf das Register angewiesen. Vor allem wegen der internationalen Seeschifffahrt ist ein schneller digitaler Service dabei ein Wettbewerbsvorteil.
Der neue Plan für die Digitalisierung sah bereits einen agilen Entwicklungsansatz vor. Er sollte zunächst nur in Hamburg umgesetzt werden und nicht wie in der Justiz üblich zusammen mit den anderen 15 Bundesländern. Weil für eine komplett agile Softwareentwicklung noch Erfahrungen fehlten, wurde Anfang 2018 zunächst eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. Zusammen mit Dataport als Hauptauftragnehmer, dem IT-Dienstleister der Nordländer, wurde mgm consulting partners als Spezialist für agile Arbeitsweisen ins Boot geholt. Am Ende entschieden die Hanseaten, das Vorhaben noch 2018 gemeinsam mit dem externen Partner und Dataport zu starten.
Die Machbarkeitsstudie enthielt bereits ein grobes fachliches Konzept, das für die Verwendung in einem agilen Projekt vorgesehen war. Anstelle von genauen Funktionsbeschreibungen der geplanten Software wurde in einem ersten Schritt lediglich ein inhaltlicher Rahmen festgelegt. Dieser reichte aus, um eine Kostenabschätzung für die Freigabe vorzunehmen. Basten hatte noch Zweifel: "Für mich war ungewiss, ob wir den teils sehr komplexen fachlichen, rechtlichen und technischen Anforderungen gerecht werden können. Es war stellenweise ein Risiko, ob wir das in time und in budget hinbekommen."
Operativ war der inhaltliche Rahmen gleichzeitig die Basis für die granulare Detailplanung: Mittels der Planungssoftware JIRA, einem der Standard-Tools für agile Projekte, konnte der Product Owner sogenannte "Epics" formulieren und diese dann in "Stories" herunterbrechen. Eine Story entspricht einer Entwicklungsaufgabe, die innerhalb eines Zweiwochen-Zeitraums, dem "Sprint", umgesetzt werden kann.
Umsetzung nach Scrum-Konzept
Einer der Grundpfeiler des Scrum-Konzepts: Alle zwei Wochen stellen die EntwicklerInnen in Reviews ihre Umsetzungen und Arbeitsstände live vor. Beim Schiffsregister-Projekt am Hamburger Amtsgericht waren entsprechend meist alle zukünftigen AnwenderInnen dabei und bei übergreifenden Absprachen zu den Oberflächen, Funktionen oder anderer Details gefragt. Auf diese Weise fand ein regelmäßiger Austausch zwischen agilem IT-Projektteam und dem gesamtem Fachbereich statt. Eine derartige Beteiligung aller FachexpertInnen war für die Hamburger Justizmitarbeiter neu, wurde jedoch über die gesamte Projektlaufzeit intensiv genutzt.
Im Spätsommer 2020 ging das digitale Schiffsregister in Hamburg schließlich als erstes seiner Art live, Ende Oktober wurde es offiziell übergeben. Seitdem ist es auch hinsichtlich des Nachnutzungsgebots von Verwaltungsprojekten erfolgreich: Bremen hat das System übernommen, Berlin und Brandenburg werden ihre Schiffsregister an das Hamburger Amtsgericht übertragen.
Agiles versus klassisches Vorgehen in Behörden
Für den öffentlichen Dienst liegen in der agilen Vorgehensweise viele Chancen, die sich im Schiffsregister-Projekt gezeigt haben:
Verkürzter Projektvorlauf: Das Herunterbrechen des Grobkonzepts aus der Machbarkeitsstudie in ein Feinkonzept hätte schätzungsweise sechs bis acht Monate gedauert. Durch die Konzentration auf technische Voraussetzungen und eine begrenzte Menge an fachlichen Themen konnte das Entwicklungsteam seine Arbeit unmittelbar und ohne Verzögerung aufnehmen.
Schnelle Reaktion: Während der Umsetzung traten regelmäßig Änderungen in den Anforderungen auf - typisch für ein fachlich geprägtes IT-Projekt. Aufgrund der agilen Vorgehensweise konnte der Auftraggeber zu jeder Zeit selbst entscheiden, welche Priorität einer Änderung zugewiesen werden sollte. Bei entsprechender Dringlichkeit lagen zwischen dem Auftreten der Änderung und der Umsetzung zum Testen im nächsten Sprint nur drei Wochen.
Stärkere Einbindung und ständiges Feedback: Ein weiterer Vorteil besteht in der Möglichkeit, die Benutzer nicht nur einzubinden, sondern aktiv an der Entwicklung zu beteiligen. Sie können und sollen alle zwei Wochen das in Entwicklung befindliche Produkt sehen, testen und Feedback geben. Die hohe Beteiligung der zukünftigen Anwender hatte sowohl Vorteile für die Akzeptanz des Produkts als auch für dessen Qualität.
Als Vorsitzender des Lenkungskreises hat IT-Manager André Basten über die gesamte Laufzeit stets den Überblick über die Entwicklungen. Rückblickend sieht er das Vorgehen durchweg positiv: "Keine Frage, ich würde an so ein Softwareentwicklungsprojekt immer wieder agil herangehen." Die nur dreimonatige Projektverzögerung ist nach Einschätzung der Beteiligten in der Justiz einzigartig - und vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie im letzten Drittel zu vernachlässigen.
Ein agiles IT-Entwicklungsprojekt ist fortlaufend auf Zulieferungen des Auftraggebers angewiesen, beispielsweise im Hinblick auf die Bereitstellung von Budget, der Änderung von Verwaltungsvorschriften, der Einbindung von Personalvertretungen oder der Anpassung von internen Workflows. Ein behördlicher Auftraggeber muss sich also darüber Gedanken machen, wie das agile Projekt mit der behördlichen Linienorganisation zusammengebracht werden kann.
Das Schiffsregister-Projektteam entschied sich deshalb, der agilen Organisation mit Product Owner und Scrum Master einen Projektleiter aus der Behörde für Justiz und Verbraucherschutz zur Seite zu stellen. Bei diesem fanden alle Aufgaben eine Heimat, für die im agilen Entwicklungs-Setup sonst kein Platz gewesen wäre.
Dieser Ansatz kann ein Weg sein, um agile Projekte in Organisationen zum Erfolg zu führen, die selbst nicht agil aufgestellt sind. Innerhalb der Verwaltung ist also nicht die Frage, ob agil oder klassisch. Die Antwort in einem noch nicht selbst agilen Umfeld muss sein: beide Ansätze haben ihre Berechtigung. Erfolgsentscheidend ist, dass der Auftraggeber über eigene Ressourcen verfügt, um beide Vorgehensmodelle zu verstehen und diese in Einklang zu bringen.
Lessons Learned
Am Ende des Projekts wurden, getrennt nach Stakeholder-Gruppen, mehrere virtuelle Lessons-Learned-Workshops abgehalten. Die wichtigsten Erkenntnisse lauten:
Agil gern wieder: Obwohl die Sichtweisen auf das Projekt unterschiedlich waren (etwa Benutzer, Amtsgericht, Behörde, Dataport, mgm, Entwickler), haben sich alle Gruppen dafür ausgesprochen, dieses Instrument auch in anderen Projekten zu befürworten. Mehr als die Hälfte der TeilnehmerInnen vertrat sogar die Ansicht, dass das Projekt ohne den agilen Ansatz gescheitert wäre.
Einbindung, gern noch mehr: Trotz der auch zeitintensiven Beteiligung der fachlich Mitarbeitenden gaben fast alle an, dass sie die Einbindung genau richtig fanden oder sich sogar noch mehr gewünscht hätten. Agile Projekte im öffentlichen Dienst brauchen demnach nicht zu fürchten, keine fachlichen Unterstützer zu finden.
Eingespielte Teams nutzen: Ein wichtiger Punkt aus der Nachbetrachtung betrifft das Aufsetzen eines Projekts. Üblicherweise wird zunächst das Projekt selbst definiert und dann ein Team zusammengestellt. Dies erzeugt unweigerlich Reibungsverluste beim Zusammenfinden ("Ramp-Up"). Diese Aufwände sollten mithilfe eingespielter Projektteams vermieden werden.
Projektmanagement in Hamburger Justizbehörde
Inzwischen hat die Behörde für Justiz und Verbraucherschutz ein eigenes PMO (Project Management Office) nach dem Vorbild des zentralen Projekt-Wissenscenter aufgebaut. "Der Geschäftsbereich bei uns hat so viel Nachfrage, dass sich das lohnt", so Abteilungsleiter Basten. Knapp 40 MitarbeiterInnen hat seine Abteilung, ministeriell ist sie auch zuständig für die IT-Bereiche der Staatsanwaltschaften und Gerichte mit zusammen noch einmal über 100 Beschäftigten.
Schon jetzt managt Basten mit seiner Abteilung für IT- und Digitalisierung das größte Vorhabenportfolio der Hansestadt: über 60 aktive Projekte und ein Volumen von 20 Millionen Euro. Dazu zählen unter anderem Großprojekte wie ein hochsicheres Datacenter Justiz zusammen mit den Dataport-Trägerländern und dem Land Berlin sowie die Federführung für die länderübergreifende Einführung einer elektronischen Akte in der Fachgerichtsbarkeit.