Eine systematische Verwaltung von Stammdaten ist heute aus vielen Gründen nötig:
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Alle größeren Unternehmen haben komplexe und heterogene Applikationslandschaften. Das resultiert in einer Fülle meist inkonsistenter Datenquellen.
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Abteilungsübergreifende Analysen und Reporting erfordern einen hohen Aufwand bei Konsolidierung und Bereinigung.
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Fehlende organisatorische Regeln führen dazu, dass Stammdaten ad hoc angelegt werden und so beispielsweise ein Kunde unter mehreren Namen und Klassifizierungen gleichzeitig geführt wird.
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Redundante und alte Daten zu pflegen verursacht immense Kosten: Experten schätzen diese auf jährlich 150 bis 300 Euro für jeden einzelnen Datensatz.
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Bei globalen ERP-Implementierungen werden oft mehrere Stammdatenmodelle angewendet, was einen länder- und regionsübergreifender Datenaustausch verhindert: So führen beispielsweise unterschiedliche Stücklistenbezeichnungen dazu, dass ein Auftrag, der wegen der Kapazitätsoptimierung in ein anderes Werk verschoben werden soll, nicht direkt in die Produktionsplanung des Zielwerks übernommen werden kann.
Die angesprochenen Themen sind keineswegs neu und finden sich bereits auf den meisten CIO-Agendas. Neu ist dagegen das Schlagwort des Master Data Management, unter dem unterschiedliche technische Lösungen zusammengefasst werden, die darauf abzielen, Stammdaten aus unterschiedlichen Quellsystemen zentral zusammenzufassen.
Hauptziel einer MDM-Lösung ist es, eine integrierte, akkurate und konsistente Datenbasis für alle unternehmensrelevanten Stammdaten zu schaffen, die über entsprechende Schnittstellen oder im Rahmen einer serviceorientierten Architektur in die bereits bestehende Anwendungslandschaft eingebunden ist.
Angesichts der Bedeutung eines konsistenten Stammdaten-Universums für das Unternehmen stellt sich hier aber die Frage, ob die reine Systemsicht ausreicht. Um eine Master Data Management-Lösung effektiv und effizient einsetzen zu können, gilt es vielmehr, eine unternehmensweite Stammdatenstrategie zu definieren und umzusetzen.
Vier Faktoren tragen wesentlich zum Erfolg einer Stammdatenstrategie bei::
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Senior Management als Sponsor: Eine Stammdatenstrategie greift über die unternehmensweite Definition von Daten und zugehörigen Attributen tief in bestehende Geschäftsprozesse und -logiken ein. Ohne die klare Unterstützung des Themas beim Senior Management besteht die Gefahr, dass die jeweilige IT nur lokale, applikationsbezogene Lösungen vornimmt.
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Frühe Einbindung der Fachabteilung: wie bei komplexen Systemeinführungen muss auch hier die Sicht des Business mit den technologischen Aspekten in Einklang gebracht werden.
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Datenbereinigung: Lediglich die konsequente Bereinigung von Stammdaten ermöglicht es, Informationen für das Business sinnvoll bereitzustellen.
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Klare Prozessverantwortlichkeiten: Ein Master Data Management-System wird die geforderten Optimierungspotenziale nur bedingt heben, wenn organisatorische Regeln fehlen, die eine ungesteuerte Anlage und Modifizierung von Stammdaten verhindern.
Klar definierte Prozessverantwortlichkeiten sind der Schlüssel zum Erfolg. In vielen MDM-Projekten erhält eine "Master Data Governance", also Regeln und Authorisierungskonzepte, wie Stammdaten über die gesamte Organisation hinweg behandelt werden sollen, nicht den gleichen Stellenwert wie die Auswahl des unterstützenden Tools. Die Definition konsistenter Datenobjekte wie Kunde, Produkte oder Lieferant wird ohne Erfolg bleiben, wenn die Pflege und Entwicklung dieser Stammdaten nicht klaren Prozessen und Zuständigkeiten unterliegt. Das MDM-Tool selbst kann nur bedingt für eine verbesserte Datenqualität sorgen.
Die Definitionsphase eine ganzheitlichen Stammdatenstrategie sollte daher aus drei Phasen bestehen und folgende Kernfragen beantworten:
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Konzeptphase: Hier sollten die Grundlagen für die zukünftige Stammdatenstrategie definiert werden:
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Welche Stammdaten sind für das Unternehmen kritisch, weil beispielsweise Produktqualität, Kundenzufriedenheit sowie Compliance unmittelbar beeinflusst werden?
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Welche Anforderungen stellt die Organisation an diese Stammdaten?
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Welchen Regeln und Strukturen sollen die Stammdaten künftig folgen?
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Welcher Business Case wird durch eine erfolgreiche Stammdatenstrategie realisiert?
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Systemphase: Hier sollte eine geeignete MDM-Lösung ausgewählt und implementiert werden:
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Welche funktionalen und nicht-funktionalen Anforderungen stellt das Unternehmen an die MDM-Lösung?
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Wie fügt sich die neue Lösung in die bestehende Anwendungslandschaft ein?
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Wie hoch ist der Integrationsaufwand, um notwendige Schnittstellen zu schaffen?
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Governance-Phase: Hier sollte organisatorisch sichergestellt werden, dass die Stammdatenstrategie erfolgreich umgesetzt und erhalten werden kann:
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Welche Rollen dürfen Stammdaten anlegen und modifizieren?
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Welche Stammdaten dürfen lokal vom Benutzer modifiziert werden und welche Änderungen werden zentral für das gesamte Unternehmen verantwortet?
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Welche Genehmigungswege (wie zum Beispiel Workflows) müssen angestoßen werden?
Der Business Case einer Stammdatenstrategie kann enorme Vorteile für alle Bereiche bringen:
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Genauere Analysen der Beschaffungsvolumina optimieren den Einkauf.
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Detaillierte Informationen über Lagermengen und -orte senken den Bestand.
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Schnellere und qualitativ bessere Datenbereitstellung gegenüber Distributoren und Zulieferern reduzieren die Kosten für die Supply Chain.
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Ein verbesserter Überblick über die Kundensegmentierung steigert den Umsatz ebenso wie synchronisierte Preisänderungen in allen Vertriebskanälen und ein verbessertes cross- und up-selling.
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Werden Produktdaten konsistent in Print- und Online-Medien bereitgestellt, sinken die Kosten für Marketing.
Eine Stammdatenstrategie ist aus den genannten Gründen weit mehr als ein reines IT-Thema. Wird ein Senior Sponsor eingebunden und die Strategie voll in alle bestehenden Unternehmensorganisationen und -prozesse integriert, profitieren alle Unternehmensbereiche von der zentralen Verwaltung der Unternehmensdaten.
Gérard Richter ist Partner, Dirk Möbus ist Project Manager bei Roland Berger Strategy Consultants.