Herr Timmermann, Sie setzen seit Ende der 80er Jahre ein System für die stationäre und ambulante Patientenversorgung ein, das die IT der Uniklinik selbst entwickelt hat. Ist das nicht ein Anachronismus zu den Standardisierungsbemühungen in Kliniken derzeit?
Es stimmt, wir haben 1989 ein neues System für das Patientenmanagement und den klinischen Arbeitsplatz gesucht. Und uns seinerzeit für die Eigenentwicklung entschieden, weil am Markt kein System zu bekommen war, das unseren Anforderungen genügte. Seitdem haben wir unsere Software natürlich auch redesigned und es den aktuellen Anforderungen angepasst. Mit dem Eigensystem haben wir den Vorteil, dass die Anwendung sehr stark auf unsere individuelle Prozesse angepasst ist und wir sind nicht teurer, als mit einer der etablierten Lösungen wie Orbis, i.s.h. med oder andere. Das Customizing zum Abbilden der eigenen Organisationsabläufe ist doch manchmal sehr aufwändig.
Oder liegt es an der Universitätswelt, die ja den Klinikbetrieb und die Wissenschaft unter einen Hut bringen muss?
Es ist natürlich im wissenschaftlichen Umfeld eine besondere Herausforderung, Standards durchzusetzen, denn mit dem Hinweis auf die Freiheit von Forschung und Lehre stehen einige Exoten gewissermaßen „unter Artenschutz“. In einem Universitätsklinikum ist die Forschung stark mit der Krankenversorgung verwoben. Dennoch setzen wir alles daran, kontinuierlich die Prozesse in den Kliniken zu verbessern und zu verschlanken. Da aufgrund von QM-Maßnahmen innerhalb der Abteilungen die Organisation schon angepasst wurde, sehe ich besonderes Verbesserungspotenzial derzeit noch bei den interdisziplinären Prozessen. Hierfür sind zentrale Systeme notwendig, die die Patientenbewegungen optimal unterstützen und steuern. Notwendig ist aber in jedem Fall eine gute Prozessanalyse und Festlegung der Organisationsabläufe. Erst danach sind die Informatiker gefragt, wie sie die Abläufe mit Hilfe der IT unterstützen können. Zunächst sollten die Prozesse stehen, ehe die technische Lösung nachgezogen wird.
Die elektronische Gesundheitskarte (eGK) ist das beste Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte …
Bei der Entwicklung der eGK stand zunächst die Technik im Vordergrund. Die Gematik fühlte sich für die Prozessanalysen auch nicht zuständig. Nachdem das technische Konzept stand, stellte man fest, dass die Prozessabläufe in der Arztpraxis und im Krankenhaus so nicht optimal unterstützt werden konnten. Jetzt sind aufgrund der Erfahrungen in den Testregionen Veränderungen und Anpassungen notwendig, die man hätte vermeiden können.
Meiner Meinung nach, sind noch viele Fragen offen, auch jene, ob es so überhaupt in vollem Umfang machbar ist. Wir sind vom Arbeitskreis der Leiter der Rechenzentren der Universitätskliniken zusammen mit anderen Interessengruppen sogar beim Gesundheitsministerium gewesen, um die Probleme zu diskutieren und unsere Unterstützung anzubieten, leider mit nur geringem Erfolg.
Etwa ein Drittel des Krankenhaus-Marktes hat sich inzwischen der elektronischen Fallakte (eFa) angeschlossen, und setzt damit auf eine pragmatische Lösung aus der Industrie…
Das Konzept ist ja nicht gegenläufig zur Karte. Wer heute die eFa nutzt, kann auch später die Karte mit einbinden. Wir beobachten das Konzept sehr genau und haben regen Austausch mit den Kollegen, die bei der eFa mit dabei sind.
Sie haben ein Portal geschaffen, mit dem Sie Niedergelassene Ärzte einbinden. Sind Sie zufrieden damit?
Wir haben ein Portal mit sicheren Algorithmen entwickelt, durch das der niedergelassene Arzt auf den Arztbrief des Krankenhauses zugreifen und zukünftig auch Termine buchen kann. Wir machen derzeit einen Test mit einigen Ärzten, die dieses Portal nutzen. Es gibt aber ganz klar eine gewisse Zurückhaltung unter den niedergelassenen Medizinern. Der Grund liegt darin, dass die Informationen des Krankenhauses sich nicht so einfach in ihre eigenen System übertragen lassen, da es noch keine akzeptierte Standards zur Kommunikation zwischen den Arztpraxissystemen und den Systemen im Krankenhaus gibt.
Für einen bundesweiten Standard gibt es derzeit zu viele Alleingänge einzelner Kliniken. Kennen Sie einen Ausweg?
Nehmen Sie zum Beispiel die elektronische Fallakte, die schon bald über 30 Prozent der Krankenhauspatienten erfassen kann. Sollte dann etwa der deutsche Marktführer im Bereich der Arztpraxissysteme, die Compugroup mit etwa 50 Prozent Marktanteil, alle seine Systeme mit einem Standard auf dieser Basis ausstatten, so könnte sich diese pragmatische Lösung zu einem Standard entwickeln.