Für die 1-er-Serie hat der Münchener Autohersteller BMW eine Menge Koordinationsaufwand. Über hundert Systeme und Module von etwa 70 Zulieferern sind in dem Golf-großen Auto verbaut. Kommt ein Kunde zum Händler und pocht auf eine Garantieleistung, muss der zunächst klären, was den Fehler verursacht hat, um darauf hin den verantwortlichen Zulieferer zur Verantwortung zu ziehen. Und hierfür muss der Autohersteller zudem den Fehler als wichtig erkannt haben, um ihn überhaupt anzugehen.
Das kann dauern: Nach Angaben der US-amerikanischen Fachzeitschrift Warranty Week vergehen bis zu 160 Tage vom ersten Auftreten des Problems bis zur Fehlerbehebung. Über zehn Milliarden Euro verliert die
Autobranche Jahr für Jahr durch Garantieleistungen. Die Warranty Week geht allein für die US-Konzerne Ford und GM von 8,7 Milliarden Dollar (6,5 Milliarden Euro) aus. Entsprechende Rückstellungen für derartige Garantieleistungen liegen nach Angaben des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie zwischen drei und acht Prozent.
Kein Wunder also, dass die Autobranche die Zeit der Rückstellungen so kurz wie möglich machen will. Denn Zeit ist Geld. Nach einer aktuellen Studie der Marktforschungsgesellschaft IDC sehen die 50 IT-Verantwortlichen unter Automobilzulieferern besonders im glatteren Datenaustausch die Möglichkeit, effizienter zusammenzuarbeiten. Von speziellen Datentransferlösungen (86 Prozent), standardisierten Datenformaten (84 Prozent), über den Einsatz von Portalen (80 Prozent) über eine bessere Einbindung der Geschäftspartner in die Geschäftsprozesse (50 Prozent) bis hin zur besseren Vernetzung der IT-Systeme (44 Prozent) sehen die Befragten ein breites Spektrum nötiger Aktivitäten für die Zukunft.
Ein so genannter Tier 1-Zulieferer wie etwa Bosch, ZF Friedrichshafen oder Brose nutzt nach Angaben von Hubert Österle von der Uni St. Gallen etwa 30 Portale und über 300 IT-Anwendungen der Hersteller, der OEMs. Die Voraussetzung für eine bessere Kommunikation schafft jedoch der Autobauer, der den Zugriff auf das eigene Portal vereinfachen kann.
Drei Monate Zeit durch QDX gespart
Der Datenstandard QDX, kurz für Quality Data Exchange, gilt seit über einem Jahr als wichtigster Ansatz
der Autohersteller, jene 160 Tage deutlich zu dezimieren. "Bis zu drei Monate lassen sich durch den Einsatz
im Einzelfall einsparen", meint Oliver Kelkar, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Fraunhofer-Institut
"Miterfinder" der QDX-Formulierungen ist und heute für den IT-Autospezialisten Mieschke Hofmann und Partner (MHP) arbeitet.
Nicht jeder Fehler, den ein Kunde an die Werkstatt meldet, ist bekannt. Sofern jedoch die Datenqualität gut ist, lassen sich Fehler aufstöbern, die öfter als andere auftreten. "Über mathematisch-analytische und Datawarehouse-Methoden lässt sich die Steiggeschwindigkeit messen, in der ähnliche Fehler mit gleicher Ursache bei den Werkstätten gemeldet werden", sagt Kelkar. Hersteller können dann weitaus früher reagieren als bisher. Ein "Early Warning System", das diese Algorithmen verwendet, erkennt immer wieder auftretende Fehler drei Monate früher, meint MHP-Mann Kelkar. Noch jedoch hat keiner der Multi-Milliarden-Euro-Konzerne den Standard komplett eingeführt, auch wenn DaimlerChrysler, Volkswagen, Audi und BMW in der QDX-Arbeitsgruppe vertreten sind und beteuern, den Einsatz zu forcieren.
Im Laufe des Jahres wird Daimler Chrysler in der Garantieabwicklung und in der Befundung QDX als Standard einführen, bestätigt der im zentralen Qualitätsmanagement für die Koordination von Lieferanten-
IT-Systemen zuständige Hartmut Ide, der zudem den Arbeitskreis QDX beim Verband der Automobilindustrie VDA leitet. In 2008 sollen die Lieferanten dann Zugriff auf die Ausfalldaten der betroffenen Bauteile bekommen.
"Allerdings beschränkt sich QDX auf Deutschland", bemerkt Ide, der die Ursache dafür darin sieht, dass Prozesse der Autohersteller sehr ähnlich aufgebaut sein müssen, damit ein Standard greifen kann. Schon auf europäischer Ebene werde daher die Einführung eines entsprechenden Standards schwierig, vom amerikanischen Markt ganz zu schweigen, deren Verband, die Automotive Industry Action Group eigene
Wege geht. Auf wenige 10 000 Euro schätzt Ide die Aufwändungen für die Programmierung und die Implementierung einer nötigen QDX-Schnittstelle.
Die deutsche Automobil-Prominenz arbeitet in verschiedensten Projekten derzeit an der Umsetzung:
BMW nutzt QDX, um Daten im Excel-Format in Lieferanten-Systeme speisen zu können. Audi tauscht bald
Reklamationen über QDX aus und holt Stellungnahmen zu Schäden ein. Und bei der Audi-Mutter VW prüft Mieschke Hofmann und Partner derzeit, inwieweit QDX konzernweit einsetzbar ist.
Der Vorteil liegt auf der Hand: QDX basiert auf dem XML-Standard und soll sich daher in die gängigen
Reklamations-Systeme integrieren lassen. Dem MHPMann Kelkar kann der Einsatz des Standards nicht
früh genug kommen: "Zulieferer haben derzeit oft einen manuellen Zugriff auf die Portale der OEMs - der
ist zeitaufwändig und fehleranfällig", sagt Kelkar, "mit Hilfe eines QDX-Adapters lässt sich der Zugriff automatisieren". Auch Ide sieht hier entscheidende Vorteile: "Ein Zulieferer braucht nicht zig Individualschnittstellen zu den Portalen der OEMs, sondern nur noch eine“.
Im Sommer soll der VDA Zulieferern sogar bereits eine fast kostenfreie Version einer Software zur Verfügung stellen, die sämtliche Q DX-Nachrichten anzeigbar macht. Über kurz oder lang werden Zulieferer voraussichtlich die nötige Investition machen und eine eigene Schnittstelle einrichten. "ZF hat derzeit
ein eigenes Team, das Tag für Tag Kundenportale nach neuen Informationen hin untersucht", sagt Ide.
QDX verspricht eine Automatisierung, doch erwartet DaimlerChrysler-Mann Ide nicht jenen riesigen Zeitgewinn, den sich Kelkar von MHP erhofft: „Einige Prozesse lassen sich nur schwer beschleunigen". Ein Wagen, der einen Fehler aufweist, werde von der Niederlassung zum Werk geschickt, von dort zur Begutachtungsstelle. Dort stellen Gutachter fest, ob der Autofahrer oder der Anwender den Fehler verschuldet hat. Von dort geht das Auto wieder an die Niederlassung zurück. "In diesem Prozess lässt sich der Austausch von Beschreibungen und Stellungnahmen beschleunigen und Fehler besser vermeiden", so Ide, der den Hauptprofit von QDX darin sieht, die Qualität im Austausch von Daten zu verbessern.
Mindestens 200 000 Euro Investition
Doch derzeit bietet noch keiner der Autohersteller QDXKonverter. Sie müssen nämlich sämtliche Werke mit
QDX und dem entsprechenden Reklamationssystem versorgen, sei es ein Add-On von SAP oder eine hauseigene Lösung wie das Supplier Quality Management System (SQMS) von Daimler Chrylser. Zudem muss das Management dafür die Investition bereitgestellen. "Das wird noch einige Jahre dauern, bis der Standard flächendeckend umgesetzt ist", prognostiziert Kelkar, der die Investitionen bei Autoherstellern auf sicher 200 000 Euro schätzt. Zulieferer werden QDX vorantreiben. Zu wichtig ist ihnen, Informationen über brüchige Teile oder einen Elektronikfehler an einer Systemkomponente so früh wie möglich zu bekommen, um schnell reagieren zu können. "QDX wird bei den Zulieferern eine Lawine lostreten", ist Kelkar überzeugt.
Zudem soll nach Angaben einer Automobil-Studie von AT Kearney die Fertigungstiefe auf dem Markt immer
weiter abnehmen. Bis zum Jahr 2020 gehen die Marktforscher davon aus, dass sich Autokonzerne "vorwiegend auf die Markenführung" konzentrieren werden. Nur noch 24 Prozent, so die AT Kearney-Prognose, werden die BMWs, VWs und DaimlerChryslers dieser Welt selbst bewerkstelligen. Damit steigt auch der Druck auf die Qualität der Daten weiter, der zwischen den Herstellern und Zulieferern hin- und herfließt.