DIE AHNUNGSLOSIGKEIT war komplett: „Worum geht es? Schuldrechtsreform? Nein, wir haben unsere AGB (Allgemeine Geschäftsbedingungen, Anm. d. Red.) nicht verändert; das betrifft doch nur private Konsumenten.“ Völlig unbefangen schliddert da ein süddeutscher CRM-Anbieter, der nicht genannt werden möchte, möglicherweise in eine kostenintensive Falle. Doch wie diese Tochter eines internationalen Unternehmens geht es seit Anfang dieses Jahres vielen Firmen – das „Schuldrechtsmodernisierungsgesetz“ ist vollkommen an ihnen vorbeigegangen.
Dabei hat es das Werk in sich: Die neuen Bestimmungen der Reform des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) betreffen vor allem die Verjährungsfristen und das Gewährleistungsrecht für Kauf- und Werkverträge. Da sie jedoch erst Ende November im Bundesanzeiger veröffentlicht wurden und zudem in der Öffentlichkeit vorrangig der Nutzen für den privaten Verbaucher dargestellt wurde, haben es viele Unternehmen schlicht versäumt, ihre AGB an die neue Gesetzeslage anzupassen. „Das ist bei sehr, sehr vielen Unternehmen noch nicht geschehen“, hat Christian Groß, Zivilrechtsexperte beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag in Berlin, festgestellt. Und Kai Kuhlmann, Jurist beim Branchenverband Bitkom, ergänzt: „Es herrscht ein enormer Nachholbedarf. Bei uns rufen täglich etliche IT-Firmen an, die nicht wissen, wie sie ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen umgestalten sollen.“
Gewährleistungsfrist verlängert
Doch genau das ist das Erste, was passieren sollte. Nur wer die AGB den veränderten Rechtsbestimmungen anpasst, kann sich ein wenig Spielraum erhalten. So hat der Gesetzgeber die Gewährleistungsfrist von bisher 6 auf nun 24 Monate verlängert. Unternehmen können diese Frist innerhalb ihrer AGB aber auf 12 Monate verkürzen, in Einzelfällen sogar auf noch weniger. „Durch diese Reduzierung sind enorme Kosteneinsparungen möglich“, sagt Rechtsanwalt Ralf Imhof von der Hamburger Kanzlei Schulz Noack Bärwinkel. Er warnt: „Werden aber weiterhin die alten AGB verwendet, sind sie komplett ungültig, und der Kunde hat Anspruch auf die gesetzliche 24-Monats-Frist.“
Doch damit nicht genug; das neue Gesetz hat noch weitere Tücken. Jetzt gilt, wie vorher schon beim Kauf von Standard-Software, auch für individuelle Entwicklungsprojekte oder Standard-Software-Anpassungen das so genannte Kaufrecht. Das bedeutet für die Kunden: Sie können einen laufenden Projektvertrag zu jeder Zeit kündigen, wenn einzelne Leistungen nicht fristgerecht erbracht werden. „Anders als früher reicht jetzt bei Terminüberschreitungen eine sehr kurze Nachbesserungsfrist. Ist die überschritten, besteht sofort ein Rücktrittsrecht“, erläutert Imhof. Alternativ können Dienstleistungskunden – und das ist ebenfalls neu – Schadenersatz verlangen.
Beweislast beim Dienstleister
Darüber hinaus wurde die Beweislast umgekehrt. Mussten bislang die Kunden nachweisen, dass Software fehlerhaft geliefert wurde, liegt diese Beweislast innerhalb der ersten sechs Monate nun beim Auftragnehmer. Er muss belegen, dass er nicht für die Pflichtverletzung verantwortlich ist. Das hat Folgen für den Schadenersatzanspruch, der erhoben werden kann, wenn der Schaden tatsächlich verschuldet wurde. „Dieser Nachweis ist häufig kaum zu führen; bei Software-Fehlern schlicht unmöglich, bei Projektverzögerungen sehr schwierig. Projektverlauf und die Umstände, die zu Verzögerungen geführt haben, sollten deshalb so konkret wie möglich dokumentiert werden“, rät Jurist Imhof.
Weitere Konsequenzen der Novellierung: Installiert ein Dienstleister die Software eines anderen Herstellers, haftet er für dessen nicht eingehaltene Zusagen. Auch eine fehlerhafte Montage-Anleitung kann zu Mängelansprüchen führen.
Die neue Schuldrechtslage, urteilt Imhof, sei eine „Steilvorlage für Anwender“. Sie bräuchten sich nur auf die gesetzlichen Regelungen zu berufen und nichts an ihren Dienstleisterverträgen zu ändern.
VORTEILE DER SCHULDRECHTSREFORM
Steilvorlage für Kunden
04.03.2002 von Marita Vogel
Längere Garantiefristen, eine umgekehrte Beweislast und der Anspruch auf Schadenersatz bringen
seit Jahresbeginn vor allem IT-Dienstleister in Bedrängnis. Die Anwender dagegen profitieren.