Ein internationales Forscherteam soll unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier konkrete Handlungsempfehlungen für die Digitalpolitik erarbeiten. Dabei solle es vor allem um die Frage gehen, wie digitale Produkte und Plattformen so gestaltet werden können, dass sie individuelle Freiheitsräume schützen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern. Zur Auftaktkonferenz am Montag in Berlin sagte Steinmeier, die Revolution der Algorithmen und die gewaltigen Auswirkungen der digitalen Kommunikation seien eine globale Herausforderung. "Kein Staat der Welt kann sich ihr entziehen, keiner könnte sie im Alleingang bewältigen."
Das Projekt "Ethik der Digitalisierung" wird über zwei Jahre mit zwei Millionen Euro durch die Stiftung Mercator gefördert. Dabei sollen neue Formate der wissenschaftlichen Zusammenarbeit ausprobiert werden. Zum einen sollen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in "Research Sprints" zeitlich befristet mit einem konkreten Thema beschäftigen. Weiterhin soll in drei "Clinics" "unmittelbar umsetzbares Transferwissen für Politik und Gesellschaft" erarbeitet werden. "Ihre Arbeit, das kann ich Ihnen versichern, soll keine akademische Fingerübung bleiben, im Gegenteil", versprach Steinmeier den Wissenschaftlern.
Der erste "Research Sprint", der zwischen zehn und zwölf Wochen dauern soll, beschäftigt sich mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz und Algorithmen zur Moderation von Inhalten in sozialen Netzwerken und auf Plattformen - wie beispielsweise Kommentaren. Er findet von August bis Ende Oktober 2020 digital statt und wird vom Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) koordiniert und durchgeführt.
Steinmeier betonte, das Internet umspanne die gesamte Welt. "Digitalfirmen aus Amerika, Europa und auch aus China bedienen Kunden auf allen Kontinenten, meist mit großer Wendigkeit und enormer Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche politische Systeme."
Nach der anfänglichen Euphorie fragten allerdings viele Staaten immer häufiger, wie ihre räumlich begrenzte Gesetzgebung, ihr begrenzter Einfluss auf den digitalen Wandel mit einem weltweiten Netz zu vereinbaren seien.
Gegen ein neues Jeder-gegen-jeden
Steinmeier sagte, der in diesen Monaten aufschaukelnde Weltkonflikt zwischen den USA und China müsse alle besorgen. "Bestrebungen, das Internet zum Zweck staatlicher Kontrolle und wirtschaftlicher Vorteile zu re-nationalisieren und aufzuspalten - ein "Splinternet" gewissermaßen -, sind ein Ausdruck dieses Konflikts."
Vor diesem Hintergrund dürften weder Abschottung und Kleinstaaterei noch Dominanzstreben und Allmachtsphantasien in die digitale Zukunft bestimmen. "Wir steuern in eine Sackgasse, wenn wir unsere Antwort auf die Digitalisierung aus einem Handbuch der Staatskunst des 19. Jahrhunderts abschreiben. Ein neues Jeder-gegen-jeden, damit dürfen wir uns nicht zufriedengeben."
Der Bundespräsident machte sich für einen Dialog über gemeinsame ethische Mindeststandards stark, die über alle Grenzen hinweg ein normatives Fundament bilden könnten. "Es wäre doch verwunderlich, wenn die vielen unterschiedlichen Prägungen unserer Partner in Europa, Amerika, China und darüber hinaus nicht zu unterschiedlichen Antworten auf neue Herausforderungen führten." (dpa/rs)