CIO.de: Herr Finke, Sie sind erst im Februar 2020 zu AZ Digital Health gestoßen, sechs Wochen später mussten alle von zuhause aus arbeiten. Wie haben Sie diese Umstellung erlebt?
Robert Finke: Ich bin froh, dass ich noch genügend Zeit hatte, um alle Kollegen kennenzulernen und mich in das Team hineinzufinden. Besonders als Product Owner ist es wichtig, eine gute Beziehung zu allen Teammitgliedern aufzubauen und zu verstehen, was ihre individuellen Arbeitsstile sind. So bevorzugen manche Kollegen regelmäßige Abstimmungen, wohingegen andere mehr Freiheiten fordern. Wir haben schon vorher agil und zum Teil remote gearbeitet und konnten diese Erfahrungen hervorragend in die neue Arbeitsweise einbringen. Das hat dazu geführt, dass wir uns in der jetzigen Situation mit Corona nur wenig umstellen mussten.
CIO.de: Herr Nawracki, die AZ Digital Health hat sich zum Ziel gesetzt, die Allianz im Krankenversicherungsbereich zu digitalisieren. Das ist auch ohne Corona schon ein ehrgeiziges Unterfangen.
Stephan Nawracki: Wir wollen die Allianz-Gesellschaften im Bereich der Krankenversicherungen mit der Digitalisierung unterstützen. In der Tat, unser Vorhaben ist komplex, da wir dabei mit einer Vielzahl von Gesellschaften in unterschiedlichen Ländern kooperieren, in denen die Allianz eine Krankenversicherung anbietet. Zusammen entwickeln wir digitale Lösungen zur Optimierung der Abläufe in unseren Versicherungen, die einen Mehrwert für unsere Kunden und die Allianz gleichermaßen bieten können. Herausfordernd sind die unterschiedlichen Märkte und Marktbesonderheiten in den Gesundheitssystemen, die wir im Blick behalten müssen.
CIO.de: Hat die Zusammenarbeit mit den Allianz-Gesellschaften in den anderen Ländern während der Corona-Epidemie gelitten?
Stephan Nawracki: Die Kommunikation kann nicht unabhängig von den Lebensumständen funktionieren, insbesondere wenn Länder wie Brasilien sehr stark von Covid-19 betroffen sind. Dennoch hat sich der neue Arbeitsalltag schnell etabliert, und die Kommunikation funktioniert mittlerweile reibungslos.
Robert Finke: Durch die internationale Zusammenarbeit mit den anderen Gesellschaften hatten wir schon vorher viel mit Videokonferenzen gearbeitet. Dabei hat es auch immer sehr geholfen, ein Bild des Anderen zu sehen. Ein Telefonat hat da nicht denselben Effekt.
CIO.de: Haben Sie in Ihrer täglichen Projektarbeit Abstriche machen müssen, hinsichtlich Effizienz oder Geschwindigkeit?
Stephan Nawracki: Die Geschwindigkeit in der Entwicklung hat zum Teil sogar zugenommen. Das liegt auch daran, dass alle genau wissen, was sie tun müssen und den Backlog zu 100 Prozent verstanden haben.
CIO.de: Hat Remote Work auch Nachteile?
Stephan Nawracki: Arbeiten alle über einen längeren Zeitraum nur verteilt und remote zusammen, geht als erstes der Austausch über die eigene Produkteinheit hinaus verloren. Dem versuchen wir mit neuen Meetingstrukturen sowie verschiedenen Collaboration-Tools entgegenzuwirken. Zudem haben wir für den informellen Austausch ein Culture Team gegründet, das unter anderem virtuelle Lunch- und Kaffeetreffen initiiert hat. Außerdem bieten wir eine Plattform für themenübergreifenden Austausch an.
Robert Finke: Für unsere Mitarbeiter hatten wir vorher schon produktübergreifende Communities, in denen sie sich regelmäßig über spezielle Themenschwerpunkte austauschten. Diese Communities sind nun noch wichtiger geworden.
CIO.de: Vorhersagen sind in diesen Zeiten schwierig. Dennoch: Wie stellen Sie sich das Arbeiten in Zukunft vor?
Viel über die Koordination von Teams gelernt
Stephan Nawracki: Wir können ja nicht absehen, wie sich das Arbeiten künftig gestalten wird. Aber wir haben viel über die Koordination von Teams gelernt, wann es Touchpoints braucht, und wann auch Stillarbeit sinnvoll ist. Ein Hybrid-Modell, das Remote- und Präsenzarbeit verbindet, kann ich mir für die Zukunft gut vorstellen.
Hohes Lerntempo in der Krise: Aufschlauen im Daily
Roland Hummel und Holger Ströbel vom IT-Dienstleister QAware haben schon etliche Software-Engineering-Projekte erfolgreich umgesetzt, seit 2019 helfen sie mit ihrem Team dem Allianz-Startup AZ Digital Health, eine 27 Länder umfassende Plattform für digitale Gesundheitsservices aufzubauen.
Lead Developer Hummel vergleicht das Vorhaben "mit einem Stecker, der in alle möglichen Steckdosen dieser Welt passen muss. Da es auch fachlich eine komplexe Kiste ist, haben wir von Anfang an nah in den Büros zusammengearbeitet." Nicht immer programmierten alle an einem Ort, nur dann, wenn es sinnvoll war. Auf jeden Fall waren die Teams im verteilten Arbeiten geübt, das erleichterte Mitte März den kompletten Wechsel ins Home Office.
Holger Ströbel, als Geschäftsbereichsleiter bei QAware operativ in Planung und Steuerung des Projekts eingebunden, nennt einen weiteren Grund, warum alles reibungslos lief: "Wir haben auch gemeinsam gefeiert und uns dabei gegenseitig besser kennengelernt. Wir hatten uns als Team schon gefunden, bevor Corona kam. Das hat sehr viel erleichtert." Gemeinsames Bug-Hunting mit Pizza funktioniert aktuell nicht, ein Remote-Bier an den Bildschirmen dagegen schon, wenn der Job getan ist.
Zusammenhalt ist das eine, was man trotz des verteilten Arbeitens bewahren sollte, gemeinsames Lernen das andere, sagt Lead Developer Hummel: "Natürlich gibt es im Projekt auch Phasen, in denen es sinnvoll ist, wenn sich der Entwickler zurückzieht und zwei Tage in Stillarbeit codet. Aber das Projekt lebt vom permanenten Austausch mit den Wissensträgern, zwischen den Teilteams oder vom Kreuzaustausch in den Teams.
Da wir den informellen Austausch vor Ort aber nicht mehr haben, droht Effizienz zu versickern. Darum müssen wir unsere Rituale nun explizit leben, im Daily muss jeder erzählen, wo er steht, und wir müssen uns gegenseitig aufschlauen." Und Ströbel ergänzt: "Auch die Kollegen, die inoffiziell als Wissensverteiler im Projekt fungieren, können ihrer Rolle nicht mehr wie früher im Vorbeigehen oder in der Kaffeeküche gerecht werden. Gut ist, wenn man die Fragen an diese Kollegen in gebündelter Form vorbringt und nicht alle zehn Minuten per Slack anfragt."
Projekte remote zu steuern erfordert mehr Planung
Für Ströbel als Führungskraft ist es zudem wichtig, sich bewusst zu werden: Mitarbeiter, die neu ins Team kommen, brauchen eine intensivere Betreuung als sonst: "Am besten funktioniert die Einarbeitung, wenn die neuen Kollegen eine konkrete Aufgabe erhalten, an der sie ihr Wissen anwenden können. Unsere Dokumentation, die wir bei den Projektschritten erstellen, ist noch wichtiger und eine wichtige Voraussetzung für den Wissenstransfer."
Es gilt, die sozialen Bindungen zum neuen Mitarbeiter auch jenseits der Standard-Meetings zu stärken. Auch die Kollegen selbst sollten ermutigt werden, sich aktiv Hilfe zu holen. Ströbel empfindet aktuell die Projektsteuerung als "herausfordernder, da viele Dinge nicht mehr implizit passieren. Mehr Planung ist nötig." Darum vereinbart er mehr explizite Termine mit den einzelnen Kollegen, um ihnen gerecht zu werden.
Nach drei Monaten Remote-Arbeit zieht Holger Ströbel ein positives Zwischenfazit: "Durch die Krise lernen wir in kurzer Zeit sehr viel. Gelernt haben wir schon vorher viel, aber nicht in diesem Tempo."
Die Allianz Digital Health GmbH (ADH)...
... ist eine 100-prozentige Tochter der Allianz SE. Sie hat die Digitalisierung der Allianz-Krankenversicherungsgesellschaften und von Drittversicherungen zum Ziel. ADH bietet digitale Gesundheitsdienste auf einer modernen IT-Architektur an, die sowohl die Kernprozesse der Versicherungen als auch gesundheitsspezifische Dienstleistungen unterstützen. Die Gesellschaft wurde 2019 gegründet, hat ihren Sitz in München und wird von Birgit König und Stephan Nawracki geführt.