Das Ende seiner Dienstfahrt im Mai des vergangenen Jahres wird der thailändische Finanzminister Suchart Jaovisidha so schnell nicht vergessen: Nachdem ein Fehler in der Autoelektronik sämtliche Funktionen des Dienstwagens lahm gelegt hatte, befreiten ihn seine Mitarbeiter mit Vorschlaghämmern aus dem 7er BMW. Ihm hatte der Erstickungstod gedroht, weil sich in der Gluthitze weder die Türen noch die Fenster der Nobelkarosse öffnen ließen und die Klimaanlage streikte.
Die meisten Pannen, mit denen sich die Straßenwacht des ADAC herumschlagen muss, sind weniger lebensbedrohlich. Doch wie in Thailand sind auch hier immer öfter Elektronikbausteine schuld, wenn irgendwo ein Fahrzeug liegenbleibt. Ein Drittel aller Pannen in Deutschland sind laut Statistik des ADAC auf derartige Fehler zurückzuführen.
Seit November vergangenen Jahres müssen die 1650 Pannenhelfer des Automobilclubs in solchen Fällen nicht mehr schulterzuckend den Abschleppwagen rufen. Bislang hatten sie neben Schraubenschlüssel, Akkuschrauber und Kneifzange vor allem fünf Aktenordner voller Reparaturanleitungen an Bord. Die bleiben nun zu Hause. Dafür ist bei jeder Fahrt ein CF-18 Tablet PC von Panasonic an Bord.
"Es ging um die Frage, wie die Straßenwacht in Zukunft arbeiten soll", sagt Torsten Jädtke, ADAC Projektleiter Straßenwacht-PC. Bislang können 83 Prozent der Fahrzeuge nach dem Eingriff eines ADAC-Pannenhelfers weiterfahren - eine Quote, anhand derer der Automobilclub die Qualität seiner Arbeit festmacht. Das Ansteigen des Anteils von Elektronikfehlern an den Pannen stellte seit einigen Jahren zunehmend diese Quote in Frage. Deshalb beschloss das Präsidium des Automobilclubs Anfang 2003, mit dem Projekt Straßenwacht-PC zu reagieren. Über den Return on Investment wurde bei dem Projekt, das den Verband eine Summe im oberen einstelligen Millionen-Euro-Bereich kostet, nicht diskutiert, weil allen Beteiligten klar war, dass das Verkehrsunternehmen ohne die Kompetenz, auch weiterhin fast alle liegengebliebene Fahrzeuge flicken zu können, keine Zukunft hat.
Informationen zu jedem Modell
Auf den Tablet PCs für die Straßenwacht ist nicht nur die Wissensdatenbank gespeichert, die der ADAC zusammen mit den Autoverbänden in der Schweiz und in Österreich aufgebaut hat. Dieser mehrere Gigabyte große Bestand ist der Hauptgrund, warum die zunächst als Arbeitsgeräte vorgesehenen Handheld-Computer nicht als Pannenhelferhilfe in Frage kamen. Von der Beschreibung der Antriebswellenfunktion bis zur Anleitung zum Zahnriemen-Ein- und Ausbau finden sich nun auf den Tablet PCs verlinkte Automodell- und Teile-Informationen. Per Mausklick lassen sich Schaltplandiagramme und Bauteilgruppen aufrufen.
Mit Hilfe eines Diagnosewerkzeugs, dem "mega macs" der Gutmann Messtechnik aus Ihringen im Breisgau, können die Mechaniker die digitalen Flachmänner zudem am Motorblock der meisten Fahrzeuge anschließen. Seit dem Jahr 2000 verpflichtet eine EU-Norm alle Automobilhersteller, ihre Wagen mit einer solchen Schnittstelle auszurüsten. Das Technische Informationssystem (TIS) auf dem Tablet PC hilft dem Pannenhelfer dann bei der Problemsuche, indem es den Fehlerspeicher des Fahrzeugs ausliest. Die ADAC-Software analysiert, wo der Wurm drin ist, und zeigt Lösungsmöglichkeiten auf dem Bildschirm an. Vier Mal im Jahr wird das Pannenhilfeprogramm an 17 Updatestationen auf den neusten Stand gebracht.
Den richtigen Computer für diese Form des Straßeneinsatzes zu finden war nicht ganz einfach, erklärt der Projektleiter. Die Tablet PCs sind so genannte Tough-Books. Bei diesen für den Industrieeinsatz besonders robust entworfenen Geräten wird unter anderem die Festplatte vorgeheizt, wenn es im Auto noch kalt sein sollte. Das erhöht die Lebenszeit und Betriebssicherheit. Eigentlich sollten Features wie Handschrifterkennung und Displays, die sich je nach Bedarf vertikal oder horizontal aufstellen lassen, von den Vorteilen der schicken Tablet PCs überzeugen. "Aber das brauchen wir alles nicht. Wir benutzen die Geräte wie ganz normale Notebooks", stellt Torsten Jädtke klar.
Warum aber überhaupt der Umweg über die eleganten Endgeräte, die Bill Gates im November 2002 als Notebook-Generation der Zukunft vorgestellt hat, statt handelsübliche Industrie-Laptops einzusetzen? Die Alltagstauglichkeit der Tablet PCs im direkten Vergleich mit leistungsstarken Notebooks entschied diese Frage. "Bei dem Standard-Notebook brachen beispielsweise dauernd die Ladestecker ab", erinnert sich Torsten Jädtke. "Die sind nicht darauf ausgelegt, dass man sie mehrmals pro Tag ein- und aussteckt." Auch die Dauervibration im Fahrzeug setzte den harten Tablet PCs weniger zu als den Laptops. In Sachen Display-Lesbarkeit schlugen sie sich ebenfalls besser.
Branchenkenner wie Frank Huber, Inhaber des Lehrstuhls für Marketing an der Universität Mainz, halten dieses Projekt für einen strategisch sinnvollen Schritt für den Verband. "Die Organisation gilt oft als umständlich und konservativ, aber zumindest in diesem Bereich trifft dieses Image nicht mehr zu", sagt er.
Der ADAC habe sich gerade noch rechtzeitig auf die Situation eingestellt, dass die Fahrzeugelektronik in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen hat. "Die Komplexität des Systeme ist seit den 80er-Jahren um den Faktor 10 000 gestiegen", weiß Huber. Noch sind aber vor allem Neufahrzeuge mit den Elektronikkomponenten gespickt. Erst nach durchschnittlich 3,64 Jahren korrodieren in Fahrzeugen die Kontakte, was eine der häufigsten Ursachen für Elektronikfehler ist. Der ADAC bekam also eine Schonfrist, die er mit dem Projekt Straßenwacht-PC termingerecht genutzt hat.
Vermutlich wird es dennoch eine Weile dauern, bis alle passionierten Autoschrauber der Straßenwacht den Umgang mit dem ungewohnten Digitalhelfer perfekt beherrschen. Jädtke sieht das aber gelassen: "Wir rechnen damit, dass es anderthalb Jahre dauert, ein Werkzeug in der Straßenwacht mit unseren Fahrern als zentrales Standardwerkzeug zu etablieren. Der Roll-out ließ sich binnen zweieinhalb Monaten realisieren. Aber das Gespür zu entwickeln, wann es sinnvoll ist, das Gerät einzusetzen, und wie mit dem Ergebnis umzugehen ist, braucht Zeit."
Während sich die Mechaniker nach einer kurzen Schulung nun langsam an die neue Diagnosehilfe gewöhnen, hat man in der ADAC-Zentrale schon weitere Pläne: Neue Dienste wie der Batterieservice, bei dem man erstmals selbst Autoteile verkauft, sollen über die Tablets abgewickelt werden. Auch die Abrechnung von Leistungen, die bislang händisch und im Nachhinein erfolgt, soll über die Rechner digitalisiert und automatisiert werden. Derzeit wird die entsprechende Anwendung dafür entwickelt, sie soll noch in diesem Jahr getestet werden.
Pannenstatistik bald in Echtzeit
Ein weiteres Ziel ist es, die Auto-PCs als Rückgrat eines verbandsübergreifenden Wissensmanagements zu etablieren. Schulungs- und Anleitungsprogramme sind bereits mit der Datenbank verzahnt und öffnen sich bei der Eingabe bestimmter Fehlermeldungen automatisch. Und wo früher meterlange Papierschlagen ausgewertet werden mussten, um etwa die Pannenstatistik zu erstellen, liegen heute der Zentrale die Echtdaten aus den Tablets digital vor.
Auch in der Fahrzeugkommunikation werden die Tablet PCs wichtig. Schritt für Schritt löst die Straßenwacht das analoge Kommunikationsnetz, mit dem noch 600 Fahrzeuge arbeiten, ab. Die Zukunft heißt GPRS: Nicht nur der Datenverkehr, etwa beim Aufspielen von Software-Updates oder bei der Übertragung von Auftragsformularen, wird dann kabellos über das Mobilfunknetz geregelt. Auch die alten Funkgeräte werden durch das konvergente Sprach-Datennetz ersetzt.