Analysten über Cloud-Angebote

Strategie bei IBM, Taktik bei HP

22.05.2012 von Werner Kurzlechner
HP und IBM haben neue Cloud-Konzepte vorgelegt. Analysten von IDC, Experton und Enderle vergleichen die Angebote.
Die Public Cloud-Initiative trägt offenbar die Handschrift der Chefin: HP-CEO Meg Whitman.
Foto: HP

In der Wolke, wo die Speicherkapazitäten wohl grenzenlos sind, tobt dennoch eine Schlacht um jeden Zentimeter. Die Superschwergewichte unter den IT-Anbietern ringen um jede kleine Verbesserung ihrer Position. Vor einigen Wochen warteten kurz nacheinander SAP und Oracle, Cisco, HP und IBM mit neuen Cloud Computing-Ankündigungen auf. In Analystenkreisen fanden IBMs Paket für die Private Cloud und HPs Weg in die Public Cloud besondere Aufmerksamkeit. Für unsere Schwesterpublikation CIO.com verglich Rob Enderle von der Enderle Group die beiden Offensiven. Die Experton Group beleuchtete speziell das IBM-Angebot, IDC jenes von HP.

Unbeantwortet bleiben muss einzig die Frage, auf die Anwender am heißesten eine Antwort ersehnen würden: Welche Lösung nämlich die bessere ist. Lässt sich so pauschal selbstverständlich nicht sagen. Allerdings arbeitet Enderle heraus, dass es zwischen IBM und HP fundamentale Unterschiede gibt. Für strategisch wegweisend und langfristig mit enormem Ausbaupotenzial gesegnet hält der Analyst insbesondere die IBM-Initiative IBM Expert Integrated Systems. „HPs Bewegung war taktisch und fußt auf dem jüngsten Führungswechsel“, so Enderle. „IBM spielt hingegen ein auf Dauer angelegtes Spiel mit der künstlichen Intelligenz.“ Für beide Firmen sei die Cloud ein vorrangiges Schlachtfeld. Während für IBM die wirklichen Gewinne aber erst in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts zu erwarten seien, begebe sich HP auf ein Feld, das zum Erfahrungshorizont der neuen Chefin passe.

Laut Enderle ist es stets eines der vorrangigen Ziele neuer CEOs, ihr neues Unternehmen mit ihrem eigenen Schatz an Fähigkeiten und Fertigkeiten in Einklang zu bringen. Meg Whitman habe bei eBay gelernt, wie sich in der Cloud aus dem Nichts ein weltweit populärer Dienst aufbauen lasse, während sie kaum über Erfahrungen mit Hardware, Software oder klassischen IT-Services verfüge. Dazu passe, dass HP zu seinem Hybrid Cloud-Portfolio just jetzt die Public-Komponente hinzufüge.

Einerseits liefere HP somit eine Antwort auf den IT-Bedarf nach einem Public Cloud-Service, der den Sicherheits- und Compliance-Anforderungen der Anwender entspreche. Andererseits liege der Ansatz nahe an Whitmans eigenen Stärken, weshalb sie als CEO über ein hervorragendes Verständnis für das Projekt verfüge und es als ihre eigene Angelegenheit betrachten könne. Zugleich sichere sich HP gegen das Eindringen von Amazon und Google ins eigene Kerngeschäft ab und könne schnelle Profite erwarten. Insgesamt also eine Mischung aus defensiven und offensiven Elementen, schlussfolgert Enderle.

Andreas Zilch von der Experton Group hält die neuen IBM-Angebote für so umfassend wie keine Lösung der Konkurrenz. Gleichwohl mahnt Zilch die Anwender zur Vorsicht.
Foto: Joachim Wendler

Führungswechsel habe zwar auch IBM hinter sich, aber diese fügten sich ungleich reibungsloser in die lange Traditionslinie des Unternehmens ein. Deshalb sei der Hintergrund für die Cloud-Initiative ganz anders gelagert als bei HP, so Enderle. IBM lege ein starkes Augenmerk auf Forschung und Entwicklung und habe sich eine Führungsrolle bei der künstlichen Intelligenz erarbeitet. Der Ansatz bestehe im Bau von Systemen mit steigender Intelligenz, die in voller Konfiguration mit der benötigten Software und Hardware geliefert würden und zudem mit intelligenten Komponenten bestückt seien, die für eine ständige Optimierung sorgten.

Vorteile für IBM

Der Nutzen dieser Systeme werde zum großen Teil von ihrer Lern- und Adaptionsfähigkeit kommen. Enderle nennt als weitere Vorzüge schnelle Implementierungszeit, geringeren Aufwand für Administratoren und beständige Optimierung der Ressourcen für Hardware, Netzwerk und Storage. Es sei von Anbeginn zwar beeindruckender Nutzen zu erwarten, dieser werde aber nach Behandlung von Kinderkrankheiten dramatisch wachsen. Auf Sicht genießt IBM nach Enderles Einschätzung einen klaren Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz in der Wolke.

Sowohl IBMs als auch HPs Angebote seien mit vorhandenen On-Premise-Ressourcen kombinierbar, so Enderle weiter. Sein Fazit: Möglicherweise müssen beide auf Sicht Teile der Konzepte des jeweils anderen aufgreifen. Für den Augenblick seien die Unterschiede zwischen den beiden Anbietern aber in bestechender Weise sichtbar geworden.

PureFlex und PureApplication neu von IBM

Die beiden ersten Produkte aus der neuen Cloud-Linie von IBM sind IBM PureFlex und IBM PureApplication. Experton-Analyst Andreas Zilch prägt für diese neue Generation das Label „Private Cloud Appliances“. Server, Storage, Connectivity und ein Software/Middleware Stack seien vereint und für diesen gesamten Stack optimiert.

„Das IBM PureFlex System stellt eine Infrastruktur-Lösung dar, welche neben Servern (x oder p) und Storage (Storwize) noch eine Cloud-Management-Schicht beinhaltet“, führt Zilch aus. Dieses System könne mit Infrastructure-as-a-Service (IaaS) verglichen werden; für die Middleware- und Application-Schicht sei der Kunde verantwortlich. IBM liefere hierzu Patterns und Images, um die Integration und das Tuning zu vereinfachen. „Deutlich weiter geht die Integration bei den PureApplication Systems, die mit einer PaaS- bzw. sogar SaaS-Lösung vergleichbar sind“, so Zilch weiter. Hier stelle IBM noch weitere integrierte Middleware-Komponenten wie DB2 und Websphere zur Verfügung.

Ein „sehr hoher Anspruch“ sei mit der Kombination von Cloud-Elastizität und der Flexibilität klassischer Server- und Storage-Systeme formuliert. Die von IBM herausgestellten Vorteile adressierten tatsächlich derzeitige Probleme bei vielen Anbietern im Data Center, so Zilch. Die Kehrseite sei, dass sich IBM wieder in eine proprietäre Umgebung begebe.

„Für Anwender sind Vorteile möglich“, so Zilch weiter. Im Fall der IBM PureSystems insbesondere, wenn das Data Center heute schon auf Websphere und DB2 standardisiert sei. Allerdings sei dies eher selten der Fall, oftmals herrsche Applikations-getrieben eine starke Heterogenität. „Gerade im Datenbank-Bereich werden die meisten Anwender Oracle und Microsoft SQL Server unterstützen müssen“, analysiert Zilch. Insbesondere in diesen gemischten Umgebungen könne der Vorteil zu einem Nachteil werden, denn die neue Generation von Private Cloud Appliances erhöht zunächst die Komplexität, da ein weiteres System hinzukommt.

Anwender sollten Middleware-Schicht selbst definieren

„Das wichtigste für die Anwender ist also eine klare Standardisierungs-Strategie“, so Zilch. Dies sei einfacher gesagt als getan, da die existierende Applikationslandschaft hier nachhaltig kontraproduktiv wirkt. „Die Herausforderung ist also, ausgehend von der Ist-Situation einen realistischen Weg zu einem höheren Standardisierungsniveau zu definieren und kontinuierlich umzusetzen“, so der Analyst. Eventuell sei es ratsam, dass die Anwender eine geeignete Middleware-Schicht selbst definierten. „Damit ist dann der Integrationsaufwand höher, es sind aber Vorteile bei Offenheit und Flexibilität zu verzeichnen“, erläutert Zilch. Obwohl auch die Nachteile zu sehen seien, sei die IBM-Initiative die umfassendste und kompletteste auf dem Markt.

HPs Public Cloud-Angebot sei auf IaaS fokussiert, kommentiert IDC-Analystin Mette Ahorlu. Man spekuliere darauf, dass Anbieter wie Salesforce.com via HP-Services ihre SaaS-Angebote an die Endanwender richteten. Eingesetzt werde überwiegend eigene Technologie. Als besonderen Mehrwert werde HP vor diesem Hintergrund eine recht einfache Integration von Public Cloud, Private Cloud und traditionellen IT-Umwelten anbieten können – je nach Kundenbedarf.

IDC: HP eine "sichere Wette"

Ahorlu erkennt in HP das Potenzial, zu einem von sehr wenigen Großanbietern von globalen Cloud-Dienstleistungen zu werden, auf deren Basis anderen Anbieter ihre eigenen Angebote transportierten. Der Erfolg werde letztlich davon abhängen, ob die Schaffung eines solchen Ökosystems gelingt. IDC hat daran wenig Zweifel und bezeichnet die Public Cloud von HP als „sichere Wette“.

Käufer von HP-Technologien und HP-Outsourcing-Services profitieren aus IDC-Sicht von diesem Schritt – insbesondere wegen der verbesserten Integrations- und Steuerungsmöglichkeiten. Zudem hat HP Preisnachlässe angekündigt, bis zu 70 Prozent in bestimmten Outsourcing-Nischen. Laut Ahorlu dürfte dies durch eine Expansion im Bereich kleinerer und mittlerer Kunden aufgefangen werden. „Das sollte Cloud-Lösungen von HP erreichbar für kleinere Firmen machen und deshalb hochwillkommen sein“, so die IDC-Analystin.