Glücklich, wer abends seinen Arbeitsplatz mit Stolz verlässt. Wer weiß oder zumindest glaubt, dass er etwas sinnvolles geleistet, etwas geschaffen hat, das die Mühen wert war. Vielleicht ein repariertes Auto, ein gepflügtes Feld oder eine Steuererklärung. Oder ein gelungener Text. Wer sein Werk vollbracht hat, dem kann Arbeit eine Quelle des Glückes sein.
Für viele Menschen in Deutschland klingt dagegen das schöne Wort "Frohes Schaffen" wie blanker Hohn. Und so ist es auch gemeint in dem gleichnamigen Dokumentarfilm, der in den Kinos zu sehen ist. Konstantin Faigle stellt darin Menschen vor, die durch Arbeit unglücklich werden. Ein Ingenieur, der vor lauter Arbeit nicht auf die Idee kommt, eine Familie zu gründen. Einen 75-jährigen vereinsamten Rentner, der seit dem Ruhestand nichts mehr mit sich anzufangen weiß. Ihre Arbeit hat diese Menschen erschöpft und innerlich ausgehöhlt.
Stephan Grünewald, Psychologe und Inhaber des Rheingold-Instituts, stellt in seinem aktuellen Buch "Die erschöpfte Gesellschaft" fest, dass ein grundsätzlicher Wandel stattgefunden hat in der Haltung zur Arbeit. Nicht mehr das eigene Werk ist der Grund für den Stolz der arbeitenden Menschen, so sein Fazit nach Tausenden Tiefeninterviews, sondern die Erschöpfung. "Wir wissen zwar oft nicht mehr genau, was wir gemacht und mit welchem Sinn wir es betrieben haben. Aber an der bleiernen Müdigkeit spüren wir, dass wir uns doch rechtschaffen abgearbeitet haben. Die Frage, ob unser Tag erfolgreich, befriedigend oder erfu?llend war, macht sich also nicht an der Qualität der geleisteten Arbeit fest, sondern am Ausmaß unseres eigenen Ausgelaugt- und Gestresstseins."
Aus Schöpferstolz ist der Stolz der Erschöpften geworden.
Erschöpfung kennt keine Grenzen
Wenn das Werk im Vordergrund steht, sorgt es selbst für Pausen - der Leim muss trocknen, die Gedanken müssen sich ordnen - und vor allem ist immer ein Ende absehbar. Das fertige Werk ist ein Ziel, nach dem Erholung wartet. Wenn Arbeiten bis zum pathologischen Ausgebranntsein zur Norm wird, droht das Pensum, das wir uns selbst zumuten, jedes Maß zu verlieren.
Denn die Erschöpfung kennt keine klar erkennbaren Grenzen. Grünewald: "Im Sinne der Erschöpfung sind Pausen keine Gelegenheiten der Regeneration und des Kräftesammelns, sondern Zeitlöcher, durch die das Gefu?hl der Ermattung entrinnen kann." Aus der gleichen Zeit, die man bekanntlich nicht verlängern kann, versucht der auf Effizienz getrimmte Berufstätige immer mehr herauszuholen. Das Ergebnis ist eine besinnungslose Betriebsamkeit, die auch die Freizeit erfasst. Die Wochenenden und Urlaube werden effektiv und bis zum Anschlag für Vergnügungs- und Erholungsprogramme genutzt. Zur Ruhe kommt man gar nicht mehr. Im Brainwash-Deutsch der Business Schools heißt das dann "Zeitmanagement". Ein Wort, das auch die Kanzlerin beim Demografie-Gipfel verwendete. Der Zeitforscher Karl-Heinz Geißler spricht sehr viel treffender von "Zeitverdichtung".
Vielleicht ist die Ablösung des Schöpferstolzes durch den Stolz der Erschöpfung ein Indiz der Dominanz des Finanzsektors im gegenwärtigen Wirtschaftssystem. In der Finanzwirtschaft gibt es kein abgeschlossenes Werk, auf das man stolz sein könnte, sondern nur einen theoretisch unendlich maximierbaren Profit. Geld ist flüssig und bekanntlich hat man nie genug davon. An der Börse "zocken" kann man, wie Uli Hoeneß es nach eigener Aussage tat, "Tag und Nacht".
Lassen sich aus der so genannten Krise möglicherweise grundlegende Lehren für das Arbeitsleben ziehen? Hat sie nicht ihren Ursprung auch in dieser Entgrenzung des Arbeitens zur dauernden Maximierung eines Profits?
Strampeln ohne voran zu kommen
Nach Ansicht Grünewalds haben die Deutschen das "dumpfe Gefu?hl, von dunklen Mächten der Finanzwelt bedroht zu werden. Man fu?hlt sich einem abstrakten Getriebe hilflos ausgeliefert." In diesem Getriebe immer schneller strampeln zu müssen, wie in einem kafkaesken Albtraum - das erschöpft. Und die Krise bleibt trotzdem.
Obwohl Deutschland besser dasteht als je zuvor - Wirtschaftswachstum heißt ja nichts anderes als, dass jedes Jahr ein neuer Produktionsrekord erzielt wird - mahnen doch alle hörbaren Stimmen zu neuen Anstrengungen. Bloß nicht auf den Lorbeeren ausruhen: Noch geht es uns gut, aber die Chinesen … Der globale Wettbewerb schläft nie. Wie eine Horde von Zombies ist er uns dauernd auf den Fersen.
Nicht nur ein paar wachstumskritische Vordenker, sondern vermutlich die meisten Menschen haben eigentlich den Glauben an die hergebrachte Maximierungskultur verloren. Die Gewissheit, dass "Reformen", der aus ihnen folgende nächste Aufschwung und schließlich ewiges Wachstum uns aus der Krise führen werden, ist tot. Umso innbrünstiger muss der Glaube daran beschworen werden. Und die Deutschen sagen sich wie das fleißige Pferd Boxer in George Orwells "Farm der Tiere": "Ich will und werde noch mehr arbeiten."
Unternehmen und Politik befeuern die Flucht in die besinnungslose Betriebsamkeit mit Appellen an die Leistungssteigerung. Besonders deutlich wird das in der Demografie-Politik: Statt nach Wegen zur Lösung des eigentlichen Problems zu suchen und den Menschen mehr Zeit und Sicherheit zu verschaffen für Kinder, wird das Aussterben der Deutschen zu einem Personalproblem der Unternehmen interpretiert - aus dem Ende der Welt, wie wir sie kennen, machen die Effizienzapostel den Popanz des so genannten Fachkräftemangels. Der Lösungsvorschlag lautet: Mehr Menschen, vor allem Frauen, sollen noch mehr arbeiten.
Im 19. und frühen 20 Jahrhundert sprachen die Soziologen viel von der Entfremdung des Menschen von der Arbeit. Der Begriff ist irgendwann aus der Mode gekommen, einerseits weil er durch Karl Marx als kontaminiert galt, andererseits weil die konsumierbaren Früchte der Wohlstandsgesellschaft auch dem Arbeiter verfügbar wurden und das Problem scheinbar gelöst war. Doch was ist der Stolz der Arbeitenden auf ihre Erschöpfung statt auf ihr Schöpfertum anderes als eine Entfremdung? Während Marx und die Väter der Soziologie den Arbeiter vor Augen hatten, der jeden Tag die ewiggleichen Handbewegungen zu verrichten habe für ein Produkt, das er sich nicht leisten kann, hat heute der Angestellte im Großraumbüro den Sinn seiner Arbeit aus den Augen verloren. Er hat zwar studiert und verdient gut, aber am Abend weiß er vor lauter Erschöpfung nicht mehr, was er am Tage geschaffen hat.
Was kann man also tun? Man kann aufhören, auf die eigene Erschöpfung stolz zu sein, und vor allem aufhören, anderen Menschen allzu viel Anerkennung für deren Erschöpfung zu zollen. Arbeit an sich ist es nicht wert, überhöht zu werden. Wenn sie die Menschen auslaugt und erschöpft, muss sie begrenzt werden. Ihren Wert erhält Arbeit nur durch die Werke, die aus ihr hervorgehen. Diese Schöpfungen müssen gegen die Erschöpfung der Arbeitenden abgewogen werden.
Muße tut Not
Das Leben kann ein bloßes Dasein sein, eine nie endende Anpassung an die Erfordernisse der Märkte. Im schlimmsten Fall lernt man dann langweilige Dinge, um einen Job zu bekommen, den man hasst, um dadurch Geld zu verdienen, um Dinge zu kaufen, die man nur braucht, um sich über die Ödnis der als sinnlos empfundenen Arbeit hinwegzutrösten. In solch einem Leben ist Erschöpfung eine der wenigen Quellen des Stolzes - bis sie womöglich zum totalen Ausbrennen und in die finale Sinnkrise führt.
Das Leben kann aber auch ein Abenteuer sein, eine mythische Heldenreise zu sich selbst. In der geht es nicht darum, sich abzurackern, um total ausgepowert anzukommen, sondern Prüfungen zu bestehen, Schätze zu finden und Wissen zu gewinnen. Mit anderen Worten: Es geht darum, Werke zu schaffen, auf die man - heimgekehrt von der alltäglichen Arbeits-Odyssee - stolz sein kann. Im besten Fall erreicht man das, was der Philosoph Karl Jaspers "Selbstsein" nennt. Die Werke müssen nicht unbedingt große Kunst oder nobelpreiswürdige Forschungsergebnisse sein. Aber Sinn müssen sie für ihren Schöpfer haben. Dann kann er vielleicht, wie Jaspers sagt, "obgleich ich Amboss bin, als Hammer … vollziehen, was ich erleiden muss".
Zeit zum Träumen und Nachdenken
Was wir - und damit ist nicht die abstrakte deutsche Volkswirtschaft gemeint, sondern die konkreten Menschen aus Fleisch und Blut - wirklich brauchen, ist nicht mehr Arbeit um jeden Preis, sondern Arbeit, die sinnvolle Werke hervorbringt. Sinnvoll für ihren Schöpfer und sinnvoll für die Mitmenschen. Und mehr Muße. Zeit für unsere Kinder und die anderen wirklich wichtigen Dinge. "Wer wird auf dem Sterbebett sagen: Wäre ich damals nur länger im Büro geblieben!", sagt Jeremy Rifkin im Film.
Muße tut not. Muße fürs Träumen und fürs Nachdenken. Wirklich schöpferische Menschen - hier ist nicht von der lächerlichen Pseudokreativität die Rede, die in Business Schools gepredigt wird - erscheinen oft als faul, weil sie produktiv träumen und nachdenken, während um sie herum alle besinnungslos betriebsam sind. Das, was nach außen sichtbar als Arbeit erscheint - zum Beispiel das physische Schreiben - ist eigentlich eher eine Formalität am Ende des schöpferischen Prozesses. Muße ist die wichtigste Bedingung dafür, dass Erschöpfte wieder zu Schöpfern werden können.
(Quelle: Wirtschaftswoche)