Die Antworten auf eine Kleine Anfrage der Bundestagfraktion der Grünen brachte die Kehrtwende des Außenministeriums in Sachen Open-Source-Software – nach einer Anfrage des SPD-Abgeordneten Oliver Kaczmarek – wieder ins grelle Licht der Öffentlichkeit. Dort will man die PCs von Linux zurück auf Windows migrieren.
Die Grünen monieren in ihrer Anfrage: „Die Haltung der Bundesregierung bezüglich der Unterstützung freier und quelloffener Software ist weiterhin unklar. Obwohl mittlerweile ein Open-Source-Kompetenzzentrum des Bundesverwaltungsamtes zur Einführung von quelloffener Software in den Verwaltungen eingerichtet wurde und trotz des Rats das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zum vermehrten Einsatz Freier Software, ist eine einheitliche und nachhaltige Strategie nicht erkennbar.“
Im Außenministerium ließ man sich lange für den 2002 begonnenen Linux-Einsatz feiern. 2007 zog man eine Fünf-Jahres-Bilanz: ein voller Erfolg und eine hohe Kostenersparnis. Doch diese Zeiten scheinen vorbei zu sein. Es liegt wohl eher an personellen Veränderungen in der Behörde, dass das IT-System des Auswärtigen Amtes, das unter der rot-grünen Bundesregierung auf freie und quelloffene Software umgestellt worden war, jetzt wegen mangelnder Benutzerfreundlichkeit wieder zurück auf proprietäre Anwendersoftware zurückgedreht wird.
In ihrer Antwort auf die Grünen-Anfrage verweist die Bundesregierung ausdrücklich darauf, dass sie „weiterhin an dem Kriterium der Offenheit von verbindlichen Standards festhält.“ Außerdem sagt sie: „Die Bundesregierung plant nicht, die Stellung marktbeherrschender Unternehmen im IT-Bereich aktiv zu stärken. Es ist auch nicht geplant, Lösungen solcher Hersteller formal in den Rang eines Standards zu erheben.“
Im Gegenteil verweist man auf große eigene Anstrengungen in diesem Bereich: Derzeit aktualisiere man das Grundlagenpapier „Standards und Architekturen für E-Government Anwendungen (SAGA)“ umfassend. Es befinde sich gerade in der letzten Abstimmungsphase für einen Beschluss des Rates der IT-Beauftragten. Zudem habe die Bundesregierung im Bereich der Open-Source-Software (OSS) ein Kompetenzzentrum Open-Source-Software beim Bundesverwaltungsamt ausgebaut. Vergabehindernisse habe man ebenfalls beseitigt, so enthalte die aktuelle Fassung der Unterlage für Ausschreibung und Bewertung von IT-Leistungen (UfAB) ein eigenes Kapitel über die Beschaffung von Open-Source-Lösungen.
Bundesregierung will Open Source weiter unterstützen
Quelloffene Software werde, so verspricht es die Bundesregierung, werde vom Auswärtigen Amt auch weiterhin dort eingesetzt, wo es „technologisch und wirtschaftlich sinnvoll“ sei, heißt es in der Antwort weiter. „Dies ist derzeit überwiegend im Backend und zur Absicherung der Netzinfrastruktur sowie punktuell im Client-Bereich der Fall“, so die Bundesregierung.
Seit September 2010 werde im Auswärtigen Amt aber ein Projekt „zur Konsolidierung der Arbeitsplatzrechner auf Windows 7 und Office 2010“ durchgeführt. Ab 2012 bis Anfang 2014 solle der neue PC-Standardarbeitsplatz weltweit ausgerollt werden. Diese Entscheidung treffe das Auswärtige Amt aber ganz alleine, nämlich „innerhalb seiner Ressorthoheit.“
Beim Linux-Einsatz hat es bei den Diplomaten offenbar Schwierigkeiten gegeben, zumal das Amt besonders gründlich sein wollte und eine eigene quelloffene „Bundesdistribution“ für 4,3 Millionen Euro plante. Diese habe jedoch „aufgrund von Ressourcen- und Zeitproblemen“ nicht realisiert werden können. Deswegen habe sich das Amt sich dann für die Konsolidierung der Arbeitsplatzinfrastruktur entschieden. „Im Hinblick auf diese Entwicklung empfahl auch das Beratungsunternehmen die Migration der Arbeitsplatzrechner auf Windows 7“, rechtfertigt man die Anti-Linux-Entscheidung.
„Erhebliche Beschwerden der Nutzer „hinsichtlich Bedienbarkeit, Anwenderfreundlichkeit, fehlender Integration und mangelhafter Interoperabilität, die auf Basis verfügbarer quelloffener Software nicht zufriedenstellend gelöst werden konnten“, bei den anwendernahen IT-Systemen (Mail, Office, Groupware) führt das Amt für seine Entscheidung ins Feld.
Am „eigenen Leib“ habe man die Vor- und Nachteile einer ausschließlichen Ausrichtung auf Open Source erfahren. Diese Erfahrungen würden nun mit der Entscheidung zum Wechsel der IT-Strategie bei den Arbeitsplatzrechnern hin zu einem proprietären Betriebssystem „konsequent gewürdigt“, heißt es in der Antwort. „Die genannten Defizite können mit dieser Neuausrichtung am effektivsten abgestellt werden.“
Zumal man mit Linux im Bund auch immer allein geblieben sei. „Das Auswärtige Amt ist im Bund das einzige Ressort, das über eigene, langjährige konkrete Erfahrungen im flächendeckenden Einsatz von Linux auf den Arbeitsplatzrechnern verfügt.“
Die Ziele nicht erreicht
Die anfänglichen Ziele bei der Einführung der quelloffenen Arbeitsplatzumgebung haben sich angeblich nicht erreichen lassen. Um sich von den von Herstellern diktierten Updatezyklen zu lösen, habe man eigens eine eigene Distribution entwickelt. Dann habe man aber feststellen müssen, dass man sich durch die Aktualisierungsanforderungen der Drittsoftware (Mailclient, Open Office, Groupware) von den Updatezyklen nicht abkoppeln konnte, da diese auch die Aktualisierung des darunterliegenden Betriebssystems erforderten.
Das alles hab viel Arbeit verursacht, beklagt man sich: „Alle für eine Aktualisierung notwendigen Maßnahmen waren mit eigenen Ressourcen oder entgeltlich durch Dritte durchzuführen, neue Versionen waren auf Mängel und Schwachstellen zu prüfen, anzupassen, zu testen, zu warten und zu pflegen.“ Auch nicht so gut, befand man: „Eine Mängelhaftung gegenüber einem kommerziellen Anbieter konnte nicht beansprucht werden.“
Linux oder Microsoft? Die Kosten bleiben den Berechnungen des Amtes zufolge dieselben: Eine Kostenschätzung über fünf Jahre inklusive Personalausgaben vom März 2010 habe für den Einsatz von quelloffener Software Kosten von rund 5,6 Millionen Euro ergeben; für den Einsatz von proprietärer Software wurden rund 6,6 Millionen Euro geschätzt. Die höheren Hardware-, Peripheriesoftware- und Entwicklungskosten zu Lasten von quelloffener Software sowie die Kosten für die quelloffene Bundesdistribution seien dabei noch gar nicht berücksichtigt worden.
Nicht nur für Linux-Befürworter überraschend: Microsofts Software scheint auch sonst eher Kosten zu sparen. Die Bundesregierung spricht zur Erklärung von Einspareffekten, „die beispielsweise dadurch realisiert werden, dass Virtualisierungssoftware für fachlich notwendige Anwendungen, die ausschließlich auf Microsoft Windows laufen, künftig nicht mehr benötigt“ würden. Die dafür notwendigen Aufwendungen für Lizensierung, Pflege und Wartung beliefen sich beim Amt den Angaben zufolge auf rund 250.000 Euro im Jahr.
Schulungen werden jetzt nicht mehr nötig sein
Noch mehr Geld kann in Zukunft bei der Schulung gespart werden: So könne sich „sowohl der zeitliche als auch der monetäre Aufwand zur Schulung von Mitarbeitern, die bislang in der Nutzung zweier Arbeitsplatzumgebungen unterwiesen wurden, drastisch reduzieren“.
Und auch die Treiber gibt es bei Microsoft umsonst: „Die im Rahmen der Umstellung benötigte zertifizierte Treibersoftware war unter Windows bislang entweder betriebssystemseitig bereits verfügbar oder wurde vom Hersteller kurzfristig kostenlos zur Verfügung gestellt. Diese Vorgehensweise wird auch zukünftig beibehalten. Dadurch fallen zukünftig keine weiteren Kosten an. Für eine Open Source Arbeitsplatzumgebung mussten diese Treiber bislang mit eigenen Ressourcen entwickelt oder von externen Dritten eingekauft, intensiv getestet und zertifiziert werden.“
An Lizenzen hatte man in der Vergangenheit sowieso kein Geld gespart, heiß es jetzt, denn Microsoft war auch bei den Linux-Rechnern immer dabei: „Da eine Reihe von Anwendungen nur unter Windows lauffähig waren und sind, wurden die Arbeitsplätze entweder als Dual-Boot-Hybriden mit wahlweise Windows oder Linux betrieben, oder auf Linux-Boot Geräten durch Virtualisierung fähig, diese Anforderungen zu erfüllen. Eine Einsparung ließ sich durch die Notwendigkeit der Windows-Lizensierung der Arbeitsplätze nicht darstellen und kann im Nachhinein auch nicht belegt werden.“
Praktisch: Eine flächendeckende Windows-Lizensierung sei bereits seit einigen Jahren vorhanden. Dadurch entstünden keine mittelbaren Mehrkosten. Arbeitsplatz- Hardware könne man künftig über einen kostengünstigen Rahmenvertrag aus dem „Kaufhaus des Bundes“ beziehen. Durch spezielle Anforderungen des Open-Source-Betriebssystems sei das Auswärtige Amt bislang stark in der Hardware-Auswahl eingeschränkt und habe Geräte in geringen Mengen zu hohen Preisen am Markt erwerben müssen. Das ändere sich jetzt.
2007 hatte der damalige IT-Verantwortliche Rolf Schuster zu Heise.de zur Kostenbilanz noch ganz anderes berichtet: Seit der Umpositionierung sei das Auswärtige Amt „das mit Abstand günstigste Ministerium im Bund bei den IT-Kosten.“ 2005 lagen die IT-Ausgaben pro Kopf im Jahr bei nur 1190 Euro. Andere Ministerien hätten laut Schuster dafür mindestens das Doppelte und teilweise bis 5000 Euro ausgegeben, der Bundesrechnungshof immer noch 2700 Euro.
Neuer IT-Verantwortlicher = neue Meinung?
Dass die Entscheidung des Auswärtigen Amtes auch auf einen Wechsel bei der Position des IT-Verantwortlichen zurückzuführen sein könnte, liegt nahe. Dazu noch einmal die Antwort der Bundesregierung: „Das Auswärtige Amt nimmt den in der Frage enthaltenen Hinweis auf den ‚Referatsleiter IT‘ zum Anlass, auf die in der engagierten Internetdiskussion gelegentlich anzutreffende Personalisierung der Debatte hinzuweisen: so wird die Entscheidung zur Weiterentwicklung der IT-Strategie des Auswärtigen Amts auf die Einwirkung einer Einzelperson zurückgeführt, die mit Namen und zuletzt auch mit Bild öffentlich vorgeführt wird . Dies ist nicht zuletzt mit Blick auf die Persönlichkeitsrechte des Beschäftigten befremdlich, aber auch sachlich falsch: die Ausrichtung seiner IT ist eine strategische Entscheidung des Auswärtigen Amts, die nach sorgfältiger Abwägung der Argumente und unter Einbeziehung der Beteiligten auf allen Ebenen getroffen wurde.“
Die Linux-Lobby kritisiert die Entscheidungen: „Viele der Antworten zeigen, dass die Bundesregierung entweder wichtige Aspekte Freier Software nicht verstanden hat, oder dass die Regierung hier bewusst freie Software im Allgemeinen und freie Software-Unternehmen attackiert“, kommentiert Matthias Kirschner, Deutschlandkoordinator der Free Software Foundation Europe (FSFE). „Die Behauptungen, dass freie Software schlechter benutzbar sei, höhere Hardware-Kosten verursache und es an Gewährleistung mangele, gehören wohl eher ins Reich der Fantasie als in eine Antwort der Bundesregierung“, so Elmar Geese, Vorsitzender des Linux-Verbands.
„Daneben wirft die Antwort der Regierung neue Fragen auf. So erwähnt die Regierung, dass 4,3 Millionen Euro für eine ‚quelloffene Bundesdistribution‘ ausgegeben aber offenbar nie fertig gestellt wurde. Wir fragen uns natürlich, was mit diesem Projekt passiert ist, und wofür die Regierung das Geld eigentlich ausgegeben hat“, sagte Matthias Kirschner.
Quelle: CIO.de