Trotz Fachkräftemangel

Studie: Mitarbeiter sind unterfordert

17.08.2012 von Nicolas Zeitler
Von jedem sechsten ist im Beruf nicht das gefordert, was er gelernt hat. Eine Studie der Uni Hohenheim zeigt das Ausmaß der "inadäquaten Beschäftigung".
So offensichtlich stellt nicht jeder seine Unterforderung zur Schau. Laut deutschen Arbeitsmarktdaten hat allerdings mehr als jeder sechste einen Beruf, in dem er das in Ausbildung oder Studium Erlernte nur unzureichend umsetzen kann.
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Sie beklagen in lauten Tönen den Fachkräftemangel, aber rufen das Potenzial ihrer Fachkräfte nicht ab. Dieses Bild von deutschen Unternehmen zeichnet eine Studie der Universität Hohenheim im Auftrag der IG Metall Baden-Württemberg. Demnach ist mehr als jeder sechste Beschäftigte mit Ausbildungs- oder Hochschulabschluss überqualifiziert für die Tätigkeiten, die er Tag für Tag verrichtet.

Erst Ende Mai hatte der Bitkom wieder Alarm geschlagen: In fast der Hälfte der IT-Unternehmen sind laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation im Auftrag des Verbands die Mitarbeiter überlastet, weil Personal knapp ist. In schöner Regelmäßigkeit sind solche Meldungen mittlerweile zu lesen. Außer vom Bitkom unter anderem auch von Verbänden wie VDE und VDI. Nicht zuletzt CIOs berichten immer wieder davon, wie sie angesichts des Nachwuchsmangels mit teils ungewöhnlichen Mitteln um die begehrten IT-Talente werben - die einen als Dozent im Hörsaal, andere auf dem Fußballfeld.

Ungenutzte Talente in Unternehmen

Die Studie des Hohenheimer Wirtschaftswissenschaftlers Ralf Rukwid wirft auf das Szenario nun einen neuen Blickwinkel. Demnach schlummern in den Belegschaften vieler Firmen ungenutzte Talente, weil Mitarbeiter "ausbildungsinadäquat" beschäftigt werden, wie Rukwid schreibt - das, was sie gelernt haben, können sie schlicht nicht anbringen.

Laut den Daten des Sozio-ökonomischen Panels, die Rukwid ausgewertet hat, sind mehr als 17 Prozent der Fachkräfte unterwertig beschäftigt - von den nicht-akademischen Angestellten 17,2 Prozent, von denen mit Hochschulabschluss sogar 18,9. Ein beträchtlicher Anteil, weshalb die Politik das Phänomen keinesfalls ignorieren dürfe.

Wer inadäquat beschäftigt ist, kann einen großen Teil der Kenntnisse, die er in der Ausbildung erworben hat, nicht für die Arbeit nutzen. Messen lässt sich das auf zwei Ebenen. Erstens: Arbeitet jemand in dem Fachgebiet, in dem er ausgebildet ist? Zweitens: Entspricht das, was jemand gelernt hat, den Anforderungen seiner Arbeitsstelle oder könnte ein geringer Qualifizierter dieselbe Arbeit auch erledigen?

Risiko für FH-Abgänger besonders hoch

Rukwid unterscheidet in seiner Auswertung der Angaben aus dem Sozio-Ökonomischen Panel für das Jahr 2010 danach, ob Beschäftigte nur leicht oder in mittlerem Ausmaß unter ihrem Qualifikationsniveau arbeiten, oder ob ihre Tätigkeit wesentlich geringere Anforderungen stellt. Von den Berufstätigen mit einem akademischen Abschluss - zu denen auch ein Großteil der in IT-Abteilungen gesuchten Spezialisten zählen dürfte - arbeiten seinen Zahlen zufolge 81,1 Prozent ausbildungsadäquat. 14 Prozent sind leicht oder mittelmäßig überqualifiziert für ihre Arbeit, 4,9 Prozent deutlich.

Regional ist die Verteilung unterschiedlich. In Ost-Deutschland arbeiten deutlich mehr Beschäftigte auf einer Stelle, die ihre im Studium erworbenen Kenntnisse nicht vollständig abruft. Ihr Anteil liegt dort bei 22,6 Prozent und damit viereinhalb Prozentpunkte über dem in West-Deutschland.

Wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, im Beruf nicht die über mehrere Jahre im Studium gesammelten Kenntnisse einsetzen zu können, hängt auch von der Hochschulart ab, die jemand besucht hat. Wer auf einer Fachhochschule studiert hat, dessen Risiko ist weitaus höher als das von Absolventen einer Universität oder Technischen Hochschule, später eine nicht seiner Ausbildung entsprechende Stelle zu bekommen. FH-Abgänger haben ein Risiko von 29 Prozent, bei anderen Akademikern liegt es bei knapp unter zwölf Prozent.

CIOs nicht unter Verdacht

CIOs entlasten die Befunde von Rukwid insofern von dem Verdacht, Potenziale ihrer Mitarbeiter brach liegen zu lassen, als die in IT-Teams gefragten Disziplinen Mathematik, Naturwissenschaften und mit kleinem Abstand auch Ingenieurwissenschaften zu den Fächern gehören, deren Absolventen besonders oft eine Arbeit finden, die ihrem Wissen und Können entspricht. Gute Neun von zehn Akademikern aus diesen Fächern sehen sich adäquat beschäftigt.

Allerdings können sich IT-Chefs umgekehrt auch nicht ohne weiteres rühmen, besser als andere Manager die Qualifikationen ihrer Teammitglieder anzuzapfen. Die genannten Fächer hätten nun mal einen klaren Bezug zum späteren Berufsfeld, schreibt Rukwid. Bei Sprach- und Kulturwissenschaften passten Studieninhalte und mögliche berufliche Einsatzfelder dagegen weniger oft zusammen. Jeder Fünfte mit einem Studienabschluss in diesen Fächern macht einen Job, in dem er seine Fachkenntnisse nur eingeschränkt umsetzen kann.

Lösungsvorschlag: Mehr Weiterbildung

Grundsätzlich liegt in technischen Berufen der Anteil der angemessen zu ihrer Ausbildung Beschäftigten mit 97,9 Prozent unangefochten am höchsten. Von den Berufstätigen im Dienstleistungssektor sind dagegen nur knapp drei Viertel adäquat beschäftigt.

Der Lösungsvorschlag von Studienautor Ralf Rukwid, wie sich die brach liegenden Potenziale heben lassen, klingt simpel: Weiterbildung soll es richten. Der Wirtschaftswissenschaftler empfiehlt in seiner Untersuchung sowohl Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik als auch bessere Weiterbildung in Betrieben. Gerade die betrieblich-berufliche Weiterqualifikation werde häufig als unzureichend und selektiv kritisiert.