Open Government und Open SAGA

Stuttgart 21 wäre nicht passiert

29.03.2012 von Johannes Klostermeier
SAGA ist eine Sammlung von Referenzen des Bundes für Software-Systeme der öffentlichen Verwaltung. Die quelloffene Java-Plattform Open SAGA hilft, Webanwendungen konform dazu zu entwickeln. Seit kurzem gibt es dazu auch eine Modulsammlung fürs E-Government.

Das Dortmunder Unternehmen Quinscape stellt auf dem Reformkongress in Berlin eine neue Software für den schnellen Einstieg ins Open Government 2.0 vor. Die „Open Government Suite" (OGS) ist Open-Source und soll vor allem Kommunen als modulares Werkzeug für die schnelle Umsetzung von Lösungen dienen. Sie kann ab sofort als Release Candidate 1 heruntergeladen werden. CIO.de hatte hier erstmals über Open SAGA berichtet.

CIO.de interviewte dazu Thomas Biskup, Geschäftsführer von Quinscape, zu Open SAGA, der Open-Source-Plattform für E-Government- und Webanwendungen und der modularen und offenen Plattform Open OGS.

CIO.de: Quinscape stellt auf dem Reformkongress für die Verwaltung in Berlin eine Software für einen preiswerten Einstieg ins Open Government vor. Was machen Sie für die Öffentliche Verwaltung?

Thomas Biskup: Wir sind in zwei Themenfeldern unterwegs, das eine ist Open SAGA, das andere ist die Open Government Suite. Die Open Government Suite beruht auf Open SAGA. Open SAGA ist eine technische Programmierplattform für Entwickler, um möglichst effizient, einfach und kostengünstig standardkonforme Webanwendungen für öffentliche Auftraggeber zu entwickeln.

Thomas Biskup will Verwaltungen beim E-Government helfen.
Foto: Quinscape

Die Open Government Suite ist eine Sammlung von Modulen für ein bestimmtes Verwaltungsthema, die mit Open SAGA gemacht ist. Die Modulsammlung erfüllt bereits alle behördlichen Standards, die an IT-Systeme gestellt werden. Sie soll Kommunen und die Länder dabei unterstützen, Open Government - wie Open Data und Bürgerhaushalte - einfach und elegant umzusetzen. Wir präsentieren sie auf dem Reformkongress zum ersten Mal.

CIO.de: Das ist alles Open Source?

Biskup: Ja, das sind beides Open Source Projekte, das heißt, sie können bei uns herunter geladen werden und stehen für jedermann frei zur Verfügung. Die Systeme kann jeder einfach benutzen und auch verändern. Die Open Government Suite ist aus unserer Sicht die erste integrierte Open Government Plattform in Deutschland, die im Ganzen die verschiedenen Open-Government-Themen adressiert. Die Kommunen haben den Vorteil, dass sie mit einer einzigen technischen Plattform, die einheitlich zu bedienen und zu konfigurieren ist, sehr unterschiedliche Szenarien leistungsfähig abbilden kann. Die einzelnen Module können Sie miteinander verbinden und so zusätzlichen Nutzen erzeugen.

CIO.de: Wie ist die Geschichte von Open SAGA?

Biskup: Open SAGA ist aus einer Kooperation im Kontext der öffentlichen Verwaltung entstanden. Der Partner wollte neue, moderne Fachverfahren umsetzen, die webbasiert waren. Das Unternehmen war aber seit vielen Jahren nicht im Webumfeld tätig und sah sich mit vielen Standards konfrontiert. Unsere Aufgabe war es, eine Plattform zu entwickeln, die es den Fachverfahrensexperten erlaubt, IT-Verfahren möglichst schnell umzusetzen, ohne dass sie sich mit den technischen Details der Standards beschäftigen müssen. Das betraf unter anderem die Barrierefreiheit im Netz, Sicherheits- und Architekturfragen.

Die Hürde, um systemkonform zu entwickeln, ist hoch

Der Sreenshot bildet ein Abstimmungsverfahren mit der OGS für einen Bürgerhaushalt ab.
Foto: Quinscape

Die Hürde, um systemkonform zu entwickeln, ist, wenn man in Informatik einsteigt, relativ hoch. Wir haben uns eng am Behördenstandard orientiert, SAGA ist der Standard des Bundes, der alles subsumiert, was in der Verwaltung relevant ist, eine große Sammlung an Referenzen. Wir haben uns daran orientiert und wollten SAGA, neben der Papierform, durch eine offene Implementierung unterstützen. Damit können andere die Plattform nutzen, ohne jedes Detail des Standards nachempfinden zu müssen. Da SAGA ein offener Standard ist, lag es nahe, daraus ein Open Source Projekt zu machen und eine Community aufzubauen.

CIO.de: Wie groß ist die Community?

Biskup: Wir haben eine kleine Community von einem Dutzend Partner aus Hochschulen und Industrie, die sich dort engagieren. Wir haben festgestellt, dass es nicht ganz einfach ist. Verwaltungsthemen sind nicht besonders sexy. Man findet deswegen nicht so viele Freiwillige, die Lust haben, sich damit zu beschäftigen. Und die meisten Behördenvertreter sind zur Neutralität verpflichtet, das begrenzt ihr Engagement. Wir haben uns damit schwerer getan, als gedacht.

CIO.de: Wer unterstützt Sie, mit wem arbeiten Sie zusammen?

Biskup: Wir haben eine Reihe von Verwaltungseinheiten, die sich für das Thema interessieren. Ich bin regelmäßig in Ministerien und Rechenzentren und stelle Open SAGA vor. Wir haben eine Reihe von Projekten umgesetzt und Erfahrungen gesammelt. Eine der letzten war www.Lebensmittelwarnung.de, das Portal für Lebensmittelwarnungen des Verbraucherschutzministeriums. Das System war auch hohen Besucheranstürmen gewachsen.

CIO.de: Wie verdienen Sie daran?

Biskup: Die Idee ist relativ simpel. Wir sind IT-Dienstleister. Wir leben nicht von Produkten, sondern von Projekten. Wir nutzen die Einsparpotenziale von Open SAGA in unseren Projekten. Wir können so günstiger und effizienter anbieten. Die Chancen und unsere Erträge erhöhen sich dadurch. Für Anwender und Nutzer fahren wir ein klassisches Open Source Modell. Man kann bei uns Support- und Wartungsverträge und Erweiterungen kaufen und uns mit Schulungen beauftragen. Das ist unser Mehrwert-Geschäftsmodell.

CIO.de: Wer sind die Wettbewerber?

Biskup: Der Fokus auf Standardisierung ist gar nicht so verbreitet. Es gibt Wettbewerb im Bereich Web-Content-Management wie den Government Site Builder, der viele der Standards für das Themenfeld CMS umsetzt. Hier gibt es Konkurrenz, wenn es um große Internetauftritte geht.

Es gibt ansonsten die klassischen Mitbewerber im Bereich Programmierbibliotheken und anwendungsunterstützende Bibliotheken für Programmiersprachen wie etwa Spring oder GWT, das sind Frameworks, die Eigenschaften haben, die Programmierern Vorteile bieten. Die uns bekannten Anwendungsplattformen beschäftigen sich aber nicht mit den deutschen Behördenstandards. Sie erwähnen diese höchstens einmal. Wir haben den Fokus, nicht nur schnell entwickeln zu können, sondern auch die Standardisierungsanforderungen besonders genau zu erfüllen.

Zentral ist die Bereitstellung maschinell verwertbarer Daten

CIO.de: Was kann denn jetzt die Open Goverment Suite?

Biskup: Sie ist mit Open SAGA gemacht. Die Idee ist, dass man mit der Sammlung flexibel konfigurierbarer Module beliebig klein ins Thema Open Government einsteigen kann. Ein zentrales Thema ist das Thema Open Data, die freie Bereitstellung maschinell verwertbarer Daten aus Behördenbeständen. Wir haben einen Datenkatalog, der den Kommunen den einfachen Einstieg ins Thema Open Data erlaubt. Viele habe ja auf ihren Web-Seiten ja schon eine Menge frei verfügbare Daten. Mit dem Katalog kann man ein Inventar erstellen und diese Daten verschlagworten. Über eine maschinenlesbare Schnittstelle kann man sie automatisiert bereitstellen, etwa für App-Wettbewerbe.

Es gibt auch ein Modul für Bürgerhauhalte mit konfigurierbaren Phasen. Man kann konfigurieren, wie die Interaktion zwischen Bürgern und Verwaltung verlaufen soll. Von der Ideensammlung über die Ideenbewertung bis zur Diskussion und der Abstimmung einzelner Haushaltsposten bis zur Rechenschaftslegung - von einfach bis komplex. Man kann den Bürgerhaushalt mit dem Datenkatalog verbinden.

CIO.de: Das Besondere ist, dass man die einzelnen Teile miteinander kombinieren kann?

Biskup: "Bisher gibt es im Markt im Wesentlichen nur eine Vielzahl von Insellösungen von enthusiastischen Einzelentwicklern."
Foto: Quinscape

Biskup: Ja, wir starten mit dem Datenkatalog, der Open Data API und dem Bürgerhaushalt. Weitere Verfahren werden nach und nach dazu kommen, zum Beispiel ein Rats-Informationssystem. Das Besondere ist, dass alles miteinander integriert ist. Die schwierige Frage ist ja immer, wie man die Prozesse so ausrichtet, dass man den Dialog auch wirklich leben kann. Es gibt einen hohen Bedarf, dass die IT dahinter beherrschbar bleibt. Wenn man die Prozesse strukturiert hat, ist die Frage, wie man sie so unterfüttert, dass man auch effizienter arbeiten kann

Bisher gibt es im Markt im Wesentlichen nur eine Vielzahl von Insellösungen von enthusiastischen Einzelentwicklern zu verschiedenen Themen. Wir wollen eine integrierte Plattform anbieten, so dass eine Kommune den Technikaufwand minimieren und die Module einheitlich bedienen, administrieren und betreiben kann.

CIO.de: Wie groß ist die Begeisterung der Verwaltung bei dem Thema?

Biskup: Es gibt eine Reihe von Kommunen, die sehr aktiv dabei ist. Man sieht dabei, wenn die Prozessseite gut vorbereitet ist, funktioniert es sehr gut. Wenn man falsch rangeht, kann man sehen, dass die Ergebnisse beliebig schlecht werden. Eine Reihe von Kommunen wartet noch ab. Die spüren aber, da kommt etwas, dem man sich nicht beliebig lange entziehen kann. Man sieht schon, dass das ein Trend ist, der schnell in Deutschland Fuß fassen wird. Es gibt Vorreiter, und langsam zieht der Rest nach. Das wird sich in den nächsten zwei bis fünf Jahren entwickeln.

CIO.de: Was sind die Referenzprojekte bei Open Data?

Der angloamerikanische Raum ist hier ganz weit vorne. Die Obama-Regierung hat schon eine große Zahl von Projekten auf die Strecke gebracht. Das fängt beim Open-Data-Portal der US-Regierung an und geht bis hin zur IT-Budgetierung auf Bundesebene. Auch Großbritannien macht eine Menge. In Deutschland gibt es etwa die Bürgerhaushalte von Berlin-Lichtenberg oder Köln.

CIO.de: Was halten Sie von einem App-Store für Verwaltungs-Software?

Biskup: Das wäre sicher gut und richtig. Bei 10.000 Kommunen in Deutschland werden wir es nie hinbekommen, dass sich alle Kommunen individuell ihre Lösungen zusammen basteln. Ich vermute aber auch, dass sich in den nächsten Jahren Verwaltungssoftware noch durch eine lokale Prägung auszeichnet. Und das widerspricht ja dem App-Gedanken: Da geht es darum, Standards zu verwenden. Da muss man in Deutschland noch Erfahrungen sammeln, was hier bei den Prozessen gut funktioniert. Apps aber, die von Bürgern genutzt werden, wie ein Toilettenfinder, passen natürlich gut in so einen App-Store.

CIO.de: Was wünschen Sie sich in Zukunft von der Verwaltung?

"Für den ersten Eindruck hat niemand eine zweite Chance"

Biskup: Wir wünschen uns vor allem mehr Mut für den Einstieg. Der Trend Open Government wird sehr schnell sehr viel wichtiger, als viele derzeit noch annehmen. Es gilt: Für den ersten Eindruck hat niemand eine zweite Chance. Siehe Stuttgart 21.

Ein Einblick in die neue Open Government Suite.
Foto: Quinscape

Wenn Sie von Bürgerseite unter Druck gesetzt werden, in einen Dialog einzutreten, und die Zeit spielt gegen sie, dann werden Sie unvorbereitet ein großes Problem bekommen. Viele Menschen sind durch Facebook und Twitter an eine hohe Geschwindigkeit gewöhnt. Man erwartet direkte und unmittelbare Reaktionen. Wenn die nicht kommt, dann machen die Leute eben ihre eigene Sache im Internet. Man sollte sich da jetzt drauf vorbereiten. Sonst kann das sehr unangenehme Folgen haben.

CIO.de: Mit Ihrer Open Government Suite wäre der Konflikt um Stuttgart 21 so nicht passiert?

Biskup: Ja, wenn sie richtig eingesetzt wird, dann würde ich davon ausgehen.