Es ist immer spannend, wenn das Ende einer Ära ausgerufen wird. Momentan droht eventuell das Ende der On-Premise-Software, wie wir sie kennen. Ein Bericht von Tom Kaneshige für unsere amerikanische Schwesterpublikation CIO.com über die Subscribed-Messe in San Francisco lässt einen zumindest auf den Gedanken kommen.
"Say Goodbye to Software?", heißt es da in einer Zwischenüberschrift des Artikel. Bei der Software-Entwicklung könnte das Subskriptions-Modell der traditionellen On-Premise-Software den Garaus machen, meint Mike Volpi. Volpi ist General Partner bei Index Ventures, einem Investor des Software-Anbieters Zuora.
Ende einer Ära also? Ganz so krass dürfte es dann noch nicht kommen. Gegenüber CIO.de jedenfalls relativieren Analysten von Pierre Audoin Consultants (PAC) und Forrrester Research mit Nachdruck.
Kaneshiges Artikel geht von einem generellen Trend hin zu Abonnement-Diensten aus. "Viele Anzeichen deuten auf eine leuchtende Zukunft für Subskriptionen hin", schreibt der Autor. Megatrends wie das Internet der Dinge oder Wearable IT öffneten die Schleusen für eine Unzahl an neuen Vermarktungsmöglichkeiten. Als Beispiel nennt Kaneshige Dienstleistungen mit Bezug zur Gesundheit, zum Auto oder zur Wohnung.
Unaufhaltsamer Aufstieg von Cloud und Digitalisierung
Hinzu kämen der unaufhaltsame Aufstieg von Cloud Computing und die Digitalisierung der Wirtschaft. Beides definiere eine neue Normalität. Vor diesem Hintergrund prognostiziere Gartner, dass Subskriptions-Modelle bis 2019 herkömmliche auf Dauer abgestellte Lizenzierungs- und Wartungsvereinbarungen abgelöst haben werden.
Laut Analysten der Economist Intelligence Unit verändern mehr als die Hälfte der Unternehmen ihre Preis- und Lieferprozesse oder haben das schon getan. Die Vorteile dieser Herangehensweise liegen laut Deloitte auch in langfristiger Kundentreue und in der Gewinnung von ausführlichen Kundendaten. Was das unter anderem für die IT bedeuten könnte, malt der bereits zitierte Mike Volpi aus.
In ein paar Jahren werde es wohl keine Investitionen mehr in Hersteller von vorgefertigten Software-Paketen geben. Auf jeden Fall werden nach Einschätzung des Investors Startups aus diesem Segment kein Kapital mehr erhalten.
So viel Lizenzsoftware wie nie zuvor
Klingt alles in allem doch nach dramatischen Umbrüchen. Der Einspruch von renommierten Analysten zeigt allerdings, dass man sich die Zukunft nicht zu eindimensional vorstellen sollte. "Das Ende der On-Premise-Software auszurufen halte ich doch für arg reißerisch", sagt Rüdiger Spies.
Der PAC-Analyst wagt sogar die diametral entgegengesetzte Hypothese: In ein paar Jahren werde es auf der Welt so viel Lizenzsoftware geben wie noch niemals zuvor. Spies sagt das bewusst so, obwohl er der Trendbeobachtung in Kaneshiges Artikel im Großen und Ganzen zustimmt. Denn gewiss gehöre die Zukunft immer mehr hybriden Modellen, und der Anteil an Diensten aus der Wolke werde weiter steigen.
"Ich stimme zu, dass ein großer Teil der Software-Branche sich hin zu Subskriptions-Modellen bewegt", sagt auch Duncan Jones von Forrester Research. "Aber das bedeutet keineswegs, dass das alte Modell tot ist." Dafür sorgten alleine schon die immer noch vorhandenen Mainframes, die noch für viele Jahre den Fortbestand laufender Lizenzen bewirken.
Embedded Software gibt's nur On-Premise
Rüdiger Spies von PAC hat anderes im Sinn, wenn er plakativ mehr On-Premise als jemals voraussagt. "Man denke alleine an die ganze neue Embedded Software", bemerkt der Analyst. Streng genommen müsse man nämlich auch die von Firmen entwickelten IT-Lösungen in deren Produkten zur von Unternehmen eingesetzten Software rechnen. Und Embedded Software lasse sich schwerlich einfach so aus der Wolke ordern.
Selbstverständlich weiß Spies um die Spitze in seiner Beobachtung. Letztlich eine Definitionsfrage, denn oftmals hat man eben noch alleine die klassischen IT-Lösungen im Kopf, wenn man an Unternehmens-IT denkt. Aber auch hier wird On-Premise nach PAC-Einschätzung keineswegs aussterben.
Cloud nicht immer billiger
"Man wird nie alles von der Stange kaufen können", erläutert Spies. Speziallösungen für Polizei oder Militär etwa werde es auch in Zukunft nicht aus der Cloud geben können. Derartige staatliche Organisationen wie auch andere Behörden, Banken und Versicherer oder auch Pharmafirmen werden sich laut PAC auch künftig tendenziell dafür entscheiden, eigene Lösungen haben zu wollen beziehungsweise selbst zu entwickeln. "Außerdem stimmt es nicht, dass Cloud-Lösungen immer billiger sind als Lizenzsoftware", ergänzt Spies.
Dass der Trend zu Subskriptionen existiert und zukünftig weiter an Wucht gewinnen wird, bestreitet Spies nicht. Und auch der PAC-Analyst sieht, dass Investitionskapital nicht unbedingt ins On-Premise-Segment gespült wird: "Der Markt ist in der Tat weitgehend abgegrast." Gleichwohl werde auf Anwenderseite mittelfristig ein Mix aus einem Kern an lizenzierten Basissystemen und aus einer wachsenden Vielfalt an Apps vorhanden sein. Hinzu kämen weitere Felder wie Embedded Software, mit veränderten Outsourcing-Modellen sei insgesamt zu rechnen.
Duncan Jones von Forrester Research benennt zwei große Vorteile, die das Subskriptionsmodell aus Anwendersicht hat. Zum einen ist da - bekanntermaßen - die Kostenflexibilität der Cloud: "Die Kunden können klein mit einem Pilotprojekt anfangen und später ihre Nutzung ausbauen", so Jones. Genauso können sie ihren Verbrauch aber auch bei Bedarf herunterfahren.
Bindung Anbieter-Anwender wird enger
Zum anderen sei auch die Bindung der Anbieter an den Erfolg der Anwender enger. "Abo-Anbieter können bei schief gelaufenen Projekten nicht einfach abhauen wie es die alten Anbieter konnten", erläutert Jones. Als Beispiel nennt der Forrester-Analyst SAP und seine Fehlschläge Avon und San Diego. Die Walldorfer hätten das Geld der Kunden dieser beiden Firmen durchaus genommen und sich hinterher unschuldig gegeben.
"Wenn man sich wirklich zu einer SaaS-Firma wandeln will, muss man solche Misserfolge vermeiden", so Jones. "Denn andernfalls bekommt man seine Subskriptionen nicht verlängert." In der SAP-Führung habe man diese Lektion mittlerweile gelernt, betont Jones. Anderswo werde der für den Erfolg des neuen Modells nötige Kulturwandel krass unterschätzt.
Produktentwicklung leidet unter Marketing-Ausgaben
Nachteilig für die Anwender ist am Subskriptions-Modell laut Forrester, dass die Software-Provider eine Unmenge an Mitteln in ihre Verkaufs- und Erneuerungsaktivitäten stecken müssen - Geld, das dann in der Produktentwicklung fehlt. Früher sei ein halbwegs ausgeglichenes Verhältnis der Ausgaben für Sales & Marketing auf der einen Seite sowie für Research & Development auf der anderen Seite üblich gewesen, berichtet Duncan Jones. Bei Firmen wie Salesforce fließe mittlerweile das Fünffache der Entwicklungsausgaben in Sales & Marketing.
Forrester Research malt auch das Investitionspotential von SaaS-Modellen weniger rosig als Mike Volpi. Es geht dabei um die Attraktivität von Investitionen in Software-Provider. Während es beim klassischen On-Premise-Modell neben verbesserten Produkten für die Anwender auch für die Investoren verlässliche und substanzielle Gewinne gab, seien bei SaaS geduldige Anleger gefragt, führt Forrester aus. Denn auch die Art und Weise, in der sich Investitionen vergolden, sei anders als bislang üblich.
Unabhängig von traditionellen Concepts of Value seien Anleger in Cloud-Anbieter nämlich dazu gezwungen, ihre Anteile noch überteuerter zu verkaufen als das beim eigenen Kauf der Fall war, wenn sie ihr Kapital verzinsen wollen. "Das ist fein, solange SaaS in Mode ist", sagt Duncan Jones. "Aber es kann einen heftigen Backlash geben - und dann wären plötzlich wieder Unternehmen mit momentan altmodisch anmutenden Gewinnideen angesagt." Es ist demnach nicht sicher, ob das Kapital mittelfristig noch so sehr in Cloud-Firmen strebt wie es derzeit der Fall ist.
Finanzielle Rückschläge
Auch im in so euphorischem Tenor gehaltenen Artikel von CIO.com finden sich übrigens kritische Töne. "Der Weg zum Subskriptions-Modell ist voller scharfer Kurven und versteckter Fallstricke", warnt Autor Kaneshige die Anwender. "Bestehende Verkaufs- und Distributionskanäle werden ebenso zerstört wie Produktpakete, Lieferketten, Verkaufsaufträge und Preismodelle."
Überdies werden teure ERP-Investitionen schlichtweg abgeschrieben. Deshalb sei kurzfristig beim Übergang zum digitalen Abo-Modell durchaus mit finanziellen Rückschlägen zu rechnen.
"Zusammenfassend lässt sich sagen: Ja, Subskription wird immer wichtiger", lautet das Fazit von Duncan Jones. "Aber nein, keines der alten Modelle wird sterben."