Dramatischer Wandel im Konzern

Südzucker verschmilzt drei IT-Sorten

30.04.2006
Die französische Saintlouis Sucre, die belgische Raffinerie Tirlemontoise und die deutsche Mutter Südzucker haben seit April eine gemeinsame IT. Keine rein deutsche, französische oder belgische – sondern ein Mix aus allen.

Am Anfang stand die Frage des IT-Vorstands Theo Spettmann: „Welches strategische Ziel hat die Konzernfunktion IT?“ Diese Frage ließ sich nicht einfach mit Ja und Nein beantworten. Sie erforderte, dass sich CIO Karl Schnatterbeck mit seiner IT-Crew zusammensetzte und das Selbstverständnis der IT überprüfte. Parallel dazu brüteten die Brüsseler Landwirtschaftskommissare über einer Reform der Europäischen Zuckermarktordnung – mit dem Ziel, die Zuckerproduktion gemäß einem Urteil der World Trade Organisation (WTO) zu verringern. So viel gilt schon vor der Verabschiedung der Reform als sicher: Preise werden purzeln und Absatzmengen sinken. Das setzte die gesamte Zuckerbranche unter Druck – auch den mit über fünf Tonnen Rüben jährlich europaweit größten Zuckerproduzenten Südzucker.

Schnatterbecks Antwort auf Spettmanns Frage lautete: „IT-Service-Provider für die Gruppe zu sein“.Und damit den Dreh- und Angelpunkt für die IT gedanklich schon mal nach Mannheim zu verfrachten. Gewisse zentrale Angebote wie das Business Information Warehouse und Kunden-Management auf SAP-Basis sowie das ERP-Hosting für Belgien gab es ja bereits.

Seit dem 1. April hat Südzucker ein SAP-Umfeld, das zentral von Mannheim aus betreut und weiterentwickelt wird. Zudem führen die Mannheimer sämtliche Stammdaten der drei größten Gesellschaften innerhalb von Südzucker, der französischen, belgischen und deutschen, zusammen, haben ein gemeinsames Reporting und einen einheitlichen Kostenplan. „Alle zentralen Services laufen in Mannheim“, erläutert Schnatterbeck - „SAP, Mail Exchange, das Wide Area Network und der Windows Terminal Server“. Als vor zwei Jahren feststand, dass der Frage des Vorstands ein IT-Harmonisierungsprogramm folgen würde, herrschte Verunsicherung in den frankophonen Nachbarländern. Klar war, dass Schnatterbeck mit seiner 60 Mann starken IT bestimmen würde, wohin sich die IT bewegt, und sie fürchteten um die Macht ihrer dezentralen Einheiten.

Südzucker-Fraktion mit SAP-Wissen

„Wir haben offen mit den Menschen gesprochen und von Anfang an kein Blatt vor den Mund genommen“, erläutert Schnatterbeck. Der Auftrag hieß Zentralisierung der IT. „Wir haben die Tätigkeitsfelder der IT in Frankreich und Belgien durchforstet und geschaut:Wer macht was?“, so der CIO. Da stellte sich heraus, dass in Mannheim das größte Wissen über SAP herrschte. In Belgien waren fundierte SAP-Kenntnisse nur in den Fachbereichen vorhanden, Frankreich hatte den SAP-Betrieb komplett ausgelagert. Die Anpassung der Software an die individuellen Bedürfnisse der Zuckerfabriken und Standorte beherrschte innerhalb von Südzucker ausschließlich die deutsche Südzucker-Fraktion.

Doch nicht immer setzten sich deutsche Systeme in der Zucker-IT des Gesamtverbands durch. Das Rübenhof- und Fabrikhofsystem etwa stammt aus Belgien. Als zentrales Logistiksystem sorgt es dafür, dass bis zu 12 000 „Lkw-Bewegungen“ pro Tag abgewickelt werden können und es keinen Rückstau auf den Bundesstraßen gibt. Das System erfasst Rüben, identifiziert sie, ordnet sie zu und erfasst ihr Gewicht. Drei deutsche Werke haben die Lösung bereits im Einsatz, und zwei Belgier betreuen jetzt vom Standort Mannheim aus die Systeme. „Es ist wichtig klar zu machen, dass sich die besten Systeme durchsetzen“, kommentiert Schnatterbeck, der zugibt, dass „für jeden Konzernbereich große Überzeugungsarbeit geleistet wurde“.

Competence Center halfen

In Hinsicht auf die Netzwerke im Verbund etwa entschied sich Schnatterbeck sogar, die Dienste in die Hände eines externen Netzwerkdienstleisters zu legen. Diese Sourcing-Strategie war neu. Zuvor lagen die eingesetzten Netzwerke in der eigenen Hand. Jetzt hat sie der Dienstleister Vanco für die gesamte Zuckergruppe übernommen. 24 Prozent an Kosten spart Südzucker seitdem. Ein Argument, das zog.

Bei allem Umgestalten des sieben Milliarden Euro Umsatz starken Konzerns ließ sich diese jedoch nicht allein mit klaren Vorgaben und Direktiven aus dem Vorstand bewerkstelligen. Seit einiger Zeit setzt Schnatterbeck auf so genannte Competence Center – etwa für Netzwerke und für Verzeichnisdienst. Seit dem Startschuss für das Harmonisierungsprojekt sind vier weitere hinzugekommen, darunter eines für Roh-Materialien und für Data Warehouse.

„Die Competence Center helfen den IT-Mitarbeitern, sich auf die Veränderung einzustellen, dass die IT künftig als Service-Provider in der Gruppe auftritt“, meint der gelernte Industriekaufmann Schnatterbeck. „Bepreisung, interne Verrechnung, Service Level Agreements und Security-Guidelines“ gehören ab sofort zum alltäglichen Sprachgebrauch in der IT.

IT-Pionier seit 40 Jahren

Trotz seiner 40 Jahre im Unternehmen sieht sich Schnatterbeck als wendig genug, diese gravierenden Veränderungen anzutreiben. Dabei kommen ihm seine Lebenserfahrung zugute und auch sein Weg bei Südzucker: Nach der Lehre als Industriekaufmann sehnte er sich nach einer Querschnittsfunktion im Unternehmen. „Im Export oder in der Kalkulation arbeiten: Soll es das wirkgewesen lich sein?“, fragte er sich damals. Und wechselte kurz entschlossen zur US Army, die damals, im Jahr 1969, eine Univac im Einsatz hatte - einen Universal Automatic Computer. Damit waren die Amerikaner eine Art Vorreiter in Sachen Informationstechnik. Obwohl damals noch niemand davon sprach. Das Neuland und das Unbekannte reizten Schnatterbeck.

Ein Jahr reichte, um seine Sprachkenntnisse in Englisch auf den Stand zu bringen und in Sachen EDV ganz vorne dabei zu sein. Bei seiner Rückkehr zu Südzucker ein Jahr später stieg er dann in die IT ein, hantierte mit Lochkarten und Tabelliermaschinen.Heute kennt er den Betrieb bis in die entferntesten Winkel der Fachbereiche, ist inzwischen CIO und strukturiert die gesamte IT des Milliardenbetriebs um.

Leute kennen lernen, die fabrizieren

Entgegen kommt ihm, dass er „auf Menschen zugehen kann“, ein Soft Skill, den er sämtlichen Mitarbeitern in der IT abverlangt. „Wir sind ja meist in der Zentrale“, gesteht IT-Chef Schnatterbeck, „doch ist es nötig, die Leute kennen zu lernen, die etwas fabrizieren. Schon allein um deren Forderungen und auch Ängste verstehen zu können.“ Man müsse nachvollziehen können, „was die machen“. Schon seit Jahren schickt Schnatterbeck daher seine Mitarbeiter zu Werksbesuchen ins Magazin der Materialwirtschaft – hautnah vor Ort.

Diese IT-Philosophie vereinfacht der Südzucker-IT nun den Wandel. Natürlich geht es in einen globalen Konzern nicht nur um die IT, sondern auch um die anderen etwa 1700 Mitarbeiter. Seit einem Jahr praktiziert der Südzucker-Vorstand mit ihnen, was Schnatterbeck seit Jahren als Vorgabe für den „Querschnittsbereich IT“ umsetzt. Innerhalb eines „On-Boarding“-Programms treffen sich alle sechs bis acht Wochen jeweils 20 bis 50 Mitarbeiter aus Deutschland, Belgien und Frankreich, um sich über aktuelle Projekte auszutauschen und sich besser kennen zu lernen. Darunter befinden sich auch IT-Mitarbeiter, die sich allerdings bereits seit acht bis zehn Jahren regelmäßig über Security, Netzwerke und SAP austauschen. Möglicherweise das Geheimrezept dafür, dass der CIO den Umbruch ohne größere Blessuren überstanden hat.