Eigentlich nichts Neues: Die Ausgaben der Krankenkassen steigen permanent. Gleichzeitig muss jedoch nach wie vor die gesundheitliche Situation der Patienten ohne Abstriche erkannt und unterstützt werden. Das gilt zum Beispiel für Erkrankungen des Bewegungsapparates, der Atemwege oder des Herz-Kreislauf-Systems. In jedem Fall müssen die tatsächliche Versorgungslage der Versicherten und der jeweilige Interventionsbedarf ermittelt werden. Datenbank-Technologie unterstützt die Krankenkassen bei dieser Aufgabe, zum Beispiel auch die Barmer Ersatzkasse.
Um herauszufinden, für welche Versicherten ein Versorgungsmanagement in Frage kommt, sind komplexe Datenanalysen notwendig. So führt der Anbieter AnyCare (Thieme Verlagsgruppe) unter Anwendung von Sybase-Programmen solche Versorgungsprogramme durch. Laut eigenen Angaben betreut das Unternehmen heute über 80.000 gesetzlich und privat Versicherte deutschlandweit. Im Jahr 2009 analysierte man im Kundenauftrag rund 400 Millionen Datensätze von fast fünf Millionen gesetzlich Krankenversicherten.
Analysen dauerten zu lang
Voraussetzung für solche Analysen ist ein professionelles Management von Massendaten, das man innerhalb von zwei Jahren komplett neu organisierte. Damit ging ein Technologiewechsel einher: Die klassische, relationale Datenbank (Microsoft SQL) wurde durch einen neuen spaltenbasierten Analyse-Server (Sybase IQ) abgelöst.
Mit den steigenden Kundenzahlen nahmen auch die durch Analysen bearbeiteten Datenvolumina zu. Dadurch erhöhten sich wiederum die Laufzeiten der Analysen drastisch. Man versuchte zunächst, die verlängerten Laufzeiten durch Optimierung der vorhandenen Datenbank wenigstens teilweise zu kompensieren. Doch weder verbesserte Abfragen noch Partitionierungen der Datenbestände nach Kassen, Kunden und insbesondere nach Jahresquartalen konnten das Grundproblem lösen.
Es zeigte sich außerdem, dass die bisherige Datenbank einer wichtigen neuen Analyse-Aufgabe nicht gerecht wurde: Zunehmend interessierten sich die Kunden nicht nur für ihre eigenen kassenbezogenen Auswertungen, sondern wollten auch wissen, in welchem Gesamtzusammenhang einer Region oder einer Gesamtmenge ihre Ergebnisse standen. Auf diese Aufgabe war das bisherige System so nicht ausgerichtet: Da bei kassenübergreifenden Fragestellungen mehrere 100 Millionen Zeilen miteinander in Beziehung gesetzt werden müssten, wären die Antwortzeiten viel zu lang gewesen.
Datenbank und Business Intelligence für bessere Versorgung
Daher wurden Anfang 2009 die Microsoft Office Tools gegen die BI Data Mining Software RayQ von Qyte ausgetauscht. Diese Lösung versprach mehr Flexibilität bei Datenanalysen und der Entwicklung aussagekräftiger Prognosen und Potentialanalysen. Die Implementierung der Lösung vereinfachte die wichtigen Prozesse vom Import und der Prüfung von Kundendaten bis zum Reporting der Analyse-Ergebnisse.
Die Kombination aus Sybase- und Qyte-Software weist verschiedene Vorteile auf: "Uns überzeugte an Sybase IQ vor allem die Perspektive sehr kurzer Antwortzeiten auch bei Analysen großer, unaggregierter Datenmengen", berichtet Holger Weiß von AnyCare. Bei alternativen Lösungen wären die erwarteten kurzen Laufzeiten nur durch erheblichen Mehraufwand und höhere Kosten erreichbar gewesen.
Auch eine neue Version (RayQ Power Edition) der Data-Mining-Software sollte ihren Beitrag zur schnellen Untersuchung von Massendaten leisten: Sie versprach einen neuartigen Ansatz, Abfrageergebnisse als "Views" in den hochkomprimierten Daten in Sybase IQ zu bilden. Dadurch entfallen zeitaufwändige Komprimierungen und Dekomprimierungen von Daten. So reduziert sich der Datenaustausch zwischen Datenbank und Analyse-Werkzeug auf ein Minimum.
Das Spaltenformat von Sybase IQ sorgt dafür, dass jedes Datenfeld einzeln gelesen werden kann. Dadurch greifen Analysen exakt auf die Daten zu, die im konkreten Fall relevant sind. Im Unterschied zu konventionellen Datenbanken ist es nicht nötig, vorab Indizes zu definieren und zu pflegen, um SQL-Abfragen zu unterstützen.
Die Query-Engine verwendet darüber hinaus feldübergreifende Indizes (Gruppen, Sort- und Join-Operationen) und kombiniert diese für effiziente Abfragen. Außerdem entfällt die ansonsten nötige Datenaggregierung. Man kann so ohne Einschränkungen exakt auf die Gesundheitsdaten in der Datenbank zugreifen, die für bestimmte Analysen benötigt werden. Fachabteilungen können auf diese Weise grundsätzlich alle Daten miteinander in Beziehung setzen.
Cloud-Angebot für Krankenkassen
Genau besehen handelt es sich bei dem Ansatz von AnyCare/Thieme um ein Service- oder Cloud-Angebot. Die Datenanalysen stehen im Zentrum der Leistungen für Datenmanagement, die man den Krankenkassen unter seinen Kunden anbietet. Ganz am Anfang geht es jedoch um die Beschaffung der Kundendaten, die in die Datenbank übernommen werden sollen. Zunächst erhält man vom Auftraggeber freigegebene Daten aus dessen Rechenzentrum. Dabei handelt es sich um pseudonymisierte und anonymisierte Daten, wie es das Bundesdatenschutzgesetz vorschreibt. Einzelangaben können daher nicht bestimmten natürlichen Personen zugeordnet werden.
Der Anbieter kontrolliert bei jedem Kundenauftrag, ob die von der Krankenkasse gelieferten Daten die erwartete Zusammensetzung und Qualität aufweisen. Dafür werden die von Qyte entwickelten Prüfungs- und Plausibilitätsroutinen verwendet. Später beim Kunden präsentierte Ergebnisse dürfen auf keinen Fall auf Auswertungen falscher oder unvollständiger Daten basieren.
Die neuen Analyse-Werkzeuge bringen auch Licht in bis dato unbekannte Zusammenhänge innerhalb des Datenbestandes. So können die Analysten von AnyCare laut eigenen Angaben "intuitiv" - das heißt ohne vorherige Hypothesen-Bildung - Daten untersuchen. Das ermöglicht ihnen, neue Erkenntnisse zu gewinnen - nicht nur für die Umsetzung bestehender Betreuungsprogramme, sondern auch für die Entwicklung neuer Versorgungsansätze und Leistungsangebote für die Krankenkassen.
Außerdem erleichtert die neue Analyse-Umgebung betriebswirtschaftliche Analysen: Diese sollen Krankenkassen beispielsweise helfen, ihren Deckungsbeitrag positiv und nachhaltig zu beeinflussen. So können kundenindividuelle Potentiale für Effizienzsteigerungen, Kostensenkungen, Einnahmensteigerungen und verbesserte Kundenbindung ermittelt werden.
Ein aktuelles Beispiel hierfür ist das Versorgungsmanagement im Bereich von Depression und Burn-out. Bereits seit 2006 bietet man ein individuelles, modulares Betreuungsprogramm an. Dies basiert auf den drei telemedizinischen Säulen: Telefonie, Information und gesteuerte Vor-Ort-Intervention. Allein in den vergangenen zwei Jahren konnten über 4.000 Versicherte aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung mit dem Ziel der Kostensenkung und Kostenstabilisierung bei gleichzeitig angestrebter Kundenzufriedenheit betreut werden.
2208 Euro pro Versichertem gespart
Im Bereich der Kostensenkung konnten so binnen eines Jahres die Leistungsausgaben um 21 Prozent reduziert werden - vornehmlich im Bereich stationärer Krankenhausaufenthalte und Krankengeld - sowie Krankentagegeldzahlungen. Absolut betrachtet entsprach dies im ersten Jahr einer Ersparnis von durchschnittlich 2208 Euro pro teilnehmendem Versicherten.