Johannes Helbig

Systematisch auf dem Weg ins Web

25.11.2010 von Heinrich Vaske
Der CIO des Jahres 2010, Johannes Helbig, findet die gute alte Post auf ihrem Weg ins digitale Business alles andere als "behäbig".
CIO des Jahres 2010, Johannes Helbig, kann auf ein Jahr voller Herausforderungen zurückblicken.
Foto: J. Wendler

Im Rückblick: Was war die größte Herausforderung für die IT-Organisation im Zusammenhang mit der Einführung des E-Postbrief?

Helbig: Da ist zunächst die rein technische Herausforderung. Ein System mit solch hohen Anforderungen an Sicherheit, Skalierbarkeit und Stabilität zu bauen, ist nicht trivial. Das Ganze muss ja für den Benutzer bedienbar sein und als Massenprodukt taugen - das war technisch eine spannende Herausforderung. Allein durch die hohen Sicherheitsanforderungen bekamen wir eine zusätzliche Komplexität um den Faktor zehn hinein.

Durch den hybriden Ansatz müssen wir den E-Postbrief außerdem in die Flächenprozesse der Briefpost integrieren. Wir hatten also nicht nur ingenieursmäßig, sondern auch operativ herausfordernde Aufgaben zu lösen. Und schließlich bewegen wir uns plötzlich in völlig neuen Märkten. Das ist echtes Business-Building in einem innovativen Marktumfeld.

Gab es eine Einstellungsoffensive mit neuen Fachkräften?

Helbig: Nein. Es ist illusorisch zu meinen, man stellt ein paar Hundert Leute ein und der Transformationsprozess läuft von selbst. Das Spannende an dem Übergang ist, dass sie aus der bestehenden Organisation heraus geführt wird. Das ist eine beträchtliche Herausforderung für eine solch große, etablierte Organisation wie die Deutsche Post. Marketing-, Vertriebs-, Produktions- und IT-Vorstände - alle müssen den Spagat schaffen, in einer neuen geschäftlichen Dimension zu denken.

Worin liegt das Alleinstellungsmerkmal der E-Briefpost?

Helbig: Im Sicherheitsniveau und im hybriden Ansatz. Bei den Wettbewerbern, die ich sehe, kann ich im Moment nicht erkennen, wie eine geschlossene sichere Prozesskette, die den Papierbrief mit umfasst, zustande kommen soll.

War es nicht schwierig, in einem behäbigen Großkonzern wie die Post eine solche Transformation auf den Weg zu bringen?

Helbig: Nachdem wir das Commitment des Top-Managements hatten - das erfordert natürlich immer und zu Recht Überzeugungsarbeit -, haben wir große Unterstützung und Freiheiten erhalten. Wir konnten praktisch mit der Geschwindigkeit und Schlagkraft eines Startups agieren.

Übrigens, ihr Bild der "Behäbigkeit" teile ich nicht. Die Post mag nach außen konservativ wirken, weil sie ein sehr etabliertes und wertbeständiges Produkt anbietet. Aus der Innenperspektive erlebt man unsere Managementkultur als sehr dynamisch und innovativ.

Am Ende geht es um nicht weniger als einen Kulturwandel, den Jürgen Gerdes hier zum Ziel gesetzt hat. Wir stehen ja erst am Anfang, das darf man nicht vergessen. Was die E-Projekte bisher fokussiert vorleben konnten, gilt es nun in den nächsten Jahren zum festen Bestandteil der DNA der gesamten Organisation zu machen.

Lässt sich nach heutigem Stand sagen, wo Sie stehen? Der E-Postbrief bedeutet ja ein enormes Risiko für den Konzern.

Helbig: Von der Marktakzeptanz her sind unsere positivsten Erwartungen übertroffen worden. Wir sind sicher, dass wir mit verbindlicher, sicherer elektronischer Kommunikation einen Nerv getroffen haben. Da gibt es eine klaffende Lücke, die gefüllt werden muss. Natürlich entscheidet am Ende der Markt, wie schnell das gelingt.

Arbeitet derzeit nicht jede Post auf der Welt an einem E-Postbrief?

Helbig: Man sieht bei vielen Postgesellschaften inzwischen ähnliche Produkte und Bestrebungen. Wir haben aber den Eindruck, dass es wenige so konsequent und mit einem solch umfassenden strategischen Ansatz verfolgen wie wir.

Mit dem E-Postbrief bringen wir unser Kernprodukt ins Internet. Für unsere Geschäftskunden bedeutet das mehr Prozess-Effizienz, für unsere Privatkunden mehr Convenience. Aber das Kundenversprechen der Sicherheit, für das wir mit unserer Marke stehen, bleibt erhalten. Deshalb kostet der E-Postbrief auch Porto: wir wollen unseren Kunden ein transparentes Geschäftsmodell anbieten, keines, das auf intransparenter Weiterverwendung von Kundendaten oder Nutzerverhalten basiert. Im Prinzip erweitern wir nur unseren postalischen Versorgungsraum in die digitale Welt.

Parallel dazu werden auch unsere anderen Geschäftsfelder systematisch ins Internet erweitert. Im Dialogmarketing werden wir die Brücke zwischen der physischen und der Online-Welt schlagen; die jüngste Akquisition von Nugg.ad macht das deutlich. Das Paketgeschäft erweitern wir konsequent um E-Commerce-Lösungen, sowohl für Händler als auch für Käufer. Allesnebenan.de wird gerade gelauncht.

Sie brauchen Know-how in den Bereichen, E-Mail, Security, Micropayment, Archivierung etc. Mir ist nicht aufgefallen, dass Sie hier zugekauft hätten.

Helbig: Wir wollen das Rad nicht neu erfinden. Unsere Aufgabe besteht darin, vorhandene Technologien massenprodukttauglich verfügbar zu machen. Wir wollen sie so einsetzbar machen, dass alle Menschen sie ohne großen Aufwand nutzen können. Es ist nicht unser Ziel, beispielsweise in der Sicherheitstechnik neue Algorithmen zu entwickeln.

Der E-Postbrief bietet ähnlich wie etwa der neue Personalausweis oder De-Mail eine Herausforderung für Hacker in aller Welt. Wie geht die Post damit um?

Helbig: Wir haben hier einen ganz neuen Weg eingeschlagen. Wir wollen die Hacker-Community direkt in unseren Sicherheitsprozess einbinden. IT-Security ist immer ein Wettrüsten. Niemand kann sich auf seinen Lorbeeren ausruhen und sagen: mein Produkt ist für alle Zeiten unangreifbar. Das ist nicht glaubwürdig. Unser Kundenversprechen dagegen lautet: Jede neue Angriffsform wird von uns pariert, bevor sie ausgenutzt werden kann. Es gibt viele "White Hat"-Hacker, die mit ihrer Arbeit nicht destruktiv sein, sondern Produkte sicherer machen wollen. Mit unserem Security Cup, einem Wettbewerb, der neue Angriffsformen prämiert, geben wir dieser Community ein Format, um unsere Kunden zu unterstützen.

Sie sagen, bei der Post sei die IT selbst zum Produkt geworden. Sehen Sie darin einen grundsätzlichen Trend in allen Unternehmen?

Helbig: IT ist sicher in den letzten Jahrzehnten immer wichtiger geworden. Das klingt erst einmal banal, aber man muss sich das Ausmaß vor Augen halten, in dem IT zur Zeit ganze Geschäftsmodelle und Industriestrukturen verändert. Denken Sie an Ihre eigene Industrie, das Verlagswesen, oder an die Art, in der Unternehmen wie Amazon den Handel verändern. Die Unternehmen, die IT verstehen, geraten in eine bessere Wettbewerbssituation. Und immer öfter wird IT selbst zum differenzierenden Produktbestandteil oder, wie beim E-Postbrief, zum Produkt selbst.

Deshalb ist ja übrigens auch der CIO bei der Post schon Mitglied des Bereichsvorstands. Er ist eben nicht irgendwo am Finanzvorstand aufgehängt, sondern Teil des strategischen Teams.

Müssten sich nicht eigentlich die Fachabteilungen um solche Themen kümmern?

Helbig: Transformation bedeutet ja gerade, dass ein Teil des Geschäfts zum IT-Geschäft wird, und ein Teil der IT selbst zur Fachabteilung. Jürgen Gerdes hat mal zutreffend gesagt: Wir sind im Grunde ein IT-Unternehmen mit angeschlossener Zustellung. Das ist genau das, was entsteht.

IT hat sich in den letzten 30 Jahren extrem gewandelt und dieser Prozess ist nicht abgeschlossen. Das ist eine gute Nachricht für alle, die IT zu ihrem Beruf gemacht haben oder gerade vor der Berufsentscheidung stehen, also insbesondere viele der Leser dieser Zeitschrift. Ihre spezifische Kompetenz und ihr Beitrag werden wichtiger, ihr Können gefragter, ihre Rolle strategischer!