Der vielzitierte War for Talents ist in vollem Gang, demografische Verschiebungen führen zu Engpässen beim Nachwuchs, und die Digitalisierung sorgt dafür, dass sich die beruflichen Aufgaben in hoher Geschwindigkeit verändern. Viele HR-Abteilungen haben die Zeichen der Zeit erkannt und stellen sich, unterstützt durch neue Tools und Dienste, neu auf, um den Herausforderungen gerecht zu werden. Sie richten Lernplattformen ein, setzen sich mit fortgeschrittenen Formen der Team-Collaboration auseinander, verbessern ihre Feedback- und Vergütungssysteme und sorgen dafür, dass sich die Mitarbeiter in ihrem moderneren, oft weniger hierarchischen Arbeitsumfeld wohlfühlen.
Noch lässt sich der Rückstand aufholen
Im Mittelpunkt dieser Transformation stehen digitale Systeme, die letztendlich alle das Ziel verfolgen, Unternehmen beim Finden und Halten von Talenten bestmöglich zu unterstützen. Bain & Co. hat 500 HR-Verantwortliche in den USA, Großbritannien und Deutschland befragt, ob und in welchem Ausmaß sie die digitalen Potenziale im HR-Bereich ausschöpfen. Viele Personalbereiche sind demnach bei weitem nicht auf dem neuesten Stand, doch die Berater halten das für keinen Beinbruch. Der Rückstand sei noch gut aufzuholen.
In der Umfrage sagen 87 Prozent, die Digitalisierung werde ihren Personalbereich fundamental verändern. Drei von vier Befragten stellen jedoch fest, dass die eigenen IT-Systeme und -Technologien den neuen Herausforderungen noch nicht gewachsen sind. Immerhin 57 Prozent der Personaler wollen deshalb ihre IT-Budgets in den kommenden zwei Jahren um bis zu zehn Prozent aufstocken, 25 Prozent planen sogar noch mehr zu investieren.
Mehr Geld für HR-Systeme
Große Begehrlichkeiten wecken dabei Plattformen für das Einstellungsmanagement, die Analyse von Personaldaten sowie "Micro-Learning-Systeme", um die Mitarbeiterfortbildung in kleinen, leichtverdaulichen Einheiten zu unterstützen. Cloud Computing hat sich schon recht ordentlich etabliert, 84 Prozent der großen Unternehmen wenden wenigstens eine SaaS-Lösung im Personalbereich an.
Laut Umfrage haben auch Technologien der Künstlichen Intelligenz - von Robotic Process Automation (RPA) über Machine Learning (ML) bis hin zu Natural Language Processing (NLP) - Einzug in erste HR-Abteilungen gehalten. Beispielsweise finden Personaler mit ML-Algorithmen heraus, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass wichtige Mitarbeiter kündigen werden. Die Vorhersagen sollen bis zu 17 Mal so präzise sein, wie alle zuvor genutzten Methoden.
Die Hotelkette Marriott nutzt den Chatbot "MC" für die Kontaktaufnahme mit potenziellen Bewerbern, die sich über den Facebook Messenger melden. Der Bot beantwortet typische Fragen und gleicht die Interessen und Vorstellungen des Kandidaten mit den offenen Positionen, aber auch mit der Unternehmenskultur und den Werten von Marriott ab. Den Hoteliers zufolge meldet sich gut die Hälfte der Kontakte später noch einmal, um weiterführende Gespräche zu führen. Auch Johnson & Johnson, Atlassian und Twitter verwenden laut Bain intelligente Sprachassistenten, um den Einstellungsprozess für die Bewerber attraktiver zu gestalten.
Screening der Kandidaten mit KI
Bei der Rekrutierung von Talenten hilft manchen Nutzern auch ein KI-gestütztes Screening der Kandidaten. Es soll den Prozess erheblich verkürzen - bei Unilever angeblich sogar um 75 Prozent. Etwa die Hälfte der Befragten beschäftigt sich in mindestens einem HR-Prozess mit RPA (siehe FAQ), in zwei Jahren soll das schon bei 74 Prozent der Fall sein.
Bain hält viel von RPA und maschinellem Lernen, empfiehlt den Unternehmen aber, zuerst ihre grundlegenden Geschäftsprozesse, Daten und Systeme in Ordnung zu bringen und zu standardisieren, bevor sie den Einsatz solcher Tools planen. Die Automatisierung berge sonst hohe Risiken, und es könne nicht im Interesse der Unternehmen liegen, automatisch erstellte Jobangebote zu lancieren, die in erster Linie Fragen aufwerfen, anstatt High Potentials anzusprechen.
Das gleiche gilt für Machine Learning: Lebensläufe aus einem großen Bewerberpool automatisiert zu prüfen, sei zwar in hoher Geschwindigkeit und Exaktheit möglich, doch der Algorithmus sei nur so gut wie die Qualität der zugrundliegenden Daten. Um Bewerbungen genauso gut zu sortieren wie ein menschlicher Personalvermittler, brauche maschinelles Lernen ein großes Datenvolumen. Hinzu komme die Gefahr der Fehlsteuerung: Falsch trainiert, übernehmen ML-Systeme auch die Muster schlechten menschlichen Verhaltens. Data Governance und Qualität sind also entscheidend, wenn der Algorithmus einen Nutzen haben soll.
Bain geht davon aus, dass die KI-Initiativen der Personalbereiche noch ganz am Anfang stehen. Im Recruiting-Prozess könne etwa anhand der Auswertung von Social-Media-Daten oder Webseiten-Besuchen effektiver nach Kandidaten mit den richtigen Fähigkeiten gesucht werden. Selektions-Tools trügen außerdem dazu bei, Lebensläufe und Anschreiben zu analysieren. Bewerbervideos ließen sich auf Mimik, Intonation und Wortwahl analysieren.
Besseres Personalmanagement durch Algorithmen
In der Personaleinsatzplanung können Unternehmen laut Studie - algorithmisch unterstützt - ideale Teams zusammenstellen, so dass von Anfang an komplementäre Skills und optimal zusammenpassende Persönlichkeitsmerkmale garantiert sind. Je nach Anforderungen und Markttrends, aber auch nach den Eigenheiten der Mitarbeiter lassen sich zudem individuelle Personalprofile erstellen und hinterlegen. Die Analyse von Daten wie Gehaltsentwicklung, Projektarbeit und Erfolge erlauben Rückschlüsse darüber, ob Talente möglicherweise ihren Abgang vorbereiten.
Im Performance-Management, wo die richtigen Rahmenbedingungen für Höchstleistungen geschaffen werden sollen, können geeignete Metriken - beispielsweise individuelle Zielvereinbarungen - definiert werden. Auch lassen sich im Bereich Fortbildung Skill-Lücken und Trainingsbedarf frühzeitig aufdecken.
Das alles hört sich gut und fortschrittlich an, de facto nutzen aber HR-Abteilungen oft noch manuelle sowie papier- oder Excel-basierte Tools für viele Prozesse. Laut Bain wird sich das in den nächsten beiden Jahren ändern. Digitale Prozesse gewinnen die Oberhand - gerade im Recruiting und Karrieremanagement, wo heute der Anteil manueller Tätigkeiten noch recht hoch ist. 78 Prozent der Personaler erwarten, dass sie maschinelles Lernen bis Ende 2020 in mindestens einem Personalprozess einsetzen werden.
Bevor digitale Technik die Personalarbeit verbessert, gehen viele Personaler allerdings erstmal von einer Verschlechterung aus. Ursachen dafür sind der Einsatz von zu vielen nicht integrierten Tools, wenig intuitive Benutzeroberflächen und Werkzeuge, die am Ende nicht halten, was die Anbieter versprochen haben. Die Umfrage zeigt, dass ein erheblicher Teil der HR-Verantwortlichen kein Interesse an weiteren Stand-alone-Tools oder selbstentwickelten Lösungen hat. Lieber wird dem eingesetzten oder anzuschaffenden HR-Management-System vertraut, das mit immer neuen Releases und Zusatzprodukten nach und nach die gewünschte Funktionalität mitbringen soll.
Die Anforderungen an solche Systeme sind gestiegen, wollen die Personalabteilungen damit doch inzwischen weit mehr erreichen als die Kosten zu senken und die Produktivität zu steigern. Es geht darum, die bestmöglichen Mitarbeiter zu finden und zu halten, den Personaleinsatz optimal zu planen, die Karrierewege für High Potentials zu optimieren, die Ziele der Mitarbeiter bestmöglich zu definieren und eine hohe Qualität beim Einstufen und Beurteilen der Beschäftigten zu erreichen.
Ford unterhält ein "People Lab"
Wichtig ist darüber hinaus, das Personal auf eine zeitgemäße Weise bedienen zu können. Bain nennt das Beispiel Ford: 2016 hat der Autobauer sein Programm "HRRev" eingeführt mit dem Ziel, alle Personalprozesse digital zu unterstützen. Ein mit sieben Personen besetztes "People Lab" machte sich daran, ausgehend vom zuvor eingeholten Mitarbeiter-Feedback die Abläufe zu verbessern. So entstanden etliche digitale Initiativen, jede Menge nutzerfreundliche Tools wurden eingeführt. Gleichzeitig ermöglichte Ford den Beschäftigten die Echtzeitkommunikation mit der Personalabteilung auf verschiedenen Kanälen.
Auch Google unterhält ein People Lab, das sich allerdings vor allem mit Analytics beschäftigt. Das Team soll die Entscheidungsprozesse im Personalbereich ständig optimieren. Angesichts der Fülle an eingehenden Bewerbungen muss Google beispielsweise Wege finden, um die geeigneten Kandidaten für ein Vorstellungsgespräch mit vertretbarem Aufwand zu selektieren. Analysiert wird auch, welche Team- und Abteilungsgrößen optimal sind, wie sich negative Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb durch Mutterschaftsausfälle vermeiden lassen oder wie unter den Millionen Bewerbern die besten herausgefiltert werden können.