AIRLINE-KUNDEN SIND gewandte Mediennutzer, informations- und preisorientiert. Ihre Ansprüche an Service-Qualität und -Geschwindigkeit sind hoch: Wer viel Geld für Speed in der Luft ausgibt, will am Boden keine Zeit vertrödeln, bevor es heißt: „Cabin attendants: all doors in flight!“
Monika Lange gehört zu den ganz Anspruchsvollen. Die Vielfliegerin erwartet neben Pünktlichkeit und Flugkomfort zahlreiche Dienstleistungen wie Angaben über rabattierte Verbindungen und Upgrade-Möglichkeiten, ein Hotel am Zielort, Mietwagen am Gate und perfekt organisierte Trips. Sämtliche Informationen müssen überall zur Verfügung stehen: am Büro-PC, auf dem Handy-Display und über intelligente, interaktive Info-Terminals natürlich auch am Flughafen.
Wie gut, dass die Dame bisher nur virtuell existiert – als anspruchsvollste anzunehmende Kundin im E-Business-Szenario der Lufthansa. Für sie müssen Daten und Anwendungen strammstehen. Gäbe es Monika Lange nicht, hätte Christoph Ganswindt nicht das Projekt „Enterprise Application Integration“ auf der To-do-Liste.
Der 38-jährige Elektrotechnik-Ingenieur hat im Mai 2001 den IT-Chefsessel bei Viag Interkom mit dem Job bei der Lufthansa getauscht und ist dort seit Jahresbeginn als Senior Vice President verantwortlich für Information Management und Customer Relationship Management. „Meinetwegen kann man mich auch CIO nennen“, sagt Ganswindt, dessen Vorgänger, Ricardo Diaz-Rohr, just diesen Titel trug; jetzt ist er CIO bei Lufthansa Cargo. Und Ganswindt macht in EAI: die Harmonisierung der IT bei Lufthansa Passage mit (laut einer Erhebung von 1998) 62 Inselsystemen. Als Linienverantwortlicher für die IT aller Vorstandsressorts sitzt er auf einem Budget in „dreistelliger Millionen-Euro-Höhe“. Alles für Frau Lange, oder, mit Ganswindts Worten: „Der Innovationsmotor für EAI ist das Customer Relationship Management.“
Seit 1996 präsentiert die heute 360 Mann starke ITAbteilung des Konzernbereichs Passage die Kranich-Linie im Internet. Fünf verschiedene Transaktionen können Lufthansa-Kunden auf dem „Infoflyway“ erledigen, mit hohem Integrationsaufwand auf IT-Seite: Flugplanabfragen landen beim internen Reservierungssystem, Buchungen beim weltweiten Computer-Reservierungssystem Amadeus. Beim Check-in per Web oder Mobilgerät kommt das Check-in-System ins Spiel, das aus der operativen Flugdatenbank Informationen darüber beschafft, ob der Flug pünktlich ist und an welchem Gate der Einstieg erfolgt. Für Statusabfragen und das Einlösen von Bonusmeilen, ebenfalls online möglich, greift der „Infoflyway“ auf die Kundendatenbank zurück. Hier können sich die Flugreisenden auch mit individuellen Profilen (Gang- oder Fensterplatz etc.) registrieren oder diese aktualisieren.
An allen Prozessen sind Systeme beteiligt, die lange vor dem Internet existierten, darunter Hard- und Software aus dem EDV-Vermächtnis (Legacy) der Sechziger- und Siebzigerjahre: etwa IBMs großrechnerbasiertes Transaktionssystem TPF oder die Unisys-Oldies OS 1100 und 2200. „An diesen Systemen kommt man nicht vorbei, weil die ganze Airline-Industrie damit arbeitet“, so Diaz-Rohr. Keine große Airline habe für Reservierung und Check-in ein modernes Client Server System.
Das macht es notwendig, moderne Entwicklungsprinzipien zu verletzen. „Single source, multiple output“ zum Beispiel, die vielfache Verwendung einer zentralen Datenbasis, wird beim Screenscraping ignoriert. Daten aus Großrechneranwendungen werden vor der Weiterverarbeitung maschinell vom Terminal-Bildschirm gelesen, weil alte Software oft keine Schnittstellen bietet.
Sollen Passagiere per SMS über eine Verspätung informiert werden, rollt eine Lawine an: Aus der operativen Flugdatenbank kommt die Verspätungsnachricht; aus dem Check-in-System müssen die gebuchten Kunden herausgesucht werden; deren Identifikatiosnummer kommt aus dem Reservierungssystem; dort wiederum fehlt die Handy- Nummer, weil die bei der Buchung nicht erfasst wird; also muss sie aus der Datenbank mit den Kundenprofilen gesucht werden. „Bei einem verspäteten Transatlantikflug mit 350 Passagieren fallen über 1000 Transaktionen an“, bilanziert Ganswindt.
Eine „Service-orientierte IT-Architektur“ soll die Abläufe um ein Vielfaches beschleunigen. Dazu werden alle Anwendungen in „Domains“ wie Vertrieb und Marketing eingeordnet und innerhalb dieser gekapselt. Eine Integrationsschicht stellt die Kommunikation über die Grenzen hinweg sicher. Systementwicklungen folgen einem „Architectural Blueprint“, in dem fünf Entwicklungsschichten definiert sind: von den Informationszugriffen („Data Access“) über die Domain Services (wer ist wofür zuständig?), den „Presentation Tool Layer“ und die Informationskanäle Telefon, E-Mail, Web etc.) bis hin zu diversen Benutzeroberflächen für Firmen- und Endkunden, Ticketautomaten, die Partner in der Star Alliance und die Reisebüros.
120 Mannjahre rechnet Ganswindt für die Integration; rund ein Zehntel sei erledigt. Bis Ende des Jahres soll die Integration der Kunden-Stammdaten, die auf einer Unisys- Maschine residieren, abgeschlossen sein – für den CIO ein „existenzkritischer Projektabschnitt“. Massiv zum Einsatz kommt dabei die EAI-Lösung von Bea, aber auch Suns I-Planet. „Der Tool-Einsatz wird sich auf höchstens drei strategische Werkzeuge beschränken“, plant Ganswindt.
Um die Wirtschaftlichkeit eines EAI-Projekts nachzuweisen, brauche man einen stramm durchgerechneten Business-Case und einen „langen Atem“, so Ex-Passage- CIO Diaz-Rohr. Seinem Nachfolger ist das bewusst: „Das Projekt soll Ende 2004 oder Anfang 2005 abgeschlossen sein und gleichzeitig „den Nachweis erbracht haben, dass es sich rechnet“.