Technologie fasziniert - und ist den meisten Menschen in den meisten Fällen doch ziemlich egal. Was sie interessiert und leidenschaftlich bewegt, sind die Ergebnisse von Technologie, nicht aber, auf welchem Wege sie zustande kommen. Wir glauben uns von Technologie umzingelt, und schauen doch nur durch einen winzigen Schlitz auf das Universum von Technik. Smartphone, Tablet, Computer, Fernseher, Spielekonsole - das nehmen wir bewusst wahr.
Unsichtbar aber bleibt das Gebirge technischer Anwendungen, die hinter den ungezählten Wundern unseres täglichen Lebens stehen. Clouds sehen wir ebensowenig wie 5G, mRNA-Technologie, neue Produktionsverfahren oder effizientere Methoden der Lagerhaltung, Energie-Erzeugung, Ressourcenschonung oder Logistikoptimierung. Die wahren Wunder finden hinter den Kulissen statt.
Ich wette, dass Technologie in fünf Jahren noch wichtiger, zugleich aber noch unsichtbarer als heute sein wird. Technologie erreicht ihren größten Nutzen dann, wenn sie maximal hinter den Anwendungen und Systemen verschwindet, die sie ermöglicht.
Technik steht im Hintergrund
Warum ist das so? Weil Menschen sich ein natürliches Leben wünschen. Die tiefen und engen Beziehungen gehen sie nicht zu ihrem Smartphone oder ihrer Spielekonsole ein, sondern zu ihren Eltern und Kindern, Geschwistern und Nichten, Freundinnen und Freunden, Kolleginnen und Kollegen, zur Natur und zu Tieren. Und zuallererst zu sich selbst. Im Mittelpunkt des Menschen stehen der Mensch und seine Umwelt.
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Das hat zur Folge, dass Konsumenten das meiste Geld und die meiste Zeit dafür ausgeben, im Einklang mit sich, ihrer Familie, ihren Freunden und ihrer Umwelt zu leben. Technologie ist dort am erfolgreichsten, wo sie sich in den Dienst dieser Bedürfnisse stellt und wo sie der Versuchung widersteht, sich selbst in den Vordergrund zu spielen.
Technologie begleitet das Leben von Menschen idealerweise so, wie gute Filmmusik einen Film. Filmmusik begleitet einen Film, darf sich jedoch niemals über ihn legen. Sie ist eine unverzichtbare Nebensache, aber niemals die Hauptsache. Technologie ist der Soundtrack zu unserem Leben, nicht aber das Leben an sich.
Neue Aufgaben für den CIO
Was bedeutet das für die Arbeit von Unternehmen und für das Wirken von CIOs und CDOs? Es bedeutet, dass unsere Aufgabe als CIO/CDO darin besteht, das Leben von Menschen reichhaltiger und sinnvoller auszugestalten, die technischen Mittel dazu aber möglichst vollständig vergessen zu lassen. So wie man bei einem guten Magier nur den Effekt des Tricks sieht, nie den Trick selbst, so streben wir danach, dem Leben mehr Schönheit, Glück und Sinn zu verleihen, die dazu notwendige Technologie jedoch hinter den Kulissen verschwinden zu lassen.
Ich wette, dass die erfolgreichsten Champions des Jahres 2027 solche Unternehmen sein werden, denen das am besten gelingt.
Was gibt uns Anlass, an diese These zu glauben? Bereits heute sind die Fakten unübersehbar. Einige Beispiele:
85 Prozent der Befragten in der US-amerikanischen Generation Z geben an, dass Marken für mehr stehen sollten als nur Profit (Wunderman Thompson Survey).
80 Prozent der Generation Z fordern, dass Marken das Leben der Menschen verbessern sollten (Wunderman Thompson Survey).
81 Prozent der Millennials erwarten von Unternehmen, dass sie einen nachhaltigen Zweck erfüllen.
73 Prozent der Millennials sind mittlerweile bereit, für nachhaltige Produkte mehr Geld auszugeben.
Bereits 20 Prozent der US-Konsumenten kaufen Lebensmittel direkt beim Produzenten (Direct-to-Consumer). Als wichtigste Gründe geben sie an: bessere Qualität, bessere Auswahl, besserer Service, Personalisierung, Zugehörigkeitsgefühl zu einer starken Gemeinschaft.
78 Prozent aller Konsumenten möchten personalisierte Produkte empfohlen bekommen.
Zu beobachten ist ein fundamentaler Wandel des Zeitgeistes. In den 1950er- bis 1970er-Jahren galt technische Machbarkeit als hinreichender Grund für die Umsetzung. Staudämme am Nil wurden gebaut, weil sie baubar waren und weil Strom benötigt wurde. Das reichte als Grund völlig aus. Die Protestbewegungen der späten 1960er-Jahre konnten diese Grundüberzeugung nicht brechen, sondern fügten ihr lediglich eine selbstkritische Komponente hinzu. "Homo Faber", der berühmte Roman Max Frischs, gab dieser Epoche ihre Fabel und Leitfigur.
Kolonisierung des Cyberspace
Nach dieser Phase brach die Ära der Digitalisierung an. Mit der Demokratisierung des Zugangs zu Computern in den 1980er-Jahren und der Erfindung des World Wide Web in den 1990ern bis hin zur Gegenwart war die Menschheit vor allem mit der Kolonisierung des Cyberspace beschäftigt. Wie bei jeder Kolonisierung ging es dabei in erster Linie darum, die weißen Flecken auf der Landkarte zu füllen. Auch das reichte als Grund fürs Erste vollständig aus. Der Cyberspace wurde besiedelt, einfach, weil er da war. Mehr Reflektion war nicht vonnöten. Edmund Hillarys Diktum war die Losung einer ganzen Zeit: "Den Mount Everest besteige ich, weil er da ist."
Inzwischen ist der Cyberspace weitgehend bevölkert. Einzelne Flecken sind zwar noch unbewohnt, und manche Ländereien können vielleicht noch zusätzlich entdeckt werden, doch im Großen und Ganzen geht es uns jetzt wie den Mayflower-Siedlern und ihren Kindeskindern, nachdem sie bis nach Kalifornien gezogen waren und sich den ganzen nordamerikanischen Kontinent von der Ost- bis zur Westküste unterworfen hatten. Das fragten sie sich: "Und jetzt? Was machen wir als nächstes?"
Genau diese Frage stellt sich jetzt auch uns. Und genau wie damals die Siedler am Ende der Besiedlung geben wir eine vergleichbare Antwort: "Lebensqualität". Um die Steigerung der Lebensqualität soll es als nächstes gehen.
Es geht um Lebensqualität
Hierbei handelt es sich um eine geschichtliche Konstante. Nach der Periode des Geländegewinns und räumlichen Ausdehnung ging es in der darauffolgenden Phase fast immer um die Steigerung der Qualität. Darum, das Leben zu verbessern und zu bereichern.
Was bedeutet diese Lebensqualität in den Augen unserer Kunden? In erster Linie bedeutet sie die Abkehr von den Zynismen des Industriezeitalters. Zynismus ist ein zentrales Problem, mit dem wir uns beschäftigen müssen, um die Anforderungen der kommenden Jahre zu verstehen. Uns sollte es darum gehen, den Verdacht des Zynismus abzustreifen. Etwas pathetischer könnte man sagen: Es geht darum, den Menschen im Menschen zu erblicken. Das klingt vielleicht etwas esoterisch oder philosophisch, ist in Wahrheit aber äußerst handfest und in höchstem Maße dringlich.
Abkehr vom Zynismus
Was ist gemeint? Warum war das Industriezeitalter zynisch? Zynismus ist eine fast zwingende Folge der Industrialisierung und Massenproduktion. Ihr oberstes Ziel bestand darin, die höchstmögliche Anzahl von Gütern zu geringstmöglichen Preisen herzustellen. Zweck war es, die materiellen Bedürfnisse des Lebens so gut wie möglich zu erfüllen oder gar überzuerfüllen. Als wichtigste Kenngröße galten die Stückkosten. Denn nur sinkende Stückkosten können den materiellen Wohlstand mehren, ohne mehr Geld zu verschlingen.
Aus dieser Logik ergab sich zwingend das Prinzip der größtmöglichen Gleichheit. Jede Abweichung von der Serie erhöhte die Stückkosten und damit den Preis. Denn wenn die Menschen das Gleiche ausgeben, die Stückkosten aber steigen, dann sinkt der Wohlstand. Kürzer ausgedrückt: Individualität schmälert Wohlstand. Optimiert wurde deswegen auf die Minimierung der Abweichungen von der Norm. Das war die logische Folge. Mathematiker würden sagen: Es ging um die Reduzierung der Varianz, also um die Minimierung des Quadrats der Standardabweichung.
Folgen der Normierung
Übrigens: Aus dieser Logik nahm das Industriezeitalter die Zerstörung der Umwelt billigend in Kauf. Sie passte perfekt zum Ziel der Stückkosten-Minimierung. Natürlich sagt jeder Volkswirt, dass externe Kosten wie Luft, Wasser, Klima, Stau, Waldsterben, Ozonloch, Bodenschätze oder Artenvielfalt internalisiert, also zu Vollkosten mit in die Kalkulation einbezogen werden müssen. Doch jede Internalisierung der Kosten für Gemeingüter erhöht automatisch die Stückkosten. Also lag es in der Logik der Sache, die Internalisierung externer Kosten so lange wie möglich aufzuschieben oder am besten ganz zu vermeiden. Gehandelt wurde meistens nur auf Druck von außen und fast nie aus eigenem Antrieb.
Diese Denk- und Verhaltensweisen sind nur dann nicht zynisch, wenn man die Erfüllung materieller Bedürfnisse als oberstes Ziel des Menschseins gelten lässt. Dafür mag es zeitweise gute Gründe geben, niemals aber auf Dauer. Die Zeiten, in denen diese Logik akzeptiert wurde, enden gerade. Trotzdem ist es wichtig zu verstehen, warum wir so gedacht haben. Der Grund ist zutiefst menschlich. Kulturell ergab er sich aus Hungernöten und Kriegen und in der Nachkriegszeit vor allem aus dem Zweiten Weltkrieg.
Lehren aus der Nachkriegszeit
Fast alle Nachkriegsperioden der Menschheitsgeschichte waren geprägt durch übertrieben materielles Denken. Wer einmal gehungert hat, möchte sich den Bauch vollschlagen und ein Fettpolster anlegen. Fettschichten gelten vielerorts als Sicherheitsreserve für kommende schlechte Zeiten.
Aus der Geschichte wissen wir aber auch, dass jede Hungersgeneration Kindeskinder hervorbringt, die den Hunger vergessen und zum Normalzustand zurückkehren: nämlich der Einsicht, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt und es deswegen auch nicht ausreicht, allein an die Erfüllung materieller Bedürfnisse zu denken. Werte wie Harmonie, Einklang, Rücksicht, Individualität, Glück und Erfüllung gewinnen in dem Maße an Bedeutung wie Hungers- und Kriegsnöte in die Ferne rücken.
Solche Generationen sind jetzt nachgewachsen. Sie interpretieren die Normierungs-Maxime des Industriezeitalters zwangsläufig als zynisch und überholt. Und zwar zu Recht. Denn diese Maxime steht in direktem Widerspruch zur Individualität des Menschen.
Individualität statt Normierung
Wenn der Mensch einzigartig ist - was nicht weniger ist als der Kernsatz aller antiken und westlichen Weltanschauung -, dann kann der Versuch, seine Bedürfnisse zu normieren, damit sie besser ins Stückkosten-Konzept passen, nichts anderes als Zynismus sein. Individualität lässt sich per se nicht mit Normierung vereinbaren. Normierung und Individualität sind immer direkte Gegensätze.
"Warum verlangt die Industrie von mir, dass ich so bin wie alle anderen und genau das konsumiere, was alle anderen auch konsumieren?", fragt man sich heute beispielsweise.
Zynisch wirkt das vor allem deswegen, weil die Industrie behauptet, den Kunden in den Mittelpunkt ihres Tuns zu stellen, der Kunde daran nun aber zweifelt. Und am Empfängerhorizont der Kunden wird der Verdacht des Zynismus in den kommenden Jahren immer mehr an Bedeutung gewinnen. Für Unternehmen stellt dies eine klare und reale Gefahr dar. Verlieren sie das Vertrauen der Konsumenten, dann verlieren sie zwangsläufig Umsätze.
Damit sind wir angelangt bei der Aufgabe, die Technologie in den kommenden Jahren einnehmen wird. Technologie ist dafür da, Produzenten aus dem empfundenen Zynismus des Industriezeitalters zu befreien und sie mit den Konsumenten zu versöhnen.
Wie kann das gelingen? Rufen wir uns in Erinnerung, woher der Zynismus-Vorwurf ursprünglich stammt. Zunächst war da der absolute legitime Wunsch, Güter zu möglichst geringen Stückkosten herzustellen, um die Bedürfnisse der Menschen möglichst preiswert zu befriedigen. Diese Minimierung der Stückkosten war technisch nur möglich durch die Normierung der Produkte. Nur Massenproduktion und Automatisierung konnten es schaffen, die Güter immer preiswerter herzustellen. Und Massenproduktion samt Automatisierung waren technisch nur möglich durch die Reduktion von Varianz.
Losgröße Eins heißt das Ziel
Der Hebelpunkt für die Technologie kommender Jahre ist damit präzise beschrieben. Aufgabe von Technologie ist es, sinkende Stückkosten bei steigender (statt sinkender) Varianz zu ermöglichen. Technologie sollte Individualität erhöhen, die Kosten aber weiter senken. Ziel ist "Lot Size One" bei maximaler Schonung der Ressourcen und vollständiger Internalisierung externer Kosten.
Konkret bedeutet das: Die Industrie der Zukunft …
stellt Produkte individuell für ihre Kunden her,
bindet den Konsumenten als Mitgestalter in die Entwicklung ein,
erhöht die Effizienz,
verringert den Einsatz von Ressourcen,
egt allerkürzeste Transportwege zurück,
ermöglicht einer großen Zahl von Kreativen, mit ihren Ideen am Markt teilzunehmen,
versteht sich als offenes Ökosystem,
senkt Marktzugangs-Barrieren,
berücksichtigt neben Gewinn auch Werte wie Sinn, Glück, Erfüllung, Artenvielfalt oder Fairness,
zahlt echte Preise für die Nutzung aller Gemeingüter
und senkt die Stückkosten trotzdem immer weiter ab, sodass der Wohlstand weiter steigt.
Schon diese Liste scheinbarer Widersprüche deutet die Größe der Aufgabe an. Ohne moderne Technologie ist das nicht zu schaffen. Es geht um nicht weniger, als das früher Unvereinbare vollständig miteinander zu vereinen. Und dabei Technologie nicht auf die Bühne, sondern hinter die Kulissen zu schieben. Es werden jene Unternehmen gewinnen, denen das am besten gelingt.
Wir bei Henkel setzen unsere ganze Kraft und Kreativität daran, dieses Ziel zu erreichen. Wir verstehen Technologie nicht als Selbstzweck, sondern als Werkzeug zum Vorstoß in eine neue Ära. Wir streben danach, das Leben unserer Kunden zu bereichern und zu erleichtern, dabei gleichzeitig die Gemeinschaft zu stärken und den Planeten zu schonen. Wir verstehen uns als Teil eines lebendigen Ökosystems. Wir schaffen Produkte, die so einzigartig sind wie die Menschen, die sie kaufen. Sie stiften maximalen Nutzen bei minimalem Verbrauch von Ressourcen.
Vertrauen steht im Zentrum
In meiner täglichen Arbeit sehe ich, wie viele Fortschritte wir auf diesem Weg machen. Deswegen gehe ich hiermit eine Wette ein, die große Chancen auf Erfüllung hat:
"Menschen wollen im Einklang mit sich selbst, ihrer Familie, ihren Freunden und ihrer Umwelt leben. Sie vertrauen Unternehmen, die ihnen mit Technologien und Produkten dabei helfen. Ich wette, dass 2027 solche Firmen am stärksten sein werden, die das am besten können."
Zu diesen Firmen wird Henkel gehören.
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