Noch immer bringt der Kurznachrichtendienst SMS den Telefongesellschaften gute Umsätze ein. Doch das Angebot verliert an Attraktivität, denn gemessen an heutigen digitalen Standards ist die schlichte 160-Zeichen-Nachricht regelrecht antiquiert. Schaut man sich Kurznachrichtendienste wie WhatsApp, Apple iMessage oder den Facebook Messenger an, wird deutlich, dass andere Software-Entwickler die deutschen Mobilfunkanbieter längst überholt haben und damit beim Kunden sehr erfolgreich sind. Das soll sich ändern. 2013 kommt Joyn - der Nachfolger der SMS.
Bei der Telekom ist es ein langwieriger Prozess. Eigentlich sollte der Dienst bereits seit Herbst 2012 verfügbar sein, ursprünglich hatte das Unternehmen sogar eine Joyn-Markteinführung im Jahr 2011 geplant. Seit dem wird kontinuierlich verschoben.
"Joyn wird in die Softwarearchitektur jedes einzelnen Handys eingebaut. Das ist ein langwieriger Prozess, den wir gründlich testen", sagt Telekom-Sprecher Dirk Wende. Der rosa Riese befindet sich mit Joyn gerade in einer bundesweiten Testphase, an der mehrere hundert Nutzer im gesamten Bundesgebiet beteiligt sind. "Unser Ziel ist es natürlich schnellstmöglich mit Joyn an den Markt zu gehen", sagt Wende. Vorher müssten noch einige Probleme behoben werden. Dazu zählten unter anderem die Stabilität des Messengers.
Joyn kann ohne Zweifel jede Menge: Fotos und Videos verschicken, Dateien anhängen und sogar Gruppenchats durchführen. Bunter, mobiler, abwechslungsreicher soll der neue Dienst mit dem sonnengelbem Logo sein. Zusätzlich können Kontakte sowie deren Signalstärke geortet werden. Ist die Verbindung des gewünschten Kontaktes nicht ausreichend, wird zum Beispiel die Video-Telefonie gar nicht erst angeboten.
Das klingt einerseits vielversprechend. Andererseits sind viele der neuen Funktionen bei anderen Anbietern längst Standard.
Wo die Mobilfunkanbieter mit der SMS jahrelang ein Monopol hatten, ist der Markt für webbasierte Kurznachrichtendienste offen. Grund dafür ist die Verbreitung von Smartphones und die durch die App-Stores gewachsene Masse an Konkurrenzangeboten. WhatsApp zum Beispiel ist trotz negativer Presse aufgrund von Sicherheitslücken bei den Usern immer noch überaus beliebt. Zehn Milliarden Nachrichten werden angeblich täglich über den Dienst verschickt. Und auch der Facebook-Messenger wird immer stärker genutzt. Mark Zuckerbergs Unternehmen bietet künftig den Messanger sogar für Menschen an, die nicht Teil bei dem Social Network angemeldet sind. Mobilfunkanbieter in ganz Europa haben diese Entwicklung mit Sorge betrachtet und als Reaktion den SMS-Nachfolger Joyn entwickelt.
Die Geschichte von Joyn und die damit verbundene europaweite Zusammenarbeit der Mobilfunkanbieter begann bereits 2008 auf Initiative des finnischen Handyherstellers Nokia. Apple hatte mit dem Verkaufsstart des ersten iPhone im Herbst 2007 den Markt komplett revolutioniert. "Auf einmal tauchten in den App-Stores Over-the-top-Dienste auf, später auch für Android", sagt Telekom-Sprecher Dirk Wende. Das sei der Auslöser gewesen, sich gemeinsam an die Entwicklung eines neuen Produkts zu setzen. Der internationale Provider-Verband GSMA unterstützte Nokia. Europäische Anbieter wie die Deutsche Telekom, Vodafone, Telefónica, Orange und Telecom Italia beteiligten sich. Um die Verluste des Umsatzbringer SMS aufzufangen, mussten schnell neue Ideen her.
Ein langjähriger Prozess
Schnell sprachen die Konkurrenten über einen gemeinsamen Multimedia-Standard namens RCS-e. Das steht für "Rich Communication Suite-enhanced". Zu dieser "reichhaltigen Kommunikation" gehörten schon bei den ersten Planungen textbasierte Chats, Gespräche, Videotelefonate und der Versand von Dateien wie Fotos. Allerdings zog sich die Entwicklung hin. Schnelle Ergebnisse gab es trotz der hektischen Betriebsamkeit unter dem neuen Druck von außen allerdings nicht.
Erst Anfang 2012 konnten die ersten Ergebnisse des GSMA auf der Mobilfunkmesse in Barcelona betrachtet werden. Bereits damals war klar, dass Joyn am Ende für iPhone, Android-Geräte und Smartphones mit Microsofts Windows Phone erhältlich sein soll. In das Betriebssystem der genannten Geräte sollte Joyn direkt integriert werden. Wer ein älteres Smartphone besitzt, kann Joyn per App nutzen. So die Idee.
Doch die Entwicklung dauerte an. "Wer einen netzübergreifenden Dienst anbieten will, wie die SMS, braucht einen Industriestandard", erklärt Dirk Wende. Und das sei komplex, immerhin müsse Joyn nicht nur in das jeweilige Betriebssystem sondern auch für das jeweilige Telefon und dann noch für das individuelle Netz der Anbieter angepasst werden. Ein gemeinsamer europaweiter Start aller Anbieter wurde rasch nach der Präsentation in Barcelona 2012 ausgeschlossen.
Flott ging es hingegen in Spanien: Auf dem spanischen Markt ist Joyn bereits weit verbreitet. Weil Vodafone vor Ort mit einem Tochterunternehmen vertreten ist, wundert es kaum, dass das Unternehmen in Deutschland als erster Anbieter mit dem neuen Dienst herauskam. Seit dem Sommer ist der neue Messenger hierzulande für Android erhältlich. Versionen für die Betriebssysteme iOS und Windows sollen bald folgen, bisher können Nutzer dieser Betriebssysteme eine App nutzen. Als erstes gerät wählte Vodafone das Samsung-Flaggschiff Galaxy S 2 aus und integrierte Joyn auf dem Gerät.
Netz-Tipp für Netzwerker
Vodafone-Sprecher Dirk Ellenbeck gibt sich alle Mühe das neue Produkt anzupreisen. "Wir sehen den großen Vorteil im Bereich Sicherheit. Joyn wird anders als viele webbasierte Angebote in das Betriebssystem integriert. Der Kunde muss für die Nutzung keine weiteren Daten freigeben", sagt er. Damit spricht er einen der wenigen Vorteile an, den Joyn zu bieten hat. Gleichzeitig ist es gerade dieser Vorteil, der die Entwicklung des Messengers in die Länge zieht.
Manpower für Joyn
Wie viel Geld bisher in das Projekt "Joyn" geflossen ist, verraten die beteiligten Firmen nicht. "Bei uns ist es vor allem Manpower, und die lässt sich schwer beziffern", sagt der Telekom-Sprecher. Das Projekt könnte einige Kapazitäten gefressen haben. "Ein Anwendungssystem zu programmieren, das viel mehr kann als 160 Zeichen zu verschicken, ist eine Herausforderung", sagt Torsten Gerpott, Professor an der Mercator School of Management in Duisburg. Dort leitet er seit 1994 den Lehrstuhl für Unternehmens- und Technologieplanung.
Einen weiteren Aspekt für ein Gelingen des Projekts stellt seiner Meinung nach sowohl die gewollte Interoperabilität zwischen den deutschen Mobilfunkanbietern als auch international dar. "Wenn etwa in Deutschland alle vier Netzbetreiber Joyn anbieten, dann erhöht sich die Chance stark, dass ein interessanter Markt entsteht. Bleibt das Angebot ein Flickenteppich wird es schwierig", mutmaßt Gerpott. Unterm Strich bedeutet das, dass alle Anbieter ihren Kunden Joyn anbieten müssen, so dass wie bei der SMS auch Telekom-Kunden Joyn-Nachrichten an Vodafone-Kunden schicken können. "Das ist bei WhatsApp anders", wirbt Dirk Wende. "Hier kann nur derjenige kontaktiert werden, der auch bei WhatsApp angemeldet ist." Sobald alle Anbieter mit dem neuen Messenger auf dem Markt sind, werde sich die Anzahl der Nutzer automatisch erhöhen. Damit würden auch neue Zielgruppen erreicht werden, die sich bisher nicht an appbasierten Messengern versucht haben.
Die Deutsche Telekom stellt seit November immerhin Apps für Android und iOS in einer Betaversion bereit. Bis März 2013 soll das Angebot kostenlos bleiben, dann will das Bonner Unternehmen eine Gebühr erheben. Bei Vodafone werden die Kosten über den normalen Datentarif abgerechnet. Inwieweit man mit dem neuen Produkt Gewinn machen möchte, darüber redet die Telekom nicht so gerne.
"Wir verstehen Joyn vor allem als Projekt der Kundenbindung", sagt Dirk Wende. Einen Kunden zu halten sei deutlich einfach als ihn wiederzugewinnen. Entsprechend scheint Joyn mehr ein Marketinginstrument denn ein Gewinnbringer - zumindest nicht, wenn man an das Geschäft mit dem Endkunden denkt. Abgerechnet wird der Dienst vermutlich in Form einer Flat und sich daher kaum von der SMS unterscheiden. Der Umsatzanteil für das Unternehmen wird sich also nicht wesentlich verändern. Und das ist ein Problem, denn der einstige Profitbringer SMS bringt immer weniger Geld.
Warum Joyn floppen könnte
Und dabei wird durchaus noch "getextet". Der Branchenverband Bitkom hat die Zahl der 2011 versendeten Kurznachrichten auf etwa 46 Milliarden geschätzt. 2012 sollen es sogar 12 Milliarden mehr gewesen sein. Allerdings spiegelt sich der andauernde Erfolg nicht in den Umsätzen wider. 2009 waren SMS und Bilddienst MMS noch zu 50 Prozent am Umsatz mobiler Datendienste von deutschen Mobilfunkanbietern beteiligt. 2012 waren es laut Bitkom vermutlich nur 37 Prozent. Begründet wird dies mit Pauschalen, über die die SMS und MMS innerhalb der Mobilfunkverträge abgerechnet wurden. Für den Versand einer einzelnen SMS zahlt kaum noch jemand.
Mit Joyn hofft die Telekom auf Kooperationen. "Wir könnten uns zum Beispiel Partnerlösungen mit der Fernsehsendung 'Wer wird Millionär' vorstellen, wie wir sie jetzt mit der SMS auch schon haben", sagt Wende. Eine andere Idee sei eine Kooperation mit den Automobilclubs im Land. "Wenn jemand einen Unfall hat, könnte er das Problem per Video an den Mechaniker schicken, so dass der schon einen Eindruck bekommt, ehe er die Unfallstelle überhaupt erreicht hat", sagt der Telekom-Sprecher. Neben der Telekom hat auch O2 hat die Einführung von Joyn für 2013 angekündigt. Lediglich E-Plus gibt sich unter den deutschen Mobilfunkanbietern zurückhaltend und will die Erfahrungswerte der anderen erst einmal abwarten.
Auch wenn mit Joyn vermutlich kaum Profite zu erwirtschaften sind, setzen die Unternehmen darauf, dass das neue Produkt bei den Kunden ankommt. Dafür werben sie vor allem mit dem Sicherheitsfaktor. Experten zweifeln jedoch an dem Erfolg des SMS-Nachfolgers. "Ich habe mit Blick auf den Massenmarkt nicht den Eindruck, dass die Kunden auf sichere und verschlüsselte Systeme achten", sagt Torsten Gerpott. "Technisch ist Joyn nicht schlecht, dass bedeutet aber noch lange nicht, dass sich das Produkt auf dem Markt durchsetzt."
Seiner Meinung nach hängt der Markterfolg zum großen Teil davon ab, ob die Smartphonehersteller bereit sind, die App auf ihren Geräten vorzuinstallieren. "Und das ist erst einmal eine Frage der kommerziellen Zugeständnisse, die Mobilfunknetzbetreiber den Geräteherstellern machen", sagt Gerpott - also eine Frage des Geldes.
Bleibt die Frage, was eigentlich mit der antiquierten SMS passiert. Müssen Handynutzer bald Sorge haben, dass der alte Dienst abgeschafft wird? Die klare Antwort lautet: Nein. "Es sind noch viel zu viele Telefone im Umlauf, die kein Smartphone sind", sagt Dirk Ellenbeck von Vodafone. Etwa 50 Prozent aller Vodafone-Nutzer in Deutschland besitzen noch ein normales Handy und selbst bei den Neukunden entschieden sich immer noch 20 Prozent gegen ein Smartphone. Bei den anderen Anbietern dürfte das nicht anders sein.
(Quelle: Wirtschaftswoche)