Am 28. Februar schien die Sache schon unter Dach und Fach: SAP und Retek verkündeten die Übernahme der auf Applikationen für den Einzelhandel spezialisierten Softwarefirma durch den Walldorfer Konzern. Das Retek-Management hatte eine entsprechende Vereinbarung bereits unterzeichnet. SAP bot den Retek-Aktionären 8,50 Dollar pro Aktie – immerhin ein Aufschlag von 42 Prozent. Retek-Chef Marty Leestma verkündete, er freue sich auf die Gelegenheit Mitglied der "SAP-Familie" zu werden und empfahl den Anlegern das SAP-Angebot anzunehmen.
SAP wollte mit der Akquisition seine Position in der US-Einzelhandelsbranche stärken. Retek bietet hier Anwendungen für das gesamte operative Geschäft: Vom Supply-Chain-Management, über den Vertrieb über mehrere Absatzkanäle (Mulichannel Retailing) bis hin zur Bedarfsvorhersage. Zu den rund 200 Kunden zählen Ketten wie GAP, JC Penney oder Best Buy.
SAP versucht seit einiger Zeit selber mit entsprechenden Software-Lösungen den Einzelhandelsmarkt aufzurollen. Viele Firmen in der Branche arbeiten noch mit selbst gestrickten Insellösungen. Die möchte SAP mit Angeboten aus einer Hand ablösen: Sowohl für das operative Geschäft als auch für die Systeme im Hintergrund. Bisher war diese Strategie allerdings nicht so erfolgreich wie erhofft. Mit dem Retek-Kauf hätte SAP die ersehnte Komplettlösung für den Einzelhandel im Programm gehabt.
Oracle in heimlichen Übernahmeverhandlungen
Das Geschäft witterte auch Oracle. Der Datenbankspezialist arbeitet schon seit Jahren eng mit Retek zusammen, Retek-Entwickler nutzen die Entwicklungsumgebungen von Oracle. Ein weiterer Vorteil: Die Produkte von Oracle und Retek überschneiden sich kaum, während SAP mit einer ganzen Reihe von Lösungen in direkter Konkurrenz zu Retek steht.
Kurzum: Oracle wollte nicht außen vor bleiben und legte gut eine Woche nach SAP ein um sechs Prozent höheres eigenes Angebot über 505 Millionen US-Dollar vor. Analysten überraschte der Schritt wenig: Übernahmegespräche fanden angeblich schon seit Monaten statt.
Doch die Konkurrenz von SAP ließ nicht locker und erhöhte noch einmal den Einsatz. Dieses Mal sollten elf Dollar pro Aktie, insgesamt 616 Millionen Dollar fließen. 86 Prozent über dem damaligen Börsenkurs. Auch dieses Mal verkündeten SAP und Retek in einer gemeinsamen Erklärung, die Übernahme sei perfekt. Sogar die US-Kartellbehörde hatte eine vorläufige Genehmigung des Deals ausgesprochen. Sicherheitshalber verschärfte SAP eine im Übernahmevertrag enthaltene Klausel: Sollte der Deal wieder platzen, müsste Retek 25 Millionen Dollar an SAP zahlen. Vorher waren es 15 Millionen Dollar gewesen.
Zu teuer: SAP steigt aus
Oracle reagierte blitzschnell und legte nur Stunden später ein um 20 Millionen Dollar höheres Angebot vor. Es sollte das letzte sein. Am Dienstag dieser Woche unterzeichneten Retek und Oracle eine verbindliche Vereinbarung. SAP war seinem Vorsatz treu geblieben und hatte kein weiteres Angebot vorgelegt: "Von einem weiteren Bieterkampf hätten weder die Investoren der SAP noch die gegenwärtigen und zukünftigen Kunden im Segment Handel profitiert", sagte SAP-Vorstandschef Henning Kagermann.
Analysten werten die geplatzte Übernahme nicht als Katastrophe für SAP. Das Unternehmen könne – im Gegensatz zu Oracle – seine eigenen Produkte für den Einzelhandel weiter ausbauen. Außerdem gebe es durchaus weitere Anbieter, die per Übernahme in das SAP-Portfolio integriert werden können. Am Tag der Bekanntgabe der Retek-Übernahme durch Oracle gab das SAP-Papier an der Frankfurter Börse im Vergleich zum Vortag mit einem halben Prozent nur gering ab. Ovum-Analyst David Bradshaw merkte an: "SAP wird nicht zu enttäuscht sein, denn sie zwangen Oracle einen sehr hohen Preis zu zahlen."
Gewaltige Integrationsaufgaben warten auf Oracle
Für Oracle, so Bradshaw, sei die Übernahme wesentlich wichtiger gewesen. Seiner Einschätzung nach hätte das Unternehmen auch einen noch höheren Preis gezahlt. Schon der jetzt abgeschlossene Deal liegt deutlich über dem Marktdurchschnitt. In Frankfurt legten die Oracle-Aktien im Vergleich zum Vortag denn auch um eher bescheidene 0,7 Prozent zu.
Aberdeen-Analystin Paula Rosenblum weist darauf hin, dass Oracle noch intensiv mit der Integration seiner jüngsten Übernahme Peoplesoft beschäftigt ist. Das Management selbst hatte betont, dass der Retek-Kauf im Vergleich dazu nur eine winzige Anstrengung bedeute. Rosenblum rät Retek-Kunden derzeit vom Kauf neuer Produkte ab: "Verschieben Sie Upgrades bis der Kauf abgeschlossen ist und sich der Staub gelegt hat."
Zumindest ein eindeutiger Gewinner ist aus dem Übernahmepoker hervorgegangen: die Retek-Anteilseigner. Seit dem ersten SAP-Angebot Ende Februar hat sich der Wert Retek-Aktien fast verdoppelt.
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