Wer heute Platz in seinem Bücherregal schaffen will, kann überzählige Stücke auf einfachem Weg loswerden. Der Büchertisch auf dem Flohmarkt oder den Gang ins Antiquariat sind dabei verzichtbar. Es reicht, die Second-Hand-Bücher bei Amazon einzustellen. Sobald die Ware im virtuellen Verkaufsregal steht, erledigt die Plattform den Rest. Damit haben alle gewonnen, ohne dass ein physischer Händler ins Spiel gekommen wäre. Verkäufer und Kunde finden auf digitalem Wege zusammen. Das einzige, was es dafür braucht, ist die Plattform im Netz, die den Kontakt organisiert. Ladenlokal überflüssig.
„Cut out the middleman“, erläutert Bernd Skiera, Professor für BWL und Electronic Commerce an der Universität Frankfurt am Main, die Funktionsweise dieser Anwendung, „der Mittelsmann wird ausgeschaltet.“ Dass es ohne den geht, zeigt uns inzwischen massenhaft das Internet. Ebay machte das Auktionshaus und den Versteigerungskatalog überflüssig, bei Mobile.de oder Autoscout24.de überspringen die Autoverkäufer und -käufer den Autohändler, das Internetportal als Plattform ersetzt Tausende Quadratmeter Verkaufsraum samt Verkäufern und Prospekten.
"Verzichte auf den Mittelsmann"
Das Rezept „Verzichte auf den Mittelsmann“ funktioniert sogar in der Unternehmensberatung. Manager und Unternehmer, die eigentlich einen Consultant buchen würden, kommen heute auch ohne die Nadelstreifenleute aus. Wie das geht, zeigt das Beispiel von Jens Weller. Der IT-Unternehmer aus Darmstadt brauchte zu einigen der üblichen Themen Hilfe, die an Firmenspitzen häufig auftauchen: Unternehmensaufbau, Kundengewinnung, Strategie. Mit seinem Bedarf wandte er sich an Vistage, einer Plattform, die nach einem einfachen Rezept arbeitet: Geschäftsführer und Unternehmer, die Fragen haben, werden mit solchen zusammen gebraucht, die die Antwort schon gefunden haben.
Das funktioniert offline. „Wir treffen uns einmal im Monat in einem Kreis von Geschäftsführern“, beschreibt Toplink-Geschäftsführer Weller die Praxis. Elf Männer sitzen bei den Treffen im Schnitt am Tisch, alle sind Schwergewichte, zumindest nach Umsatz: Jeder von ihnen ist Inhaber eines Unternehmens, das viele Millionen Geschäft in den Büchern hat. „Ich muss investieren. Die neue Halle ist fällig“, trägt einer der Firmenchefs vor, „aber wie stelle ich es an, dass ich die Finanzierung von der Bank bekomme?“ In fünf Minuten ist das Problem vorgetragen. Dann legen seine Unternehmerkollegen los. Sie erzählen, wie sie ihre Finanzierung auf die Beine gestellt haben. Einer trägt eine besonders wirkungsvolle Strategie vor. Ein anderer verrät, wie sich Kapitalquellen jenseits des Bankensystems erschließen lassen.
Nach anderthalb Stunden steht das Finanzierungskonzept. Was normalerweise ein Berater erledigt hätte, wurde hier von den Unternehmern zusammen getragen – in Eigenarbeit. Diese Praxis hat Methode. Einer trägt vor, die anderen lösen das Problem, so geht das reihum. Das sieht auf den ersten Blick nach einer typischen Selbsthilfegruppe aus: unverbindlich, beliebig, unfokussiert. Aber das Gegenteil ist richtig. Die Treffen sind in ein unternehmerisches Konzept eingebettet, das Vistage und einige andere hier zu Lande praktizieren: Der Dienstleister schafft jeweils die Plattform, ruft in zehn Regionen Deutschlands solche Selbstberatungskreise zusammen, mit immer demselben Programm. „Beratung von Unternehmer für Unternehmer“, beschreibt Wolfgang Hartmann, Geschäftsführer von Vistage, das Konzept, „wir sind eine astreine Peer-to-Peer-Veranstaltung“.
Peer-to-Peer, das steht für ein Geschäftsmodell, bei dem keiner mehr zwischen den Parteien „Anbieter“ und „Nachfrager“ steht. Bei Immoscout.de etwa kommen Vermieter und Wohnungssuchende über die digitale Plattform direkt zusammen. Der Makler wird nicht mehr gebraucht. Auch Banken werden inzwischen von P2P-Anbietern verdrängt - Zopa, Cashare oder Auxmoney schalten das Geldhaus als Mittelsmann aus. „Die Plattformen stellen den direkten Kontakt zwischen Geldanlegern und Geldsuchenden her“, beschreibt E-Commerce-Professor Bernd Skiera die Arbeitsweise.
Geld sparen, Umwege vermeiden
Die Anwendung des P2P-Prinzips auf das Beratungsgeschäfts kann ratsuchenden Managern oder Unternehmern eine Menge Geld sparen. Das zeigt ein Blick auf die Funktionsweise des herkömmlichen Consultinggeschäfts: Der Berater geht in Firma A, macht ein Projekt, nimmt verwertbartes Wissen mit in das Beratungshaus. Dort mischt er es mit dem Wissen aus Projekten in Firma B und Firma C, fügt eigene Erkenntnisse hinzu, erstellt Studien, Powerpoint-Folien und Akquisematerial für den nächsten Kunden, die Firma E. Diese Arbeiten muss jeder Beratungskunde mitbezahlen, einschließlich der Schulung neuer Berater und dem Wissens-Management. So kommen Tagessätze von 1000 bis 3000 Euro zustande – Geld, das sich die Nutzer der Vistage-Plattform sparen, weil sie direkt zur Quelle des Beratungswissens gehen und dort selbst das Benötigte abschöpfen.
Auch Unternehmen, die für begrenzte und spezielle Aufgaben Rat brauchen, wird inzwischen durch P2P geholfen. Eine Markterkundungsstudie für den Absatz von Digitalkameras in Südafrika? Ein Online-Assessment für Stellenbewerber auf eine Marketing-Position? Diese und ähnliche Aufgaben können bald online beauftragt werden, Kontakt zur Nadelstreifenfraktion nicht mehr nötig: Die Plattform McKinseymoms.com vermittelt hoch qualifizierte Berater nach dem Ebay-Prinzip. Auftraggeber buchen die Leistungen stunden- oder tageweise. Die Ausführung übernehmen Beraterinnen, die aus der Tretmühle des Angestelltenlebens ausgeschieden sind, sich zu Hause um Kind und Familie kümmern, aber nicht gänzlich aus dem Beruf ausscheiden wollen. Deshalb auch der Name der Plattform, der übersetzt McKinsey-Mütter heißt. Der Dienst soll demnächst seine ersten Kunden bedienen.
Dieses Konzept zieht. „Die Zukunft der Beratung“, so wirbt ein anderer Anbieter aus derselben Branche selbstbewusst für seine Leistung: Bei hourlynerd.com können Kunden stunden- und tageweise auf das Wissen von Absolventen der besten Business Schools der Welt zugreifen, Motto: MBA-Wissen bekommen, ohne die horrenden MBA-Gehälter jenseits der 100.000 Euro im Jahr oder hochpreisige Berater-Stundensätze zu bezahlen. Beispiel: die Firma Rauschert aus Thüringen. Der Hersteller technischer Keramik brauchte schnell eine Marktanalyse - und bekam sie über hourlynerd. Ein Harvard-Absolvent übernahm den Job. „Perfektes Ergebnis in kurzer Zeit geliefert“, war anerkennend von Rauschert zu hören.
Marktanalyse für 5000 Dollar
Den klassischen Consultants könnte das Angst machen – die P2P-Formate nagen an ihrem Geschäft, weil Beratungswissen am Markt jetzt auch ohne Berater zu bekommen ist. „Der Boom der Partnerbörsen zeigt, was in diesem Geschäft möglich ist. Was diese für den Endverbraucher leisten, bringen Hourlynerd.com und andere im Consulting“, so eine Einschätzung des Informationsdienstes „Trendscanner“. So, wie die Ebay-Nutzer ihre Päckchen in Eigenarbeit packen, produzieren Manager und Unternehmer ihre Beratungsleistung in Zukunft selbst, finden Expertise ohne das ganze Consulting-Drumherum mit aufwändigen Präsentationen und Projektmeetings. Do-it-Yourself ist angesagt, freut sich Vistage-Geschäftsführer Hartmann: „Jeder Firmenchef, der teilnimmt, ist in wechselnden Rollen mal Berater, mal Kunde.“
Das hat auch einen Effekt auf die Kosten. Weil niemand in der Mitte der Wertschöpfungskette steht und für seine Leistung die Hand aufhält, ist P2P günstig: Ebay war viele Jahre ein Schnäppchenparadies, und die elitärste Online-Partnervermittlung kostet nur einen Bruchteil dessen, was ein konventioneller Heiratsvermittler abrechnet. Diese Regel gilt auch für P2P-Beratung: Vistage-Nutzer zahlen einen Festpreis, zu dem kein Unternehmensberater antreten würde, um die 1000 Euro im Monat. Auch Rauschert kam günstig weg: Die ganze Marktanalyse einschließlich konkreter Empfehlungen gab es für 5000 US-Dollar. Bei McKinsey oder Roland Berger wäre das teurer gewesen.
Aber warum funktioniert das? Robert Nourse, Inhaber einer Maschinenfabrik in Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin, erkannte als Pionier das Prinzip der Do-it-Yourself-Beratung: Jeder Unternehmer knabbert an Problemen, die anderswo schon einmal gelöst wurden: gute Mitarbeiter finden, den Verkauf besser machen, neue Quellen für Kapital auftun. Deshalb rief er eine Handvoll Geschäftsführer aus der Region an einen Tisch. Diese Runde, die regelmäßig tagte, lieferte die Vorlage für das Vistage-Prinzip der Beratung auf Gegenseitigkeit. Seit dem ersten Treffen im Jahr 1957 bei Robert Nourse trat es seinen Siegeszug an: „15.000 Unternehmer sind derzeit weltweit dabei“, erläutert Wolfgang Hartmann. In 16 Ländern ist der P2P-Berater rund um den Globus präsent - eine Erfolgsgeschichte im Schatten von Ebay.
Consulting à la Ebay: Anbieter-Beispiele von P2P-Beratern
Vistage.com
Do-it-Yourself-Beratung von Unternehmer zu Unternehmer. Bundesweit fest organisierte Erfahrungsaustausch-Kreise, monatliche Treffen plus Coaching.
Hourlynerd.com
Online-Plattform, auf der Unternehmen ihre Projekte ausschreiben können. Auftragnehmer sind Studenten und Absolventen von Business-Schools weltweit.
Skillbridge.co
Plattform erfasst einige Tausend Spezialisten, die als Freiberufler für Problemlösungen zur Verfügung stehen. Projektstart ist binnen Tagen möglich.
McKinseymoms.com
Aktiviert Beraterinnen, die sich aus dem Angestelltenleben zurückgezogen haben. Vermittlung für Unternehmen auf Projektbasis. Die Plattform befindet sich derzeit noch im Aufbau.