Der erste Eindruck auf der Fahrt ins Hochfränkische: Das erstmals 1234 in einem Stiftungsbrief als "Resawe" erwähnte Rehau ist nicht ganz so der Welt entrückt wie befürchtet. Schott jedenfalls fühlt sich wohl im Niemandsland zwischen tschechischer Grenze und nahe gelegenen Orten wie Kühschwitz, Quellenreuth, Regnitzlosau oder Raitschin. Das könnte auch daran liegen, dass das ehemalige Zonenrandgebiet eine beeindruckende Naturlandschaft bietet. Schott mag das. Er ist leidenschaftlicher Mountainbiker.
In Rehau gründete 1948 Helmut Wagner die kunststoffverarbeitende Rehau AG & Co als Familienbetrieb. Heute leiten dessen Söhne Jobst und Veit Wagner gemeinsam mit dem Vorstandsvorsitzenden Rainer Schulz das Unternehmen und seine weltweit mehr als 170 Standorte vom Konzernsitz im schweizerischen Muri nahe Bern aus. Trotz der mittlerweile 15.000 Mitarbeiter sind die Abläufe familiär geblieben. Das ist IT-Chef Schott sehr wichtig. Entscheidungen werden so schneller getroffen.
Erste Trans-Alp-Überquerung
Nun ja - das mit den Entscheidungen. Wochenende im Sommer 2009. Schotts erste transalpine Überquerung mit dem Mountainbike. Spitzingsee - Gardasee. Google Maps signalisiert: Mit dem Auto wären es auf der A12 genau 335 Kilometer. Zu schaffen in drei Stunden und 52 Minuten. Schott ist austrainiert durch lange Trainingseinheiten rund um Rehau. Auf seinem Cube-Bike sollte die Tour durchs Gelände ein Klacks werden. Seine Freunde und er haben eine ganze Woche Zeit. Also was soll's? Schott mag es, sich zu fordern. Und er ist sicher, dass er das Projekt Transalp schafft.
Gradlinig denken, konsequent handeln
Rehau AG 2008/10: Schott hat ein großes Projekt vor der Brust. Kurzfassung: Er will weltweit 100 Lotus-Notes-Applikations-Server auf ein zentrales Cluster zusammenziehen und mehr als 100 Lotus-Notes-Server durch drei Microsoft-Exchange-Cluster für Mail- und Kalenderfunktionen ersetzen. Zugleich soll die komplette Datensicherung konsolidiert werden. Schott und sein IT-Team gehen darüber hinaus noch ein Vorhaben an: Sie wollen in ihrem Data Center so ziemlich alles virtualisieren und konsolidieren, was zu finden ist: Server, Storage, SAP-Services, Zugänge ins Internet. Und das über drei Kontinente hinweg.
Nur mal über die Alpen
Im Juli 2009 geht es dagegen nur über die Alpen. Was Hannibal vor gut 2200 Jahren weiter westlich mit seinen drei Dutzend Elefanten und Tausenden Soldaten und Reitern gelungen ist, sollte Schott auf seinem Fullsuspension-Bike mit antriebsneutralem Federweg, leichtem Carbonrahmen, Shimano-Schaltung und hydraulischer Discbrake ebenso schaffen.
Los geht's am Spitzingsee. Vier Grad über null. Trotz Funktionsjacket, Trägerhose und Protector-Handschuhen - es ist bitterkalt. Jetzt fängt es auch noch an zu regnen. Aber Schott fragt sich nicht, warum er sich das antut. Ihn treibt nur ein Wunsch: Ankommen! Nach 30 Kilometern im Zillertal dann kuschelige 15 Grad.
Anspruchsvolles Projekt
Seine IT-Projekte beschreibt Schott eher trocken: "Standardisieren, Konsolidieren und Virtualisieren der kompletten IT-Infrastruktur und Kommunikationssysteme weltweit." Man könnte es auch so ausdrücken:
Schott hat weltweit - also an mehr als 170 Standorten - Windows-, Linux- und IBM-OS-400-Server von Rehau konsolidiert und virtualisiert. Desgleichen die Storage-Landschaft und sämtliche SAP-Services. Die werden jetzt von Neuseeland bis Kanada zentral betrieben. Alle Daten müssen ferner auf eine LTO-4-Library und einen TSM-Server-Cluster gesichert, die wichtigsten auch gespiegelt werden können. Für die SAP- und Microsoft-Exchange-Anwendungen galt es, im Speichersystem Snapshot-Verfahren einzurichten.
Beim großen Tischerücken in der Rehau-IT wird Schott als nächstes die alte Telekommunikationstechnik durch ein weltweites VoIP-Netz ersetzen. Hier liegen noch drei Viertel der Arbeit vor ihm.
Die Jury urteilt:
Arnold Picot, Ludwig-Maximilian-Universität:
"Thomas Schott verantwortete ein globales IT-Konsolidierungs- und Virtualisierungsprojekt, welches nahezu alle relevanten IT-Bereiche wie Server, Storage, SAP-, Mail- und VoIP-Anwendungen beinhaltete. Hierdurch wurden Effizienzvorteile erreicht, Kosten gespart und durch die weltweite Standardisierung die standortverteilte Kollaboration verbessert."
Manfred Broy, Technische Universität München:
"Die Standardisierung und Virtualisierung der kompletten IT-Infrastruktur und der Kommunikationssysteme durch Thomas Schott schaffen Voraussetzungen für eine enorme Steigerung von Effizienz im Unternehmen."
Wenn alle Mitarbeiter weltweit wie geplant Videokonferenzen nutzen, wird sich das positiv auf das Reisebudget und die Umwelt auswirken. Rehau setzt hier auf Microsofts Office Communication Server und eine selbst betriebene Videokonferenz-MCU-Lösung (MCU = Multi Conference Unit). So kann man Technik auch einsetzen - um die Umwelt zu schonen und effektiv zusammenzuarbeiten.
Gute Laune ist was anderes
Zusammenarbeit heißt in der IT-Sprache seit einiger Zeit auch Collaboration. Die ist auch auf dem Weg zur Hochkrimml-Gerlosplatte gefragt. Jetzt ist es wieder eiskalt. Und ständig dieser runterplatzende Regen. Durchnässt. Müde. Hungrig. Schott schaut rüber zu seinen Kompagnons. Entspannte Gesichter sehen anders aus. Bis zum Abend geht es über die Hochkrimml-Gerlosplatte hinauf auf den Gerlospass. Warum tut man sich bei solch extremen Witterungsverhältnissen solch einen Höllenritt an?
Sehr anspruchsvolles Projekt
Durchhalten und Ankommen sind wichtig - beruflich wie privat. Nicht von ungefähr urteilt Hubert Österle, Professor an der Universität St. Gallen, über Schotts Großprojekt: "Mit der erfolgreichen Standardisierung, Konsolidierung und Virtualisierung der kompletten IT-Infrastruktur weltweit setzt Thomas Schott ein sehr anspruchsvolles Projekt innerhalb kurzer Zeit um." Das Jury-Mitglied des Wettbewerbs "CIO des Jahres" konstatiert, mit der flexiblen, skalierbaren Infrastruktur könne das Unternehmen Dienstleistungen am Markt zu niedrigeren Preisen und höherer Qualität anbieten. Österle weiter: "Neben der Sicherung qualifizierter Arbeitsplätze in Deutschland überzeugt der gewählte Ansatz durch die Verwendung von energieeffizienteren Produkten der Informationstechnologie."
Manchmal muss man neue Wege gehen
Schotts Ansprüche sind immer hoch - vor allem an sich selbst. Am nächsten Tag soll es über die Krimmler Wasserfälle - die fünfthöchsten der Welt - und die Krimmler Tauern weitergehen Richtung Südtirol und Sterzing. Aber es gibt Probleme. Auf 2000 Meter Höhe schneit es brutal. Auf der geplanten Route weiterfahren wäre irrsinnig. Schott kennt das aus dem Berufsleben: Manchmal muss man neue Wege gehen, Ziele anders setzen. Also wieder zurück. Weiter über den Schlegeisspeicher und das Pfitscher Joch (Südtirol). Das Wetter verschlechtert sich von Minute zu Minute. Minus vier Grad. Schneesturm. Rauf auf das Pfitscher Joch.
Potenziale früh erkannt und verwirklicht
Fragt man den Leiter IT der Rehau AG + Co., welche Stärken ihn und sein 45-köpfiges IT-Team besonders auszeichnen, dann antwortet Thomas Schott: "Wir haben Potenziale sehr früh erkannt. Und dann konsequent realisiert."
Schneesturm und gefrorene Bremsen
Schotts Gruppe ist kräftemäßig an Grenzen gelangt. Die Moral stimmt zwar noch - nun ja. Aber es geht ja - theoretisch - nur noch bergab. Doch nun gibt es ein veritables Problem: Die Bremsen sind festgefroren. Und das downhill über Stock und Stein. Wenn einen Technik im Stich lässt, kann Zivilisation in der freien Natur eine neue Bedeutung bekommen.
Runter. Nur runter. Eisiger Wind. Schnee. Kälte. Vorbei an Sasso. San Giacomo. Riva. Saletto. Borgone. Novale. Val di Vizze. Endlich. Sterzing.
Hannibals Alpenquerung dauerte nach der Überlieferung 15 Tage - Schotts knapp drei Tage. Hannibals halbierte Truppe musste dann erst noch die Taurisken-Hauptstadt Augusta Taurinorum (Turin) erobern. Schott und seine Freunde hingegen sitzen in Sterzing. Dreckig. Ausgepowert. Aber wieder aufgetaut. Wie die Bremsen. Das Bier schmeckt. Schott schaut in den jetzt blauen Himmel und denkt: "Diese Herausforderung ist besser als Virtualisierung. Interessanter als Konsolidierung. Aufregender als Zentralisierung. Obwohl."