Die Medion-Produkte unterliegen hinsichtlich Ersatzteilversorgung besonderen Voraussetzungen: Kurze Produktlebenszyklen, hochpreisige Ersatzteile und schlecht vorhersehbare Ersatzteilbedarfanforderungen prägen dieses Geschäft. Um hier gegen die Konkurrenz bestehen zu können, hat Medion zusammen mit dem Beratungsunternehmen Abels & Kemmner eine eigene Lösung für die Ersatzteilbevorratung entwickelt.
Bei den Produktgruppen konzentriert sich Medion auf drei Säulen:
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PC/Multimedia (Personal Computer, Notebooks, TFT-Bildschirme, Scanner, Drucker, Software usw.)
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Unterhaltungs- und Haushaltselektronik (Fernseher, Flach- und Plasmabildschirme, DVD-Player und -Recorder, Festplattenrecoder usw.)
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Kommunikationstechnik (u.a. SAT-Systeme, Decoder, Telefone, Fax, Anrufbeantworter).
Das Unternehmen agiert dabei nach dem sogenannten „Build-to-order“-Prinzip: Erst wenn von Handelspartnern Bestellungen für Verkaufsaktionen vorliegen, werden die Geräte in der benötigten Stückzahl produziert. Vorteil dieser Strategie ist, dass daraus keine Lagerkosten entstehen. Das soll zu niedrigeren Preisen führen und zudem gewährleisten, dass Produkte des Unternehmens stets aktuell sind. Geografisch verfügt Medion neben Deutschland im gesamten Euroraum, einschließlich Skandinavien und England, über eine breite Präsenz.
Das Geschäftsmodell sieht auf den ersten Blick recht einfach aus: Produktideen aufsetzen, herstellen, ausliefern - und fertig. Dem ist jedoch nicht so: Ein besonders wichtiges Element der Gesamtdienstleistung erbringt Medion für die Handelsunternehmen und die Hersteller durch einen eigenen After-Sales-Service für den Endverbraucher, so dass sich die Partner nicht um diesen Bereich ihres Geschäfts kümmern müssen – modern ausgedrückt: Medion bietet ein externes Serviceangebot für den Handel.
Hierfür leistet eine 365-Tage-Hotline im eigenen Call-Center die Unterstützung bei Fragen zur Anwendung, bei der Garantieabwicklung und bei Nachbestellungen. Medion führt zudem alle notwendigen Reparaturen durch und beauftragt, falls erforderlich, für spezielle Produkte innerhalb Deutschlands einen Vor-Ort-Service, der den Verbraucher aufsucht, um Beratungen und Reparaturen vorzunehmen. Dabei garantiert Medion eine hohe Verfügbarkeit bei Ersatzteilen.
Ohne Ersatzteil-Lager geht es nicht
Damit dies funktioniert, kommt Medion doch nicht ganz ohne Lager aus. An der richtigen Bevorratung von Ersatzteilkomponenten hängt sehr viel: Die Herausforderung besteht darin, dass Ersatzteile nicht über den gesamten Gewährleistungszeitraum nachbeschafft werden können. Hersteller der Teile kündigen diese nämlich bereits deutlich vor Ablauf der Gewährleistungszeit des Endproduktes ab.
Motherboards für PCs sind zum Beispiel oft nur wenige Monate in identischer Bestückung lieferbar, und Kunststoffgehäuse für Notebooks beispielsweise oft nur während der Produktion selbst. Das passende Scharnier, sollte es also einmal während der Gewährleistungsfrist defekt sein, muss folglich auch rechtzeitig bestellt werden.
Schließlich muss Medion die Bevorratung mit Ersatzteilen für den Rest der Gewährleistungszeit sicherstellen. Zu diesem Zeitpunkt liegen jedoch kaum Erkenntnisse über den Bedarf der Ersatzteile vor, da die Produkte noch nicht lange im Einsatz beim Kunden sind. Dies birgt zwei Gefahren in sich:
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Bei zu geringer Bevorratung gehen die Ersatzteile aus, und die Kundengeräte können nicht mehr repariert werden.
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Bei zu hoher Bevorratung bleibt Medion am Ende der Garantielaufzeit auf hohen Beständen sitzen, was die Kosten deutlich in die Höhe treibt.
Die Frage ist also, wie dieser Zielkonflikt gelöst werden kann.
Zunächst ging man von einem theoretischen Modell, dass die Produktausfälle in drei Phasen unterteilt und als "Badewannenkurve" bezeichnet wird. Sie unterteilt den Ersatzteilbedarf in drei Phasen:
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Phase 1 ist geprägt von Frühausfällen, die sich beim ersten Einsatz des Endprodukts zeigen.
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Phase 2 weist einen geringen Ersatzteilbedarf auf, in dieser Phase laufen die Produkte in der Regel stabil.
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In Phase 3 fallen die Teile typischerweise aufgrund erhöhten Verschleiß oder Alterung aus.
Die Analysen bei Medion zeigten allerdings, dass diese Kurve nicht dem tatsächlichen Ausfallverhalten der Komponenten entspricht und für die Bedarfsprognose ungeeignet ist (vgl. Abbildung Badewannenkurve).
Im Rahmen der Untersuchungen von Medion und Abels & Kemmner wurden die Verbrauchsreihen der Ersatzteile analysiert und bewertet. Aufgrund der sehr geringen Verbrauchszeiträume (< 6 bis 12 Monate) und der sehr unsteten Bedarfsanforderungen waren klassische Verfahren wie zum Beispiel Mittelwert, exponentielle Glättung oder Median für die Prognoserechnung nicht geeignet beziehungsweise brachten gegenüber dem bis dato eingesetzten Verfahren keine Vorteile.
Analyse der Ausfallraten
Daher wurden weiter in der Vergangenheit liegende Projekte genauer betrachtet und die Verbrauchsreihen hinsichtlich ihres Ausfallverhaltens analysiert. Dabei zeichneten sich besondere Typen von Ausfallmustern ab: Insgesamt fünf verschiedene Typen konnten bestimmt und sogenannten Normkurven zugeordnet werden. Je nachdem, wie die Ausfallraten zu Beginn des Produkteinsatzes, im Mittelbereich und am Ende der Garantiezeit ausfielen, konnten die Komponenten den Normkurven zugeordnet werden.
Es war keine Überraschung, dass Ausfallmuster nicht undbedingt baugruppenspezifisch waren. Elektronische Komponenten waren zum Beispiel in allen Bereichen anzutreffen wie auch mechanische Bauteile. Die Anwendung der Normkurven konnte also nicht einfach über die Produktgruppe geregelt werden. Es mussten dafür eigene Regeln und Indikatoren herangezogen werden.
Im zweiten Schritt wurden Methoden entwickelt, wie diese Normkurven zur Prognose des Ersatzteilbedarfs herangezogen werden können. Da es sich hierbei um eine sehr komplexe und rechenintensive Aufgabe handelte, wurde eigens ein Prototyp eines Analyse-Softwaretools entwickelt, mit dessen Hilfe die Ausfalldaten verarbeitet und Prognosen auf Basis der Normkurven ermittelt wurden. Über die Beurteilung der ersten Phase des Verbrauchszeitraums können die Anwender dem Ersatzteil das am besten geeignete Ausfallmuster zuordnen und den Bedarf innerhalb des Garantiezeitraums ermitteln.
Dem Anwender wurden weiterhin Möglichkeiten zur Manipulation der Prognose eingebaut. Dadurch ist es möglich, das hohe Erfahrungswissen des Anwenders ebenfalls über das Tool abzubilden. Dabei basieren die Prognosewerte auf der Normkurve. Diese kann dann über einfache Klicks gestreckt oder gestaucht werden beziehungsweise kann eine Umgewichtung der Verbrauchsperioden vorgenommen werden. Das Tool ist stark grafisch orientiert und gibt sehr schnell Aufschluss über die Verbrauchs- und Bedarfssituation.
Verfeinerte Methodik für Prognosen
Im letzten Schritt wurde die Methodik validiert. Dabei wurden zu bestimmten Zeitpunkten in der Vergangenheit auf Basis der bis dahin vorliegenden Informationen Prognosen ermittelt und den Prognosen des bisher angewandten Verfahrens gegenübergestellt. Das Ergebnis fiel eindeutig aus: Über die neue Methodik gelingt es nun, bessere Vorhersagen über die Ersatzteilanforderungen zu treffen. So konnte insbesondere die Restbedarfseindeckung im zweistelligen Prozentbereich verbessert werden, was zum einen die Lieferbereitschaft spürbar verbessert und gleichzeitig aber auch die Bestände reduziert.
In einem weiteren Schritt soll die neue Methodik in das Standardprodukt Diskover SCO zur Prognose- und Dispositionsoptimierung implementiert werden, so dass für das Ersatzteilemanagement bereits mit der Standardsoftware entsprechende Funktionalitäten genutzt werden können.