Die IT hat bislang Prozesse nur digitalisiert und einzelne Schritte verbessert, tradierte Arbeitsabläufe, Denkmuster und Kompetenzen leben aber weiter. So lautet die kernige These von Dieter Pfaff, CIO der RAG Aktiengesellschaft und Vorsitzender der Geschäftsführung der RAG Informatik. Schon seit langem trug er sich aus diesem Grund mit der Idee, diese Unzulänglichkeiten abzustellen.
Portaltechnologie gibt inzwischen Unternehmen wie der RAG ein Werkzeug an die Hand, aus alten Arbeitsweisen auszubrechen und effizienter zu arbeiten. Über ein Portal sollen 15 000 Mitarbeiter des RAG-Konzerns ab diesem Sommer nach einmaliger Anmeldung personalisiert alle für sie wichtigen Informationen und Anwendungen auf ihrem Bildschirm sehen. "Myentri" nennt RAG Informatik ihr Portal, das auf dem SAP Enterprise Portal Version 6 basiert.
Pfaff will damit vier Ziele erreichen:
- den digitalen Arbeitplatz im Konzern verwirklichen.
- die Suche nach Informationen verkürzen.
- Prozesse beschleunigen. So werden beispielsweise in einem Konzern zeitkritische Arbeiten wie Bilanzierungsverfahren immer wichtiger.
- Projekte durch eine einheitliche Benutzeroberfläche schneller und kostengünstiger umsetzen: Dauerte es bisher Mannmonate, Daten in neue Geschäftsprozesse zu integrieren, lässt sich das heute in Manntagen erledigen.
Mit diesen Perspektiven hat er im Juli 2003 auch den Holding-Vorstand überzeugt. Um Synergien zu nutzen, wird von der RAG nun eine konzernweite Portalinfrastruktur aufgebaut und betrieben und den einzelnen Gesellschaft als Basis zur Verfügung gestellt. Die Gesellschaften können ihre Portale dann individuell anpassen. "Eine Portalinfrastruktur ist derart komplex, dass sie für kleinere Unternehmen nicht bezahlbar gewesen wäre", sagt Dirk Opalka, Abteilungsleiter IT-Anwendungs- und Kommunikationsstrategie in der RAG Holding und Projektleiter für die Konzerninitiative.
Als anspruchsvollster Teil auf der technischen Seite erwies sich die einmalige Anmeldung der Mitarbeiter am Portal, das so genannte Single-Sign-On (SSO). Wechselnde Passworte stellten sich dabei als größte Hürde für den SSO-Zugang heraus, denn viele Programme verlangen in regelmäßigen Abständen neue Zugangswörter. Damit Anwender von den Wechseln nichts mitbekommen, synchronisierte das System nun automatisch die Passwörter.
Die Sicherheitsinfrastruktur hat die RAG Informatik in vier Bereiche aufgeteilt: Internet, eine öffentlichen und eine private "demilitarisierte Zone (DMZ) sowie die Ebene der konzerninterne Daten. Zweck der Zonen, die jeweils eine Firewall trennt: Daten und Anwendungen vor unbefugtem Zugriff sichern. So verhindert die erste Schutzmauer den Konzern vor fingierten Massenanfragen (Denial-of-Service-Attacks). Hat ein Mitarbeiter die Eingangstür durchschritten, meldet er sich am Portal in der öffentlichen DMZ an. In der IT-Architektur prüft nun ein Access-Manager die anhand des Mitarbeiterverzeichnisses, ob die Person tatsächlich Mitarbeiter des Konzerns ist, und authentifiziert ihn. Anschließend tritt der Anwender in die private DMZ ein und bekommt auf seinen Bildschirm alle Daten und Anwendungen, die in seinen Rollen- und Berechtigungskonzepten definiert sind.
Während in der privaten DMZ Anwendungen mit weniger sensiblen Daten stehen, befinden sich unternehmenskritische Daten und Anwendungen in der vierten Zone, der Datenebene. Bislang spielt sich die Anmeldung lediglich innerhalb des Konzerns ab. "Bis Ende 2004 sollen sich Mitarbeiter auch über das Web anmelden können. Dafür entwickeln wir gerade eine PKI-Policy (Public Key Infrastructure), so Pfaff.
Knackpunkt Single-Sign-On
Auf diese Sicherheitsstruktur setzt auch das Pilot-Portal beim Teilkonzern RAG Coal International auf. Dabei hat die Kohle-Tochter des Konzerns unter anderem 14 verschiedene SAP-Systeme, fünf Intranets, mehrere Domino-Datenbankserver sowie sechs Mail-Server an das Portal angeschlossen. Seit Februar arbeiten weltweit 120 Anwender in einem Test mit dem Portal, im Mai sollen 3500 Mitarbeiter auf die Plattform umsteigen. "Die Anmeldung via Single-Sign-On an die verteilten Anwendungen und von unterschiedlichen Orten des Konzerns aus stellt eine nicht ganz unerhebliche technische Aufgabe dar, berichtet Andreas Müller, Projektleiter bei RAG Coal International.
Dagegen ließen sich die Daten aus den verschiedenen Anwendungen einfach zusammenführen. So geben beispielsweise Mitarbeiter bei der Coal-Tochter RAG Trading den Kundennamen in eine Maske ein. Das Portal stellt dann die kundenspezifischen Daten aus einem SAP R/3, einem File-Server und dem Web zusammen und zeigt sie auf einer Seite im Portal an. Vorher mussten Mitarbeiter dafür mit sechs Masken arbeiten. "Die Programmierung dauerte nur 20 Manntage und kann jetzt im Konzern öfters eingesetzt werden", so Müller.
Arbeitserleichterungen wie diese überzeugen auch Anwender leichter, denn letztlich steht und fällt das Portal mit ihnen. Deshalb besteht das Ziel zunächst darin, Akzeptanz bei den Anwendern zu schaffen. So baute Müller als Erstes viele für alle sichtbare Funktionen ein. Erst später will er tiefer in die Prozesse eindringen, weil sie im Hintergrund laufen und oft keinen unmittelbar "sichtbaren Nutzen für die Mitarbeiter bringen. So besteht das Pilotportal im ersten Schritt aus Inhalten, die von vielen Anwendern genutzt werden können, und einigen speziellen Konzernprozessen. Im nächsten Abschnitt will die RAG weitere Prozesse aus den Systemen auslösen und über das Portal abbilden.
Zunächst befragte Müller die Mitarbeiter der teilnehmenden Firmen in Workshops, welche Informationen und Anwendungen sie auf dem Portal haben wollten. Anhand der Ergebnisse stellte RAG Coal für alle Anwender einfache Features wie einen E-Learning-Bereich, das globale Konzern-Telefonbuch, Intranet-Informationen und eingebundene Internet-Inhalte (Nachrichten, Finanzdaten, Brancheninformationen) zusammen. Nur selbst erstellte Inhalte fehlen noch. Müller nennt den Grund: "Wissensmanagement hätte sowohl den Zeitrahmen als auch das Budget des Projektes gesprengt.
Promotoren helfen Kollegen
In weiteren Workshops legten die vier Teilgesellschaften von RAG Coal fest, welche Prozesse die jeweiligen Gesellschaften im ersten Schritt einführen wollten. Daraus entstanden unter anderem ein Kostenstellen-Report für das Management, ein Rechnungsprüfungs-Workflow sowie Employee-Self-Services (zum Beispiel Urlaubsanträge, persönliche Daten ändern). "Insgesamt bestehen zurzeit rund 600 Inhaltefenster, so Müller.
Zentrale Bedeutung kommt bei dem Portal-Projekt dem Change-Management und damit den Promotoren zu. Das sind Mitarbeiter in den Fachabteilungen, die bis zu einem Viertel ihrer Arbeitszeit darauf verwenden, ihren Kollegen beim Umgang mit dem Portal zu helfen, für das Portal werben und Reaktionen der Mitarbeiter einholen. Im Pilotprojekt betreuen immer zwei Promotoren jeweils 15 bis 25 Kollegen. Probleme tauchen schon auf, wenn im Unternehmen unterschiedliche Begriffe für gleiche Daten verwendet werden: Die eine Abteilung benutzt die Codierung "Name", die andere arbeitet mit Ziffernfolgen. Um in diesem Fall einen Begriff als verbindlich zu setzen, bekamen die Promotoren Schulungen und Argumentationshilfen für typische Einwände der Mitarbeiter.
Doch gelegentlich dringen auch die Promotoren nicht mit ihrer Botschaft durch, und es kann passieren, dass sie schnell aufgerieben werden. "Es ist sehr hilfreich, dass das Management glaubwürdig hinter dem Projekt steht. Wenn es darüber hinaus noch mit einer gemeinsamen Strategie und Vision abgestimmt ist, fällt es oftmals leichter, Akzeptanzschwellen der Mitarbeiter zu überwinden, sagt Müller. Nur so lassen sich alte Denkmuster durchbrechen und effizientere Prozesse einführen.