Feierlaune in München - in der Rathaus-Umschau vom 26. November meldete der Stadtrat, die Ziele des LiMux-Projekts seien erreicht. Über 12.000 städtische Rechner sind demnach mit dem offenen PC-Arbeitsplatzsystem "LiMux" ausgestattet. Außerdem arbeiten der Stadtverwaltung zufolge 15.000 PCs mit "OpenOffice" sowie dem eigens entwickelten Vorlagensystem "WollMux". Bürgermeisterin Christine Strobl sprach von einer "großartigen Gesamtleistung ". Außerdem sei damit "ein konsequenter Schritt zu mehr Offenheit und Unabhängigkeit von einzelnen Softwareherstellern" gelungen.
Während in München der Sekt für die Siegesfeiern in Sachen LiMux kalt gestellt wurde, herrschte im Breisgau Katerstimmung. Nach aufgeregten Debatten beschloss der Gemeinderat am 20. November mit knapper Mehrheit, den Umstieg auf OpenOffice zu stoppen und wieder zurück zu Microsofts Office-Paket zu migrieren. "Eine 3000-Personen-Verwaltung kann nicht dauerhaft im Trial-and-Error-Modus laufen", begründete SPD-Stadtrat Kai-Achim Klare die Entscheidung.
Die Verwaltungsmitarbeiter seien schließlich keine Versuchskaninchen für unausgereifte Software. Die Umstellung auf OpenOffice sei nur halbherzig angegangen worden, klagte dagegen Timothy Simms von den Grünen, der sich gegen die Rückkehr zu MS-Office ausgesprochen hatte. Deshalb sei es auch falsch, das Experiment als gescheitert abzutun.
Diskussionen dieser Art kennt auch Peter Hofmann, LiMux-Projektleiter in München. Auf dem "Open Source Day" der Open Source Business (OSB) Alliance in München berichtete der IT-Experte, dass auch im Zuge von LiMux immer wieder Gerüchte aufkamen, das Projekt sei gescheitert, und München werde zu Microsoft-Produkten zurückkehren. Das sei verständlich, schließlich habe sich das Vorhaben nicht gerade als einfach erwiesen: Viele Beschäftigte mit vielen PC-Arbeitsplätzen, über 50 Betriebsstandorte, eigenständige IT-Organisationen, heterogene Infrastrukturen und Prozesslandschaften sowie der Wechsel auf eine unbekannte Plattform hätten für eine komplexe Ausgangssituation gesorgt. "Es wäre kein Wunder gewesen, wenn wir gescheitert wären", gibt Hofmann unumwunden zu.
Linux-Projekte - große Pläne und leise Tode
Open-Source-Pläne der öffentlichen Hand quer durch Europa haben in den vergangenen Jahren wiederholt für Aufsehen gesorgt. Nachdem 2005 die Stadt Wien offen über einen Linux-Umstieg nachdachte, bejubelten Open-Source-Fans schon den Durchbruch. Heute ist Wienux jedoch faktisch tot. Der freiwillige Umstieg hat offenbar nicht funktioniert. In der Folge musste die Donau-Metropole Millionenbeträge in weitere Microsoft-Lizenzen investieren. Seit 2008 wird Wienux nicht mehr weiterentwickelt. Das System wird de facto nicht genutzt, hieß es. Nur die offizielle Todesnachricht stehe noch aus.
Dadurch wollen sich andere Länder allerdings nicht von ihren Open-Source-Strategien abbringen lassen: In Frankreich hat jüngst Premierminister Jean-Marc Ayrault alle Behörden aufgefordert, wo immer möglich Open-Source-Software zu verwenden.
Italien hat Anfang August dieses Jahres ein Gesetz verabschiedet, das in der Verwaltung den Einsatz von Open-Source-Produkten zur Pflicht macht. Die Regierung im spanischen Baskenland hat angeordnet, dass sämtliche Programme, die für Behörden und die öffentliche Verwaltung geschrieben werden, als Open Source zu veröffentlichen seien. In Island wurde im März 2012 ein Projekt gestartet, um langfristig die gesamte Verwaltung auf Open Source zu migrieren.
Dass die Umstellung auf OpenOffice im Breisgau scheitern würde, hatte sich bereits früher im Jahr angedeutet. Die Projektverantwortlichen bekamen die technischen Probleme immer weniger in den Griff, was zuletzt für wachsenden Unmut unter den Anwendern sorgte. "So beklagten die Ämter unter anderem Programmabstürze, das fehlende Datenbankmodul, hohen Konvertierungsaufwand beim Datenaustausch mit Externen, Probleme beim gemeinsamen Bearbeiten von Dokumenten im Änderungsmodus oder Schwierigkeiten bei der Erstellung von Serienbriefen", hieß es in einer offiziellen Mitteilung der Kommune. Ferner war die Rede davon, dass sich die Tabellenkalkulations- und Präsentationsprogramme von OpenOffice als "deutlich leistungsschwächer" erwiesen hätten als ihre Microsoft-Pendants.
Schlussendlich läutete ein Gutachten vom Mai das Ende des OpenOffice-Projekts in Freiburg ein. Darin kamen die Prüfer zu dem Schluss, dass der durch die Probleme beim Datenaustausch verursachte Parallelbetrieb von Office 2000 und OpenOffice einen hohen Aufwand verursache. Es sei zudem zweifelhaft, ob die Schwierigkeiten hinsichtlich der Kompatibilität und der Schnittstellen von OpenOffice in absehbarer Zukunft gelöst werden könnten. Schließlich werde die in Freiburg eingesetzte Version 3.2.1 nicht mehr weiterentwickelt, und es sei nicht absehbar, welcher der beiden Nachfolger, Apache OpenOffice oder LibreOffice, sich besser einbinden lasse. Fazit: Freiburg soll die Zwei-Produkte-Strategie in Sachen Office aufgeben und flächendeckend Office 2010 von Microsoft einführen.
Außer Spesen nichts gewesen?
Auch in München kann von einer 100-prozentigen Linux-Landschaft keine Rede sein. Es gebe Spezialanwendungen unter Windows, zudem schrieben gesetzliche Vorgaben an manchen Stellen das Microsoft-System vor, berichtete Hofmann. Beispielsweise setzten die Verfahren der Bundesdruckerei für den elektronischen Reisepass bestimmte Produkte und Verfahren voraus. Fingerabdruck-Scanner und das Verschlüsselungsverfahren liefen nur unter Windows. Gleiches gelte für eine Software im Veterinärwesen. Hier sei München verpflichtet, die Anwendung des Landes Bayern zu verwenden: "Das sind Dinge, denen wir uns nicht entziehen können, weil wir nicht Herr der Verfahren sind."
Die Herausforderungen rund um die Arbeit mit Dokumenten, Formularen und Vorlagen habe man in München aber bewältigt - auch wenn es nicht einfach gewesen sei, wie Hofmann einräumt. Schließlich habe sich das komplette Arbeitsumfeld der Nutzer verändert. Im Zuge der Umstellung sei das Projektteam auf so manche Überraschung gestoßen. "Viele Fachbereiche haben das Office-System als Baukasten benutzt", schilderte der Projektleiter. Speziell die Verwendung von Excel als Datenbankersatz sei sehr beliebt gewesen. Diesen Wildwuchs habe man im Zuge von LiMux aufgeräumt. Anwender könnten heute in aller Regel keine Makros mehr programmieren. Außerdem gebe es mit WollMux eine Zentralstelle im System für Vorlagen und Formulare.
Unter dem Strich hat sich der Linux-Umstieg für die Stadt München eigenen Angaben zufolge gelohnt. In einer Vergleichsrechnung wurden die Kosten für ein Windows/Microsoft-Office-Szenario auf 34 Millionen Euro, der Aufwand für Windows und OpenOffice auf knapp 30 Millionen Euro beziffert. Dagegen habe die 2002 beschlossene Linux-Umstellung insgesamt weniger als 23 Millionen Euro gekostet.
Für Freiburg hat sich dagegen das 2007 begonnene Linux-Abenteuer als finanzielles Desaster entpuppt. Zwar seien nach der letzten Lizenzrunde für Microsoft Office rund 800.000 Euro an Lizenzgebühren eingespart worden. Dem ständen jedoch Kosten von 730.000 Euro für die Einführung von OpenOffice gegenüber. Dazu kämen dem Gutachter zufolge Effektivitätsverluste in Höhe von etwa 2,5 Millionen Euro. Die Rückkehr zum Office-Paket von Microsoft werde in den kommenden Jahren zirka 900.000 Euro für Lizenzen, Schulungen und Anpassungen von Vorlagen kosten.
Auch wenn in beiden Städten jetzt ein vorläufiger Schlussstrich unter die Linux-Vorhaben gezogen scheint, werden die Diskussionen mit Sicherheit weitergehen. In München werde es sich 2013 darum handeln, den Linux-Betrieb im IT-Alltag effizient zu etablieren, so die Vorgabe Hofmanns. Dass dabei alles reibungslos verläuft, ist längst nicht ausgemacht.
Die CSU-Opposition im Münchner Stadtrat hat bereits einen IT-Gipfel gefordert, um die LiMux-Nutzung, dabei auftretende Hemmnisse und Probleme insbesondere in der Kompatibilität und Kommunikation mit Behörden außerhalb des Hoheitsbereichs zu analysieren. Seit der Einführung von LiMux habe es immer wieder Probleme gegeben, so der Vorwurf. Der Ausfall von Systemen führe regelmäßig zur "vollständigen Arbeitsunfähigkeit". "Die ist den Mitarbeitern und den Kunden nicht mehr zuzumuten."
Im Breisgau schimpfen vor allem die Linux-Befürworter. Nachdem sich Linux-Verbände bereits im Vorfeld vehement gegen eine Rückkehr zu Microsoft-Produkten ausgesprochen hatten, kritisierten sie die Entscheidung als "Rückschritt hin zu proprietärer geschlossener Software". Viele der Thesen im Gutachten seien bereits im Ansatz falsch. Zudem sei kein Experte für freie Software und Open Source zu Rate gezogen worden. Freiburg habe die Chance verpasst, lokale Wirtschaft und Unternehmen zu stärken, kritisierte die Freiburger Piratenpartei. André Martens, deren Direktkandidat für die Bundestagswahl 2013, sagt:"Diese Entscheidung ist haarsträubend, die politische Signalwirkung verheerend."