Der 15. Dezember des letzten Jahres war ein ganz besonderer Tag für Svezdana Seeger, CIO von Toll Collect. Sie feierte nicht nur ihren 40. Geburtstag, sondern wurde auch besonders beschenkt. Denn das Bundesamt für Güterverkehr erteilte dem Konsortium die lang ersehnte vorläufige Betriebserlaubnis für das Lkw-Mautsystem. Doch Frau Seeger sagt: "Es war nur ein Meilenstein, den wir erreicht haben." Sie war schon immer davon überzeugt, dass das System funktioniert. "Jede einzelne Technologie war erprobt, es ging nur noch darum, die Schnittstellen richtig zu definieren."
Genau neun Monate zuvor, am 15. März 2004, war die Volkswirtin und notorische Optimistin aus der Geschäftsleitung der T-Systems-Sparte Public & Healthcare als Geschäftsführerin Technik zu Toll Collect gewechselt. Mit ihr kam Christoph Bellmer, der neue CEO des Unternehmens, der bei T-Systems ihr Chef gewesen ist. Bellmer hat sie mitgebracht, damit sie den Karren aus dem Dreck zieht.
"Wir sind nicht immer im Doppelpack durchs Leben gelaufen", sagt sie. "Ich glaube aber, dass wir uns wunderbar ergänzen." Während der Ingenieur Bellmer, so das "Handelsblatt", eher rational, kühl und abwartend sei, sei sie stets herzlich und immer gut gelaunt. Mit der Zeit ändere sich der erste Eindruck jedoch bei beiden. Während Bellmer nach einiger Zeit zunehmend auftaue, könne sie bei aller Höflichkeit auch knallhart sein, wenn es einmal nicht so gut laufe. Svezdana Seeger lacht: "Das habe ich auch gelesen. Es beschreibt uns sicherlich nicht unzutreffend."
In dieser "gesunden Härte" liegt der Schlüssel ihres Erfolgs bei Toll Collect. Der Grund, weswegen es ihr und ihrem Team gelungen ist, die Lkw-Maut nach monatelangen öffentlichen Querelen und mit 16 Monaten Verspätung am 1. Januar 2005 weitgehend geräusch- und problemlos einzuführen.
Über ihre Vorgänger möchte Seeger keine Worte verlieren. "Ich kenne sie nicht", sagt sie. Eine ganze Menge sei bei ihrem Amtsantritt ja auch bereits fertig gewesen. Den Erfolg erklärt sich CIO Seeger mit dem Einsatz ihrer Managementmethoden. "Sie haben bei solchen Zeitplänen keine Stunde Zeit zu verlieren - und Sie haben keine Chance, Rücksicht zu nehmen. Denn wenn Sie eine Person schützen, gefährden sie 100 andere." Viele Nächte hat das Team durchgearbeitet, manchmal bis zwei, manchmal bis fünf Uhr.
Tägliche Bilanz, tägliche Meetings
Entscheidend sei das Controlling gewesen. Seeger: "Wenn Sie in einem Krisenprojekt mit einem tagesgenauen Meilensteinplan den Fehler machen, ein wöchentliches Monitoring aufzusetzen, können Sie am Ende der Woche sicher sein, dass Sie mindestens einen der fünf Meilensteine nicht überblickt haben." Deshalb zog das Team ab sofort jeden Abend Bilanz. Ihre täglichen Meetings seien "berüchtigt" gewesen. Bei Nicht-Erreichen der Ziele legte sie zusammen mit den Kollegen Maßnahmen fest, um den verlorenen Tag wieder aufzuholen.
Auch sei es von großer Bedeutung, den richtigen Mitarbeiter am richtigen Platz zu haben, sagt sie. "Es ist wichtig zu überprüfen, ob die richtigen Talente die richtigen Aufgaben haben." Und es dort sofort zu ändern, wo es nicht der Fall ist. Aber Seeger scheint auch eine Gabe zu haben, ihr Team zu motivieren: "Ich habe Vertrauen in ihre Arbeit und ihre Leistung und kenne unsere Meilensteine. Man muss die Ruhe bewahren, nicht mit lauten Tönen oder hektischen Aktionen etwas erzwingen wollen. Schreien kann jeder, doch es bringt keinen Schritt weiter."
Svezdana Seeger hat einen bewegteren Lebenslauf als eine typische IT-Führungskraft. Von der Kindheit in Jugoslawien bis zur CIO bei Toll Collect hat sie stets Mut bewiesen. Am 4. Juni 1980 ist sie als Kind mit ihrer Familie aus Sarajevo, Jugoslawien, nach Frankfurt am Main, Deutschland, gekommen. "Haargenau einen Monat nach Titos Tod. Meine Eltern wollten, dass ich eine Ausbildung bekomme, die in der ganzen Welt gültig ist. Sie sagten schon damals, elf Jahre vor Kriegsbeginn: Das geht nicht gut." In Freiburg studierte sie Volkswirtschaft - ein Kompromiss zwischen Medizin, was ihre Eltern wollten, und ihrem Studienwunsch Elektrotechnik.
Nach dem Abschluss 1986 arbeitete sie drei Jahre als Assistentin der Geschäftsführung bei der UTP GmbH (heute Böhler AG), einer Firma für Schweißanlagen und Zubehör. Von 1988 bis 1992 verantwortete sie bei Christian Dior das Marketing und den Vertrieb der Luxusartikel in den neuen Bundesländern und Osteuropa.
Doch dann kam eine Situation in ihrem Leben, in der sie sich überlegte, "ob das alles, was man macht, richtig oder nicht richtig ist". Sie kündigte von heute auf morgen bei Dior. Von 1992 bis Anfang 1994 wurde sie zur Diplomatin. "Das fällt nicht heraus, wenn man weiß, wo ich herkomme, und man sich das Jahr genau anguckt." Es war die Zeit des Jugoslawien-Kriegs.
In New York sprach sie den Botschafter der UN-Botschaft von Bosnien und Herzegowina an und fragte ihn, was sie für das Land, in dem sie geboren und aufgewachsen ist, tun könne. Einen Tag später begann sie mit der Arbeit. "Wir haben viel für kriegsverletzte Kinder getan, damit sie im Ausland versorgt werden konnten." Die Zeit davor war schwierig: "Wenn man tagsüber mit Luxus umgeben ist und allabendlich am Telefon hört, wer von der Familie noch lebt, wer noch etwas zu essen hat, überlegt man: Schaue ich zu, oder tue ich etwas?" Das "patriotische Jahr" habe ihr sehr viel gegeben: "Die Prioritäten verschieben sich. Sie bekommen eine andere Sicht der Welt." Obwohl ihr der Geschäftsführer von Dior ihren Schreibtisch frei gehalten hatte, ging sie zu T-Systems. Weil sie sich schon immer für Hightech und Technologien interessierte.
Von Bits und Bytes versteht die CIO von Toll Collect allerdings nach eigenem Bekunden bis heute nicht besonders viel. Trotzdem haben ihr die Toll-Collect-Mitarbeiter zu Betriebserlaubnis und Geburtstag scherzhaft einen Ehrendoktorhut als Diplom-Ingenieur überreicht; oben drauf haben sie in Miniatur-Nachbau das Maut-Kontrollsystem abgebildet. Verbunden mit dem Versprechen, "nie mehr zu sagen, ich bin Volkswirtin, ich habe es nicht verstanden".
Gesunder Menschenverstand löst Probleme
Doch manchmal sei ihre zur Schau gestellte Unkenntnis auch von Vorteil gewesen. "Es war unser gemeinsames, beliebtes Spiel, dass die Ingenieure mir oft erklären mussten, was sie tun", sagt Seeger. Ein zusätzlicher Proof of Concept sozusagen. Die CIO erklärt es an einem Beispiel: Beim Test der Mautstellen-Terminals rundete das Display die Zahl der Rechnung stets auf, die Belege jedoch waren korrekt. Seeger: "Die erste Idee meiner Softwareingenieure war ein neues Software-Update. Wir haben dann noch einmal gemeinsam nachgedacht und einfach 3600 Aufkleber gedruckt, auf denen stand: 'Display rundet auf. Ihre Rechnung ist korrekt.' "
Bei ihrer Arbeit hilft Svezdana Seeger auch ihr enormer Optimismus. "Kommen Sie, wann Sie wollen, unangemeldet, ich bin immer so", versichert sie. Dabei legt sie Wert auf die Feststellung, dass sie keineswegs so entspannt sei, wie es aussieht. "Wir haben nicht am 1. Januar angeschaltet und lehnen uns nun zwölf Jahre zurück. Wir haben ein System, das zwölf Jahre läuft. Viele Techniken sollen noch folgen. Und wir denken ständig darüber nach, was man anders und neu machen sollte, damit nicht in zwei Jahren woanders ein besseres System entsteht und unseres schon veraltet ist."