Schimpfen Sie im Alltag? Wenn ja, wie oft? Beleidigen Sie im Alltag? Nur wenige Fragen hat der gelbe Zettel, der momentan im Dresdner Kulturpalast ausliegt. Wissenschaftler der Technischen Universität haben ihn ausgearbeitet. Besucher der städtischen Zentralbibliothek können darauf auch angeben, was ihnen im Allgemeinen auf den Keks geht. Dann kommt der Zettel in die "Motzbox" - ein Kästchen auf dem Tresen. So wollen die Forscher den Dresdnern ihren neuen Sonderforschungsbereich (SFB) zum Thema Schmähungen näherbringen. Es geht nicht um Klamauk, sondern Grundlagenforschung: Für den SFB stellt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) für vier Jahre 7,5 Millionen Euro zur Verfügung.
Schmähungen und Herabsetzungen - in öffentlichen Auseinandersetzungen finden sich in der letzen Zeit zahlreiche Beispiele dafür. Da ist Pegida, deren Vertreter auf dem Platz vor dem Kulturpalast "Volksverräter" rufen. Da ist der SPD-Politiker Sigmar Gabriel, der die Verantwortlichen für die Ausschreitungen in einer Flüchtlingsunterkunft im sächsischen Heidenau als "Pack" bezeichnet. Da ist US-Präsident Donald Trump, der Einwanderer aus Haiti, El Salvador und Afrika Menschen aus "Drecksloch-Staaten" genannt haben soll. Da ist der Satiriker Jan Böhmermann, der mit einem Schmähgedicht, in dem er unter anderem die Formulierung "Ziegenficker" benutzt, eine Staatsaffäre auslöst.
Sind Schmähungen in?
Die Protagonisten könnten unterschiedlicher nicht sein. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Schmähungen benutzen. Sind Schmähungen derzeit also so aktuell ist wie nie? Schon in den 70er Jahren habe es hitzige politische Debatten mit Herabwürdigungen gegeben, relativiert Prof. Gerd Schwerhoff, der für den Forschungsbereich in Dresden spricht. Derzeit habe das Thema aber eine neue Qualität. Da sei zum einen der Aufstieg der populistischen Bewegungen weltweit, die gerade wegen ihres von Herabsetzungen getränkten Politikstils erfolgreich seien. Zum anderen gebe es durch die sozialen Netzwerke neue Dynamiken, die es ermöglichten, Schmähungen schnell und anonym zu verbreiten.
Sie ist ein schillernder Gegenstand, die Herabsetzung, und sie ist komplexer, als es Schimpfwörter zunächst vermuten lassen. In den Teilprojekten werden in Dresden auch exotisch anmutende Themen erforscht: verbale Herabsetzungen in der römischen Gesellschaft etwa und Schmährededuelle im italienischen und deutschen Humanismus.
Ziel des SFB sei es, die Mechanismen der Herabwürdigung zu verstehen und am Ende im Idealfall eine Theorie zu entwickeln, erklärt Schwerhoff. Um Gegenstrategien für unerwünschte Auswüchse von Herabwürdigungen zu entwickeln, müsse man erst einmal verstehen, wie sie funktionieren. (dpa/rs)