Eines muss klar sein: Ich bin nicht zum Vergnügen hier. Dies ist eine harte Recherche, auch wenn es vielleicht nicht so aussieht. Ich liege auf einer angenehm geschwungenen, weichen Polsterliege im Inneren eines roten Kokons. Kleine Leuchtdioden werfen von unten sanft waberndes Licht auf die weichen Stoffwände, die sich nun langsam nach außen wölben - ein murmelleises Gebläse sorgt für Innenspannung, von draußen, aus der Hotellobby, höre ich das Summen großstädtischen Lebens.
Davon bin ich zwar nur durch eine dünne Zeltmembran getrennt, aber trotzdem weit entfernt. Ich befinde mich im "Think Space". Diese "private Oase für eine Person" hat sich der niederländische Innenarchitekt Gilian Schrofer für die Hotelkette Crowne Plaza im Rahmen einer Denkfabrik-Kampagne ausgedacht, die das Reisen für Geschäftsleute annehmlicher machen soll. Schrofer hatte es sich zum Ziel gesetzt, "ein Pendant zum erholsamen Power-Schlaf zu entwickeln, der schon in kurzer Zeit neue Energie bringt".
Ich setze die Kopfhörer auf - eigentlich sollte jetzt loungige Musik für meine Tiefenentspannung sorgen, aber die Anlage funktioniert nicht, und das Kabel verschwindet tief unter einer Teppichklappe in einer abgeschlossenen Box. Egal. Entspannen kann ich auch ohne Musik. Als ich mich wieder hinlege, fällt mein Blick auf ein rätselhaftes, halb schuhkartongroßes silbernes Kästchen neben der Liege. "23 Days left" steht in einem kleinen Digitaldisplay zu lesen.
Belebender als Koffein
Während ich noch darüber grüble, ob sich das auf mein Leben, den "Think Space" oder nur das Kästchen selbst bezieht, wird auf einmal ein Countdown im Display sichtbar: "8.... 7.... 6..." Rätselhafte silberne Kästchen, auf denen Zahlen im Sekundentakt rückwärts laufen, kenne ich nur aus James-Bond-Filmen. Da sind es meist keine freundlichen Kästchen.
"4... 3... 2...." Ich nehme meinen Mut zusammen und das Kästchen in die Hand. Wenn hier James-Bond-mäßig alles in die Luft fliegt, dürfte das auch keine Rolle mehr spielen. Oben ist eine kleine viereckige Öffnung. Ich schaue ganz nah hin. Bei 0 faucht mir das Kästchen plötzlich zischend eine feuchte Pfefferminzduftwolke ins Gesicht.
Ich zucke zusammen. Eigentlich hätte ich nicht überrascht sein dürfen: der "Think Space" wird als "Frische-Kick für alle Sinne" beworben. Pfefferminz, das haben Forschungen ergeben, wirkt angeblich belebender als Koffein. Das kann ich bestätigen. Ich bin jetzt hellwach. Das Kästchen zeigt wieder "23 Days left", und mein roter Kokon riecht nun sehr, sehr frisch.
Basislagerfeeling im Vier-Sterne-Hotel
Aber die Liege ist gemütlich, und jetzt, da ich sicher weiß, dass mir hier niemand nach dem Leben trachtet, sind alle Sorgen fern. Ich denke an das Hamburger Kindermuseum "Klick!", in dem die kleinen Besucher in eine frei aufgehängte Stoffgebärmutter im Innern einer riesigen Puppe schlüpfen können, um zu erkunden, wie sich ungeborene Babys fühlen. Dort ist es dunkel, und man hört einen regelmäßigen, zuverlässigen Herzschlag. Herrlich.
Im "Think Space" ist es ein bisschen heller, aber das regressive Gefühl stellt sich auch hier ein. Statt des Herzschlags hört man den gedämpften Puls des Hotellebens. Das Ganze hat aber auch etwas von einem Outdoor-Erlebnis. Das dürfte am Reißverschluss liegen, den man wie bei einem Zelt hinter sich schließt. Schon skurril: Da geht man in ein Vier-Sterne-Superior-Hotel und macht dann auf dem Absatz der Freitreppe basislagermäßig einen Reißverschluss hinter sich zu.
Ich folge den Instruktionen des Erfinders und knete einen blauen Riesensmartie, weisungsgemäß mit beiden Händen. Das soll beide Gehirnhälften stimulieren. Vielleicht, wird mir währenddessen klar, hat der weiche Knetball auch eine Vorbildfunktion: Egal, wie tief die Dellen sind, die ich hineindrücke, bedächtig und völlig aggressionslos nimmt er ganz allmählich seine ursprüngliche Form wieder an. Es ist schön, diese Form freundlicher Unbeirrbarkeit zu erleben, die man selbst gern hätte.
... ich öffne den Reißverschluss
Ich habe extra nicht auf die Uhr geschaut. Ich knete sanft den blauen Ball, ich schaue sanft auf die roten Wände. Ab und zu zischt das vertraute graue Kästchen. Irgendwann beschließe ich, dass es Zeit ist, zu gehen. Ich öffne den Reißverschluss meines Kokons und blinzle einer kleinen Gruppe von Männern in Anzügen entgegen, die ebenso höflich wie wenig überzeugend so tun, als sei es ein alltäglicher Anblick für sie, in ihrem Hotel auf einem Treppenabsatz blinzelnde Frauen aus roten Kokons schlüpfen zu sehen. Wer weiß: Vielleicht traut sich ja später auch einer von ihnen hinein - wenn gerade keiner von den anderen schaut.