Bis jetzt schien die Video-App Meerkat auf dem Weg zum nächsten Startup-Märchen: 120.000 Nutzer in zwei Wochen, Aufmerksamkeit von einflussreichen Technologie-Blogs. Nun wollten die Macher beim Festival "South by Southwest" groß rauskommen, das bei der Internet-Elite populär ist. Doch am Freitag kam der Dämpfer: Der Kurznachrichtendienst Twitter, auf dessen Plattform Meerkat aufsetzt, schnitt der Video-App den Zugang zu wichtigen Daten über das soziale Umfeld der Twitter-Nutzer ab. Brisanterweise gab Twitter nur wenige Stunden vorher offiziell die Übernahme des Meerkat-Konkurrenten Periscope bekannt.
Meerkat - Englisch für "Erdmännchen", entsprechend ziert das Tier auch das Logo - ist eine App, mit der man Live-Videos vom Smartphone übertragen kann. Ein Grund für das schnelle Wachstum dürfte die Einfachheit sein: Die Übertragung kann mit nur einem Klick gestartet werden. Dann geht ein Link zum Livestream an alle Twitter-Abonnenten des Nutzers. Man kann anstehende Übertragungen auch vorab ankündigen.
Dass Meerkat zu einem Senkrechtstarter wurde, mag überraschen - denn Apps für Live-Video gibt es bereits jede Menge. "Livestreaming-Apps wie Ustream, Livestream oder Bambuser sind fast so alt wie das iPhone selbst", sagte der deutsche Journalist und Blogger Richard Gutjahr, der mit Meerkat von "South by Southwest" aus Austin (Texas) sendet. Noch nie seien die Funktionen aber so konsequent und schnörkellos umgesetzt worden: "Ein Knopfdruck und du bist auf Sendung."
Meerkat setzt auf Twitters Entwicklerplattform Fabric auf, die andere Apps mit dem Kurznachrichtendienst verknüpfen soll. Der Videodienst griff bei Twitter die Informationen darüber ab, wer wem bei dem Kurznachrichtendienst folgt, und übertrug dieses soziale Umfeld in die eigene Plattform. Damit ersparte Meerkat den Nutzern den Aufwand, ihre Kontakte in der App selbst pflegen zu müssen, was das Erlebnis noch reibungsloser machte.
Zugleich konnte Meerkat dadurch Hinweise auf Video-Streams von Kontakten aus dem Twitter-Netzwerk verschicken. Nachdem Twitter die Verknüpfung kappte, wird es also zumindest für neue Meerkat-Nutzer etwas schwieriger, Übertragungen mitzubekommen. Zugleich bleibt die Funktionalität für bisherige Mitglieder komplett erhalten.
Die Einschränkungen gingen auf interne Regeln zurück, sagte eine Twitter-Sprecherin unter anderem dem "Wall Street Journal". Die Links zu den Livestreams werden aber weiterhin über Twitter verschickt. Und auch die Anmeldung mit dem Twitter-Konto ist nach wie vor möglich.
Die Einschränkungen seien nur ein kleines Hindernis für seine App, schrieb Mitgründer Ben Rubin danach bei Twitter. Es sei aber "ein trauriger Tag für die Twitter-Entwicklergemeinde". Der Kurznachrichtendienst hatte bereits in den vergangenen Jahren Streitigkeiten mit Anbietern von Apps zur Twitter-Nutzung gehabt, unter anderem wenn es um Markennamen ging.
Twitter war schon damals vorgeworfen worden, Entwickler für das eigene Geschäft auszubremsen: Der Dienst verdient sein Geld mit Werbung wie etwa bezahlte Tweets im Nachrichten-Strom der Nutzer. In den Apps tauchen die Anzeigen normalerweise nicht auf.
Jetzt fällt das Vorgehen gegen Meerkat mit dem Kauf von Periscope zusammen - einer App, deren Service noch nicht öffentlich verfügbar ist. Unklar blieb zunächst, wieso Twitter eine Regelverletzung durch Meerkat beim Zugriff auf die Nutzerdaten zunächst zwei Wochen tolerierte. Laut einem Tweet von Periscope arbeitet die Firma bereits seit Januar unter dem Dach von Twitter. In Medienberichten war von einem Kaufpreis bei 100 Millionen Dollar die Rede.
Meerkat sei in nur acht Wochen von seinem Mitgründer Itai Danino geschrieben worden, erläuterte der 27-jährige Rubin. Inzwischen hat das Team elf Leute. Die Idee entstand aus einer Enttäuschung: Danino hatte nach gut einem Jahr seine Video-App "Yevvo" eingemottet, die zwar 400.000 registrierte Nutzer, aber wenig Aktivität hatte. Zugleich stützt sich Meerkat auf die von Yevvo übriggebliebene technische Infrastruktur.
Meerkat dürfte trotz des Dämpfers durch die aktuelle Twitter-Krise kommen, es bleibt aber die Frage nach einem Geschäftsmodell. Es sei schwer, einem zufälligen Nutzer einen Mehrwert zu bieten, warnte der Gründer des Vorläufers Justin.tv, Justin Kan, im Tech-Blog "The Verge". Kan sattelte schließlich mit dem Dienst Twitch auf die Übertragung von Videospiel-Geschehen um, Amazon kaufte diesen Service für nahezu eine Milliarde Dollar.
Journalist Gutjahr sieht auf jeden Fall Veränderungs-Potenzial für die Medienbranche. "Meerkat kommt zur richtigen Zeit mit dem richtigen Angebot", sagte er. "Heute muss Video live, ungeschminkt und direkt sein." Qualität sei zweitrangig. "Diese Unmittelbarkeit schafft Nähe, wie das im klassischen Fernsehen niemals möglich wäre." (dpa/tc)