Seit Januar 2006 ist einiges anders bei Vattenfall. Die Berliner Bewag und die Hamburger HEW gehören seitdem in die Geschichtsbücher und heißen nun Vattenfall Europe Berlin und Vattenfall Europe Hamburg – unter dem Dach der "Business Group“ Vattenfall Europe. Die Verteilungsnetzbetreiber in Berlin und Hamburg werden nun als rechtlich selbstständige Geschäftseinheiten geführt.
Im schwedischen Mutterkonzern hat Vattenfall-Chef Lars G. Josefsson bereits vor einigen Monaten die strategischen Gruppenfunktionen und die für die Steuerung der Geschäftseinheiten in Finnland und Schweden zuständigen Business Group Vattenfall Nordic voneinander getrennt. Das polnische Geschäft ist seit August 2005 ebenfalls als Business Group mit mehreren Geschäftseinheiten organisiert.
Das hat auch Konsequenzen für die IT-Governance: Seit Juli forciert Claes Wallnér als Group-CIO in der Stockholmer Holding die Einführung übergeordneter Standards für die IT-Infrastruktur, wie ein gemeinsames Datennetz und ein konzernweites Active Directory – ein Verzeichnisdienst für die Verwaltung des Netzes. "Derzeit läuft eine Ausschreibung für konzernweit einheitliche PCs und Monitore“, so Rösch.
Unter Wallnér verantworten drei CIOs jeweils die IT in den Business Groups Nordic für den skandinavischen Raum, Poland für den polnischen Markt sowie die mit 60 Prozent Umsatzanteil größte Einheit, Vattenfall Europe, die bislang fast ausschließlich am deutschen Strom- und Wärme-Markt agiert.
Vattenfall Europe-CIO Rösch hat allerdings keine Befürchtungen, dass seine Harmonisierung im Rahmen der Integration von Bewag, HEW, LAUBAG und VEAG - etwa der konzernweit einheitliche SAP Classic-Mandant für mehr als 60 Konzernunternehmen und das Billing-System SAP IS-U - nun übergeordneten Standards der Vattenfall-Gruppe zum Opfer fallen. Dazu sind die Märkte in Skandinavien, Polen und Deutschland und deren Geschäftsprozesse zu verschieden.
Erst Mitte 2005 trat das neue Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) in Kraft, das eine Entflechtung zwischen den "Wettbewerbs“-bereichen Erzeugung und Vertrieb sowie den "Monopol“-bereichen Übertragungs- und Verteilnetz regelt. Auf neudeutsch sprechen die Manager von "Unbundling“.
Das deutsche EnWG ist eine spezielle Umsetzung der EU-Direktiven. "Es ist zu erwarten, dass die deutsche Bundesnetzagentur (BNetzA) noch viele Detailregelungen erlassen wird“, kommentiert Rösch, "in den nordischen Ländern gelten andere Regeln“.
Das EnWG reglementiert mit dem Unbundling die bestehenden Informationskanäle zwischen den Wettbewerbs- und Monopolbereichen: "So müssen die Verteilungsnetzbetreiber nun sicherstellen, dass der konzerneigene Vertrieb wirtschaftlich sensible Informationen nur über Kunden erhält, mit denen er für den betreffenden Zeitraum einen Liefervertrag hat“, so Rösch. Die Nutzung anderer beim Verteilungsnetzbetreiber vorhandenen Daten hingegen ist verboten – wie etwa zu "Kundenrückgewinnungskampagnen“.
Im Klartext heißt das: Kunden müssen aus der Datenbank verschwinden, die ein Jahr lang keinen Strom mehr abgenommen haben. Diese Trennung zwischen aktuellen, alten und zu löschenden Daten hinzubekommen, war und ist eine Herausforderung für Rösch. Diese Trennung will der Vattenfall Europe-CIO über ein passgenaues Berechtigungskonzept in den Abrechnungssystemen und Data Warehouses bewerkstelligen: "Bis 2007 soll die Software, also SAP IS-U, dazu in der Lage sein“, so Rösch.
Das dies nicht so ganz trivial ist, darauf deutet die Formierung der IDEX-Initiative hin. Hier kooperieren namhafte Energieversorger mit SAP, nach Angaben von PAC der unangefochtene Marktführer im Energieversorgermarkt, um Anforderungen an die Weiterentwicklung der Software und für ein einheitliches Customizing für die regulierten Geschäftsprozesse zu definieren.
Das EnWG lässt viel Raum für Interpretationen: "Delegierte der Energiewirtschaftsverbände und der Software-Branche treffen sich regelmäßig mit der Bundesnetzagentur, um die Festlegung einheitlicher Standards und Regeln voranzutreiben“, so Rösch. Bisher freiwillig ist etwa eine Nutzung des EDI-Verfahrens zum Datenaustausch zwischen den Lieferanten und den mehr als 900 Netzbetreibern. "Datenformate auf EDI-Basis werden demnächst Pflicht“, vermutet Rösch.
Die Verteilungsnetzbetreiber der Vattenfall Europe bauen neuerdings eigene Websites auf, "um wirtschaftlich relevante Informationen allen Marktteilnehmern zeitgleich und diskriminierungsfrei zur Verfügung zu stellen“, so Rösch. Zudem ist davon auszugehen, dass die Bundesnetzagentur ein detailliertes Reporting fordern wird. CIO Rösch stellt sich darauf ein neue Funktionalitäten einzuführen, um die Kapital-, sowie die Betriebs- und Wartungskosten der Netzanlagen als Grundlage für die Kalkulation der Netznutzungsentgelte detailliert nachzuweisen. Die "Umsetzung der regulatorischen und betriebswirtschaftlichen Anforderungen zum gesellschaftsrechtlichen und informatorischen Unbundling“ gibt Rösch daher auch als eine der wichtigsten künftigen Aufgaben an.
Wichtiger Dienstleister für Rösch ist die Vattenfall Europe Information Services GmbH in Hamburg, die mit 650 Mitarbeitern den überwiegenden Teil der IT-Aufgaben für den Energieversorger abdeckt. Derzeit führt die IT-Tochter in der Vattenfall-Gruppe ein einheitliches Web Content Management System für alle Internet- und Intranet-Auftritte ein, wie es bei Vattenfall Europe bereits seit 2004 in Betrieb ist. "Wir versuchen mit Innovationen ein Vorreiter zu sein“, so Rösch, "und fühlen uns bestätigt, wenn unsere Lösungen in der Vattenfall-Gruppe übernommen werden“.