Bankenkrise, Finanzkrise, Währungskrise: Der Bund muss viele Milliarden Euro aufwenden, um die Märkte zu stabilisieren. Statt die Steuern zu senken, wie versprochen, werden neue Sparpakete geschnürt. Doch es gibt einen Bereich, wo seit Jahren über fünf Milliarden Euro plus Zinsen auf den Bund warten.
Wir erinnern uns: Am 31. August 2003 sollte das das Mautsystem in Betrieb gehen, doch technische Pannen, Lieferschwierigkeiten, Größenwahn und missglücktes Projektmanagement machten den Projektstart zur immer wieder verschobenen Lachnummer. Das "CIO Magazin" berichtete damals als erste Publikation über die zu erwartenden Schwierigkeiten und Probleme, über die am liebsten niemand sprechen wollte. Erst seit Anfang 2005 funktioniert das mit On Board Units, Satellit und Mobilfunk hochgerüstete System wirklich – wenn auch noch nicht ganz vollständig, was die On-Board-Units anging. Am 1. Januar 2006 wurde das Mauterhebungssystem dann mit allen Funktionen gemäß Betreibervertrag installiert und in Betrieb genommen. Toll Collect erhielt am 20. Dezember 2005 die vorläufige Betriebserlaubnis gemäß Betreibervertrag und betreibt das Mauterhebungssystem seitdem auf Basis der vorläufigen Betriebserlaubnis.
Die damalige rot-grüne Bundesregierung war wütend, der Bund will seitdem von den Konsortialpartnern von Toll Collect, Deutsche Telekom (45%) und Daimler Financial Services (45%) und Cofiroute (10%), 3,3 Milliarden entgangene Mauteinnahmen sowie Vertragsstrafen von 1,7 Milliarden Euro haben. Die Vertragsstrafen beruhen auf angeblichen Verletzungen des Betreibervertrags (fehlende Zustimmung zu Unterauftragnehmerverträgen, verspätete Bereitstellung der On-Board-Units und Kontrolleinrichtungen). Im Juni 2006 begann der Bund damit, seine monatlichen Vorauszahlungen der Vergütung an Toll Collect in Höhe mit den Forderungen aufzurechnen.
Das Gericht tagt geheim, es herrscht strengstes Schweigen
Zunächst machte der Bund sogar Ansprüche auf entgangene Mauteinnahmen in Höhe von rund 3,5 Milliarden Euro nebst Zinsen (fünf Prozent pro Jahr über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Einreichung der Schiedsklage) geltend - unter anderem wegen Täuschung hinsichtlich der Möglichkeit der Aufnahme des Wirkbetriebs zum 1. September 2003. Im Mai 2008 reduzierte der Bund seine Ansprüche aber geringfügig auf jetzt noch rund 3,3 Milliarden nebst Zinsen.
Doch die Toll-Collect-Partner sahen das gar nicht ein und verlangten am 25. Mai 2007 ihrerseits Geld vom Bund. Ihre Behauptung: Der Bund habe vertragswidrig ihre Vergütung gekürzt. Am 15. Mai 2009 kam die Toll Collect GmbH hinzu, alle zusammen wollen nun ihrerseits vom Bund 0,7 Milliarden Euro nebst Zinsen Außerdem verlangen sie vom Bund die Erteilung der endgültigen Betriebserlaubnis.
2004 leitete der Bund juristische Schritte ein. Am 2. August 2005 landete der Streit erstmals bei dem dafür laut Vertrag vorgesehenen Schiedsgericht. Dem Schiedsgericht gehören an: Der damalige (bis 2008) Präsident des Bundesgerichtshofs und heutige Versicherungsombudsmann Günter Hirsch und die Münchener Rechtsprofessoren Horst Eidenmüller (benannt vom Bund) und Claus-Wilhelm Canaris (benannt von den Toll-Collect-Gesellschaftern).
Doch so recht voran zu kommen, scheint das Schiedsgericht nicht. Wobei die Öffentlichkeit allerdings nicht so richtig mit bekommt, was dort eigentlich vor sich geht. Denn das Gericht tagt geheim. Selbst wann das Gericht wo tagt, ist nicht herauszubekommen. Alle Beteiligten haben strengstes Schweigen vereinbart. Fragen werden eigentlich nicht beantwortet.
Hier eine Auswahl der Antworten auf die Fragen von CIO.de: „Zum Schiedsverfahren nimmt die Toll Collect GmbH keine Stellung, bitte wenden Sie sich an unsere Konsorten", schreibt Martin Rickmann, Leiter Kommunikation der Toll Collect GmbH. „Da es sich um ein nicht-öffentliches, laufendes Verfahren handelt, können wir leider keine Angaben zum Sachstand machen", teilt ein Sprecher des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung mit. Und wer trotzdem etwas erzählt, möchte nicht zitiert werden.
Die Beteiligten spielen offenbar auf Zeit
Der Sprecher der Deutschen Telekom Andreas Middel schickt immerhin einen Auszug aus dem jüngsten und öffentlichen Geschäftsbericht des Konzerns von 2009. Hier steht alles ganz genau drin, zum Beispiel, was nach dem Einreichen der Klage des Bundes geschah:
Die Deutsche Telekom setzte sich gegen die ihrer Meinung nach unbegründeten Ansprüche zur Wehr. Die Klageerwiderung wurde dem Schiedsgericht am 30. Juni 2006 zugestellt. Die Replik der Klägerin wurde dem Schiedsgericht am 14. Februar 2007 zugestellt. Die Duplik der Beklagten wurde dem Schiedsgericht am 1. Oktober 2007 übergeben. Am 7. Januar 2008 und am 6. Februar 2008 gingen dann weitere Erklärungen des Bundes ein.
Dann tagte das Schiedsgericht zum ersten Mal: Im Juni 2008 fand die erste mündliche Verhandlung statt, in der das Schiedsgericht rechtliche Fragen mit den Schiedsparteien erörterte. Eine schiedsgerichtliche Entscheidung über die geltend gemachten Ansprüche wurde jedoch nicht getroffen. Auf Beschluss des Schiedsgerichts legten die Schiedsparteien Ende September 2008 der jeweils anderen Partei Unterlagen sowie Ende November 2008 eine schriftliche Stellungnahme zu den in der mündlichen Verhandlung erörterten Rechtsfragen und den vorgelegten Unterlagen vor.
Am 15. Mai 2009 nahmen die Parteien schriftlich Stellung zu der jeweiligen Stellungnahme der anderen Partei. Ferner setzte das Schiedsgericht eine weitere mündliche Verhandlung auf den 19. bis 22. Oktober 2009 an. In diesem Zusammenhang ordnete das Schiedsgericht die Vorlage weiterer Unterlagen und Dokumente sowie Zeugenvernehmungen an und benannte drei Plausibilitätsgutachter, die die bisher von den Parteien vorgelegten Gutachten bis zum 30. September 2009 hinsichtlich ihrer Plausibilität bewerten sollten.
Doch als Beobachter hat man den Eindruck, die Beteiligten spielen auf Zeit: Denn im Sommer 2009 versuchten die Konsortialpartner den vom Bund benannten Schiedsrichter wegen Befangenheit zu kippen. Das Schiedsgericht beschloss daraufhin am 4. September 2009, den Termin zur mündlichen Verhandlung und zur Abgabe der Plausibilitätsgutachten aufzuheben. Am 30. September 2009 wies das Schiedsgericht das Ablehnungsgesuch zurück. Gegen diese Entscheidung wiederum stellten die Beklagten am 6. November 2009 einen Ablehnungsantrag beim Verwaltungsgericht Berlin. Das hat am 17. Februar dieses Jahres den Antrag abgelehnt.
Bislang verdienen nur Anwälte
Jetzt soll ein neuer Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung bestimmt werden. Doch „im Moment stoppt das Verfahren, es gibt noch keinen neuen Verhandlungstermin, und es passiert nicht viel", heißt es aus den Kreisen Beteiligter.
Für Telekom und Daimler könnt es für den Fall der Fälle teuer werden, beide Konzerne haben wohl für den Fall der Fälle keine Rückstellungen gebildet. Die Risiken und Verpflichtungen von Cofiroute sind auf 70 Millionen Euro beschränkt. Die Konsortialpartner glauben an ihre Unschuld und die Unbegründetheit der Forderungen des Bundes.
Doch, so kann man sich denken, ist der Streit nicht besonders gut für die weitere Vermarktung des Maut-Projekt, das eigentlich als weltweiter Verkaufsschlager gedacht war. Auch für das Ansehen von Public Privat Partnership ist die LKW-Maut-Einführung keine Vorzeigeprojekt. Deshalb wäre es gut, wenn sich die Beteiligten bald auf einem Kompromiss einigen könnten. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CDU) rechnet angeblich erst Ende 2011 mit den Toll-Collect-Milliarden. Derzeit aber verdienen nur die Rechtsanwälte und die Richter.
Der Bund hat bisher allein knapp 60 Millionen für das Verfahren ausgegeben. Dort haben sich die Kanzleien Linklaters (Berlin), Beiten Burkhardt (Berlin), Olswang (Berlin) und Oppenhoff & Partner (Köln) mit dem Streitfall beschäftigt. Auf Seiten der Telekom kämpft Hengeler Mueller (Berlin), Daimler wird durch Shearman & Sterling (Düsseldorf) vertreten.
Klar ist: Im Jahr 2015 läuft der Mautvertrag aus, 2013 soll wohl neu ausgeschrieben werden. Unklar ist, ob sich Deutsche Telekom und Daimler wieder bewerben. Schiedsverfahren seien für die Wirtschaft attraktiv, „weil das Verfahren flexibler sei und sich über mehrere Jahre uns Instanzen hinziehe", hat Günter Hirsch einmal gesagt. Wenn er sich da nicht mal verrechnet hat.