Reinhard Eschbach liebt diesen Vergleich: "Die Situation auf dem Touristikmarkt ist wie eine Rafting-Tour. Wir wissen nie, wann die nächste Stromschnelle kommt. Aber es ist klar, dass wir es nur im Team schaffen. Und es muss auch Spaß machen." Spaß? Eine Krise und deren Bewältigung? Auf die Idee, so der erste Gedanke, kann nur ein CIO der Tourismusbranche kommen. Schließlich ist bei den Urlaub-Machern Spaß Pflicht und nichts verpönter als Miesepetrigkeit und schlechte Laune. Das Erstaunliche ist: Es funktioniert wirklich. Sparen, um eine Krise zu meistern, kann Spaß machen. Alles eine Frage der Methode.
Dabei war schon im Februar dieses Jahres, als alles anfing, niemandem mehr zum Lachen zumute im Reisegewerbe. TUI, Nummer eins der Branche, und Thomas Cook, die Nummer zwei, mussten für den Januar zweistellige Umsatzrückgänge verkünden. Tendenz: weiter fallend. Tourismusexperte Ulrich Reinhardt von der BAT Stifung für Zukunftsfragen sagte damals: "Die alte Erfolgsformel ,Am Urlaub wird zu allerletzt gespart‘ steht vor ihrer größten Bewährungsprobe." Und: "So viel Ratlosigkeit hatten wir seit 25 Jahren noch nicht." Auf eine Idee kommt man natürlich immer: sparen. Alltours, viertgrößter Anbieter in Deutschland, kürzte den Werbeetat um 3,5 Millionen Euro, Marktführer TUI kündigte gar Kurzarbeit an.
Start mit Vollversammlung
Bei Thomas Cook trat das Management zwar Anfang des Jahres nicht ganz so drastisch auf die Bremse, aber die Kosten mussten ebenfalls runter. Auch in der IT. CIO Reinhard Eschbach: "Natürlich hatten wir schon in den Jahren zuvor Maßnahmen ergriffen, um schlanker und effizienter zu werden. Doch im Februar 2009 war für uns die entscheidende Frage: Wie gehen wir mit den Herausforderungen der Finanzkrise um?"
Eine Möglichkeit wäre gewesen: das Einsparziel festlegen und die entsprechenden Maßnahmen von oben nach unten durchdrücken. Eschbach: "Auf den ersten Blick ist das immer der einfachste Weg. Aber die Motivation der Mitarbeiter sinkt dabei auf den Nullpunkt, und zu wirklich guten Ergebnissen führt das auch nicht. Denn es geht doch nie nur ums Sparen, sondern darum, seine Innovationskraft dabei nicht zu verlieren und in Kernbereichen weiterhin top zu sein."
Heißt übersetzt: Sparen ja, aber bitte an den richtigen Stellen. Nur: Welche sind das? Um das herauszufinden, wählten die Verantwortlichen einen Weg, der nur selten beschritten wird, obwohl er eigentlich der naheliegendste ist: Sie fragten die eigenen Leute. Am 25. Februar gab es eine Vollversammlung aller IT-Mitarbeiter - etwa 160 Köpfe. An diesem Tag prägte Eschbach das Bild mit der Rafting-Tour, sprich Sparen als - wenn auch nicht ganz ungefährliche - Spaßveranstaltung.
Und als Teambuilding-Maßnahme. Es entstanden vier Task Forces: ‚Euro‘ mit dem Kernthema "Was können wir abschalten/Welche Systeme brauchen wir nicht mehr?"; ‚Speed‘ ("Wie können wir schneller werden?"); ‚Future‘ ("Wie sieht die Systemlandschaft der Zukunft aus?") und ‚Team‘ ("Was können wir tun, um die Mitarbeiterzufriedenheit zu erhöhen?"). Innerhalb von nur drei Tagen hatten sich 40 Mitarbeiter bereit erklärt, in den Task Forces mitzuwirken. Deren Arbeit dauerte vier bis fünf Wochen, heraus kamen unzählige Projekte, von denen einige noch laufen.
Die schnellsten Ergebnisse: Auf Anregung der Mitarbeiter verschwanden zwei chronische Nervereien, die, wenn auch auf den ersten Blick banal, immer wieder Ursache für Zeitverschwendung waren. Reinhard Eschbach: "Vor jeder Präsentation mit dem Beamer ging die fieberhafte Suche nach einem Laptop los. Warum, fragten die Mitarbeiter, lassen wir nicht Beamer und einen Laptop ständig zusammen?" Zweiter, ähnlicher Alltagsirrsinn: Immer wenn bei Workshops Fotoprotokolle entstehen sollten, war gerade keine Digitalkamera zur Hand. Jetzt werden solche Geräte zentral gelagert und ausgeliehen.
Riesenspareffekte sind mit solchen Dingen natürlich nicht zu erzielen, aber dafür gab es ja die Task Force ‚Euro‘. Mitgemacht hat Rainer Wegmann, im täglichen Arbeitsleben Projekt-Manager im Vertrieb bei Thomas Cook. "Als Erstes haben wir alle IT-Mitarbeiter angeschrieben und gefragt, wo man ihrer Meinung nach sparen kann. Über 100 Vorschläge kamen zurück, mit etwa 30 davon haben wir uns intensiv beschäftigt."
Weil es in der Thomas-Cook-IT nicht nur eine Vollkostenrechnung, sondern auch Betriebsbudgets für alle Produkte, sprich Anwendungen, gibt, wussten die Beteiligten von Beginn an, welche Maßnahme wie viel bringt. Einfach abklemmen, was am teuersten ist, ging natürlich nicht, und selbst dort, wo Anwendungen redundant vorhanden sind, war das Problem knifflig.
Wie gut sich eine Task Force in so einem Fall eignet, zeigte sich am Beispiel der Flugplanungssysteme. Thomas Cook betreibt zwei davon. Rainer Wegmann: "Natürlich waren einige Mitarbeiter vorher der Meinung, wir sollten System A abschalten, andere hielten System B für entbehrlich. Jetzt saßen Vertreter beider Lager zusammen, und wir konnten das Für und Wider diskutieren. In der Task Force hatten wir die Chance, das Große Ganze zu sehen und nicht nur einen Ausschnitt des Problems." Ergebnis der Draufsicht: Ganz abgeklemmt wird keine der beiden Anwendungen, stattdessen führt man sie jetzt zu einer Einzigen zusammen.
Zweiter, ähnlich gelagerter ‚Euro‘-Sparvorschlag: Bis dato unterhielt fast jede der Vertriebsketten von Thomas Cook - zum Beispiel Holidayland - ihr eigenes Intranet. In Zukunft bleiben diese zwar aus Nutzersicht eigenständig, werden aber auf einer gemeinsamen Plattform betrieben.
CPU-Nutzung nachts gratis
Schlichter, aber höchst wirkungsvoll, ist ‚Euro‘-Vorschlag Nummer drei: Partner Lufhansa Systems lässt sich für die CPU-Nutzung bis 17 Uhr volumenabhängig bezahlen, abends und nachts dagegen ist sie gratis. Da lag es natürlich nahe, aufwendige Berechnungen von den Systemen künftig nachts erledigen zu lassen. Ebenfalls evident: Beim Roll-out von neuen PCs soll nicht mehr jeder Schreibtisch mit einem Rechner ausgestattet werden, sondern jeder Mitarbeiter. Bedeutet: Schreibtische, die im Augenblick nicht besetzt sind, bekommen zunächst auch keinen neuen PC.
Als Signal, dass die Mannschaft verkleinert werden soll, verstand das niemand. "Angst um den Arbeitsplatz gab es nicht", sagt Rainer Wegmann. "Wir hatten ja schon in den vergangenen Jahren nie unter Arbeitsmangel gelitten, und ständig stehen neue Projekte an, um die sich jemand kümmern muss."
Schließlich ist ein moderner Touristikkonzern in erster Linie ein IT-Unternehmen und kann nur erfolgreich sein, wenn er in der Lage ist, effizient große Mengen heterogener Daten der unterschiedlichen Partner zu verarbeiten. Und vor allem: schnell. Folgerichtig nannten Reinhard Eschbach und seine Mitstreiter die zweite Task Force ‚Speed‘, wobei der Begriff eine doppelte Bedeutung hatte. Gunter Müller, der in der Truppe mitarbeitete: "Wir haben zwar auch über mittel- und langfristige Dinge nachgedacht, aber im Vordergrund stand klar das Kurzfristige. Es ging darum, schneller zu werden, und das möglichst schnell." Zum Beispiel beim Transfer von Angebotsdaten zu den verschiedenen Internetportalen, über die Reisen von Thomas Cook auch gebucht werden können. Opodo ist eins davon, Expedia ein anderes.
Internet löst Beratung ab
Diese Sites sind heute Partner aller großen Touristikkonzerne, gleichzeitig ist ihr Erstarken aber - neben der Wirtschaftskrise - eine Ursache für die Probleme der großen Pauschalanbieter. Weil heute jeder seine Reise selbst online konfigurieren kann wie einen Pkw. Flug, Hotel, Mietwagen, der nächste Trip lassen sich nach dem Best-of-Breed-Prinzip zusammenbasteln, die Hilfe von Thomas Cook oder TUI ist dafür nicht unbedingt notwendig. Opodo & Co. verkaufen aber nicht nur Flug und Hotel separat, sondern darüber hinaus alles, was es auf dem Urlaubssektor so gibt. Also auch die Reisen von Thomas Cook. Und weil das Internet als Vertriebsweg immer wichtiger wird, muss es ständig mit den neuesten Angeboten gefüttert werden, möglichst schnell. Ein - bereits abgeschlossenes - Projekt der ‚Speed‘-Task-Force kümmerte sich deshalb darum, neue Angebotsdaten aus den verschiedenen Thomas-Cook-Systemen schneller an die Internet-Portale zu liefern. "Wenn ich Preisreduktionen sofort mitteile, dann werde ich auch gebucht", sagt Gunter Müller, von dem dieser Vorschlag stammte.
Aus dem Einsparkatalog der IT-Mitarbeiter bei Thomas Cook: Sparvorschläge mit kurzfristiger Wirkung
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Ein zweites, sehr effektives Projekt der ‚Speed‘-Gruppe: die Konsolidierung der Preisdaten. Bei der Thomas-Cook-Tochter Neckermann zum Beispiel gibt es eine Fülle unterschiedlicher Kataloge. Und zwar nicht nur für unterschiedliche Länder wie Deutschland und Österreich, sondern auch für verschiedene Reisetypen und Zielgruppen. ‚City‘, ‚Family‘, ‚Sports‘ – jedes Segment vermarktet sich mit eigenem Katalog. Bisher, erzählt Gunter Müller, haben die Abteilungen die Preiskomponenten, die jeder Trip braucht, eigenständig gepflegt, jeder hat quasi sein eigenes Rad erfunden.
Um das zu vermeiden, entstehen jetzt Referenzpreise für alle Reiseteile, also feste Preismodule, die einheitlich von allen genutzt werden. Die Arbeit in der Task Force hat Gunter Müller nicht nur Spaß gemacht, er hält die Sparmethode auch für höchst effizient. "Das waren ja alles Ideen aus der Praxis, und das bedeutet, dass bei jedem Vorschlag die Garantie, dass das auch umsetzbar ist, quasi zwangsläufig mitgeliefert wird."
Taskforce ‚Future‘ läuft noch
‚Future‘ war die Bezeichnung für die dritte Task Force der Thomas-Cook-IT. Es ging darum, auf den skizzierten Wandel im Markt zu reagieren und den Trend zu immer mehr Vielfalt und Individualisierung in und mit den eigenen Systemen langfristig besser abzubilden. Konkret heißt das zum Beispiel, den Hoteleinkauf (halb-)automatisch abzuwickeln. Enrica Claus, die als Projekt-Managerin Business Solution Management das ‚Future‘-Team unterstützte: "Bisher läuft es so, dass unsere Mitarbeiter sich ein neues Hotel in der Zielregion ansehen. Wenn es geeignet ist, schreiben sie die Infos dazu händisch in unser System."
Zukunftsträchtig ist diese Methode nicht wirklich, wenn es immer mehr und immer neue Anbieter gibt, die angebunden werden müssen. Die Lösung: "Wir werden eine Art Adapter in unser System einziehen, eine Middleware, die es erlaubt, lokal erfasste Änderungen - beispielsweise eines Hotels - automatisch mit unseren Systemen zu synchronisieren." So etwas, sagt Enrica Claus, "stemmt man natürlich nicht in zwei Monaten, das Projekt läuft noch. Es hat Spaß gemacht, gemeinsam mit Kollegen was auf die Beine zu stellten, die eine ganz unterschiedliche Sicht auf Dinge haben. Das Wir-Gefühl wurde durch die Task Force eindeutig gestärkt." Wir-Gefühl: Das wollen immer alle, und deshalb hieß das vierte Boot der Sparen-mit-Spaß-Tour bei Thomas Cook natürlich ‚Team‘. Steuermann: CIO Reinhard Eschbach himself. Als größte Schwäche bei der Kommunikation untereinander machte ‚Team‘ schnell ein gewisses Informationsdefizit aus.
Ivan Tott, Projektleiter Data Warehouse: "Vielen war unklar, was sie genau tun mussten, wenn sie eine bestimmte Information brauchten. Es wussten schlicht nicht alle, wer wofür zuständig ist." Es entstanden ein Forum und ein Wiki als Wissensdatenbank und eine Art Who’s who der IT-Abteilung. Kollegen stellen darin sich und ihre Arbeit vor, beschreiben genau, an welchen Projekten sie gerade arbeiten. Das vermeidet Doppelarbeiten, weil jeder schnell erfahren kann, wer im Team sich schon mal mit einem bestimmten Thema beschäftigt hat.
Was mehr Offenheit untereinander in der Praxis bedeutet, erfuhr als Erster CIO Reinhard Eschbach. "Kurz nachdem ich im Forum den Beitrag über mich eingestellt hatte, rief mich ein Mitarbeiter an und sagte: Hand aufs Herz, das hat doch Ihre Sekretärin geschrieben, oder? So war es zwar nicht, aber der Anrufer hatte insofern recht, als ich den Text einfach aus einem Vortrag rauskopiert hatte. So was merken die Leser natürlich. Ich habe mir dann noch mal mehr Mühe gegeben."
Dass Firmen ihre Mitarbeiter nach den besten Sparvorschlägen fragen, ist die absolute Ausnahme, sagt Marjo-Riitta Parzefall, Juniorprofessorin für Organisation an der European Business School in Oestrich-Winkel. "Oft werden sogar die Abteilungsleiter erst im letzten Moment über die Details eines Sparprogramms informiert. Vor allem wenn Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, ist es mit dem Miteinander schnell vorbei." In der IT-Abteilung von Thomas Cook war das nicht der Fall, deshalb konnte der Glaube an das Wir-sitzen-alle-in-einem-Boot und Nur-gemeinsam-können-wir-es-Schaffen intakt bleiben. Bisher jedenfalls.
Was nur in Powerpoint funktioniert
Selbst wenn es härter kommt: Die eigenen Mitarbeiter nach Sparvorschlägen zu fragen lohnt sich immer, weil deren Ideen in puncto Praxisnähe unschlagbar sind. Im Gegensatz von so manchem Konzept aus der Führungsetage. Parzefall: "Viele von oben verordnete Sparvorschläge sind strategisch sinnvoll und sehen auch in der Powerpoint-Präsentation wunderbar aus. Nur sind sie eben in der Praxis nicht umsetzbar. Dann versucht man es und muss die Maßnahmen nach einigen Monaten wieder rückgängig machen."
Das Problem haben Reinhard Eschbach und die IT-Abteilung der Thomas Cook AG nicht. Von den Sparvorschlägen der Mitarbeiter wurden etwa 50 umgesetzt. Die meisten der Projekte sind bereits abgeschlossen, einige laufen noch. Einspareffekt pro Jahr: ein einstelliger Millionenbetrag.
Alle Probleme der IT sind auch mit der jüngsten Sparwelle natürlich nicht gelöst. Aber das war auch nicht das Ziel. "Es ging uns bei den Task Forces um Dinge, die schnell umsetzbar sind und schnell wirksam werden", sagt Reinhard Eschbach. Ansonsten habe das Unternehmen durch die vielen Übernahmen und Fusionen noch immer "einen Zoo von Anwendungen".
Das lässt sich zwar im Grundsatz nicht ändern; machbar ist aber, die Kapazitäten besser auszulasten. Eschbach: "Wir beschäftigen uns gerade intensiv mit dem Thema Virtualisierung, damit wir unsere Midrange aus einigen hundert Servern effizienter nutzen können. In Peak-Zeiten muss zwar die maximale Leistung zur Verfügung stehen, aber wir wollen nicht das ganze Jahr über so viel bezahlen, als ob wir Peak-Zeiten hätten."
Zweites längerfristiges Thema: mögliches Insourcing des Betriebs einiger ausgelagerter Anwendungen. Reinhard Eschbach: "Mitarbeiter haben mir gesagt: Wir haben die Skills dazu im Haus, und Selbermachen wäre vermutlich billiger. Das prüfen wir jetzt."